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Maggie Furey

Windharfe

Dieses Buch ist zwei ganz besonderen Menschen gewidmet:

John Jarrold, dem besten aller Lektoren, Veranstalter legendärer Festschmäuse zur Mittagszeit und wundervollem Begleiter zu allen Zeiten – für seinen Enthusiasmus, seine Einsicht, sein Verständnis für die Probleme während der Produktion – und dafür, daß er es ›Den Autor stets selbst richten‹ läßt

und:

John Parker, der mit dieser Arbeit von Anfang an vertraut war und dem ich so viel verdanke – ein gewitzter und weiser Agent, ein freundlicher Mentor und ein sicherer Führer durch das Dickicht des Verlagswesens – und ein guter Freund.

1

Zwischen den Welten …

»Dieser verflixte Schwertkämpfer!« brummte der Tod. Er wußte über alles Bescheid, was in seiner Domäne vor sich ging, und hätte dem Treiben ein Ende setzen können, wenn er das gewollt hätte – aber statt dessen stützte er sich auf seinen Stab und beobachtete mit einem schiefen und ein wenig mitleidigen Lächeln, das nicht ganz ohne Respekt war, die Bemühungen des tapferen, sturen Geistes, der gerade versuchte, ihm zu entkommen – schon wieder.

Das Tor Zwischen den Welten war uralt, sein verwittertes Holz so grau und schwer wie Stein und die mit der Zeit verblaßte Schnitzerei auf seinen Vertäfelungen unter dem Gewicht von Jahren unkenntlich geworden. Mit einer bitteren Grimasse berührte Forral die tiefen, splittrigen Kerben, die die Schönheit der vielschichtigen, verschlungenen Muster verunstalteten – sein eigenes Werk, das von jenem ersten Mal stammte, als er versucht hatte, durch das Tor hindurchzugelangen. Verbittert über seine Ermordung, erzürnt über den ungeheuren Wahnsinn, der zu seinem frühzeitigen Tod geführt hatte, und außer sich vor Angst um Aurians Sicherheit, war er nicht in Stimmung für irgendwelche Hindernisse gewesen. Es hatte keine Rolle gespielt, daß es den Toten verboten war, zu den Lebenden zurückzukehren – das einzige, was er im Sinn gehabt hatte, war seine maguschgeborene Liebste und ihr ungeborenes Kind – ihrer beider Kind. Wieder und wieder hatte der Schwertkampfer mit seiner Klinge (Forral wunderte sich darüber, daß er plötzlich ein Schwert in der Hand gehalten hatte, gerade als er eins brauchte) in einem Anfall aus Wut und Verzweiflung auf diese Tür eingedroschen, bis er sich, obwohl er nur ein Schatten war, vollkommen verausgabt hatte. Erst als er sich dann gegen das kalte, graue Holz gelehnt und um Aurian geweint hatte, war ihm die Antwort zuteil geworden. Wo keine noch so große Gewalt die Pforte des Todes öffnen konnte, vermochte die Liebe – wenn sie nur stark genug war – ihn hindurchzubringen.

Das Tor öffnete sich unter Forrals Berührung, als er Aurians Namen nannte. Er trat hindurch in einen leuchtenden Brunnen aus Nebel, der ihm den Blick trübte und ihn, wenn er Glück hatte, in seinen silbernen Schleiern verbarg. Obwohl er gelernt hatte, wie man dieses Tor öffnete, bedeutete das nicht, daß es ihm erlaubt war. Der Schwertkämpfer zuckte mit den Schultern. Als könnte ihn das von Aurian fernhalten! Er erinnerte sich an das letzte Mal, als er sie gesehen hatte, in der Stadt der Drachen. Sie war so traurig gewesen und so müde, mit Tränenspuren, die den Schmutz auf ihrem ausgezehrten Gesicht verwischt hatten, und die Schwangerschaft hatte ihren Bauch unter ihren zerfetzten Wüstengewändern bereits deutlich gerundet. Bei der Erinnerung daran traten Forral Tränen in die Augen. Es hatte ihm das Herz zerrissen, daß er sie nicht in die Arme nehmen, trösten und alles wieder für sie in Ordnung bringen konnte. Statt dessen hatte er das einzige getan, was in seiner Macht stand – er hatte ihr gezeigt, wo sie den Stab der Erde finden konnte. Der Tod, der Herrscher über dieses unheimliche Reich, war rasend vor Zorn über seine Einmischung gewesen.

Als der Schwertkämpfer das Ende des überwucherten Pfades erreichte, der von dem Tor wegführte, senkte sich der Nebel, und dort, wo der Pfad ins Tal mündete, bildete er nur noch eine seidige, knöcheltiefe Schicht. Forral betete darum, daß er nicht beobachtet wurde, und schritt unter dem sternenübersäten Himmel über den vertrauten Weg zwischen weichen Hügeln dahin, während der Bodennebel ihm bei jedem Schritt um die Stiefel waberte. Manchmal schien der Weg zum Brunnen der Seelen ganz kurz zu sein, während er sich bei anderen Gelegenheiten auf ewig in die Länge zu ziehen schien …

»Forral – bleib stehen, ich befehle es dir

Der Schwertkämpfer zuckte schuldbewußt zusammen und fluchte. Die unter einer großen Kapuze halb verborgene Gestalt war aus dem Nichts erschienen – ein gebeugter, alter Mann, so schien es, bekleidet mit einem grauen Umhang und auf einen Stab gestützt. Er trug eine kunstvolle Laterne bei sich, die einen silbernen Strahl warf. So, wie Erscheinungen es an sich haben, schien auch diese hier recht harmlos – aber Forral wußte es besser. »Laß mich durch!« Seine Hand fuhr an sein Schwert.

»Du glaubst, du könntest dieses Schwert gegen mich richten?« Der Tod kicherte – ein rostiges, pfeifendes Geräusch, das aus den finsteren Tiefen seiner Kapuze aufstieg. Seine hohle, zischende Stimme sandte ein Schaudern über Forrals Rückgrat, als strichen Leichenfinger darüber hinweg. »Forral, wirst du es denn nie begreifen? Wie du dich auch bemühst, du kannst nicht zurück! Was nützt es dir, hinter ihr herzujagen? Sie kommt ganz gut allein zurecht – glaube mir.« Die sarkastische Stimme wurde weich und einschmeichelnd. »Gib endlich auf, um unser aller willen. Es ist dir nicht gestattet, hierzubleiben, zwischen den Welten. Geh wieder dorthin, wo du hingehörst, und stimme endlich einer Wiedergeburt zu. Das ist die einzige Möglichkeit, wie du zu Aurian zurückkehren kannst.«

»Lügner!« zischte Forral mit einer Verwegenheit, die jedes vernünftige Maß überstieg. »Du willst mich ja nur loswerden. Wie soll mich eine Wiedergeburt zu Aurian zurückbringen? Ich würde mich nicht an sie erinnern, und sie würde mich nicht wiedererkennen. Wie könnte ich ihr als quäkendes Balg von Nutzen sein?«

»Ah …« Die Stimme des Todes war sanft und listig. »Ein Kind, ja, aber welches Kind? Hast du schon einmal an das Leben gedacht, das Aurian unter ihrem Herzen trägt? Was wäre, wenn …«

»Was?« bellte Forral. »Das ist ja widerwärtig!«

»Denk darüber nach«, schnurrte der Tod. »Für die kurze Spanne des Lebens eines Sterblichen könntest du wieder in ihren Armen liegen, sie lieben und geliebt werden … Und vielleicht würdest du dich eines Tages sogar daran erinnern, wer du einmal warst. Manchmal schlüpft eine Erinnerung durch.«

Einen Augenblick lang geriet Forral in Versuchung. Er wünschte sich so verzweifelt, zu Aurian zurückzukehren … Dann dachte er an die Qualen, die es für ihn bedeuten würde, wenn er sich wirklich erinnern sollte. »Niemals«, fauchte er. »Ich war diesem Mädchen ein Vater, und später war ich ihr Geliebter – ich will verdammt sein, wenn ich danach ihr Sohn sein soll!«

Zu seiner ungeheuren Verärgerung fing Forral ein kurzes Lächeln tief in den Schatten der Kapuze des Todes auf. »Genug, mein streitlustiger Freund – du hast die Prüfung bestanden.«

»Prüfung?« Der Schwertkämpfer runzelte die Stirn. »Was für eine Prüfung? Was genau willst du damit sagen, verdammt noch mal?« Dann schluckte er und trat hastig ein paar Schritte zurück, als die Erscheinung plötzlich wuchs und das Licht der Sterne verdunkelte, während sie mit düsterer Drohung turmhoch über ihm aufragte.

»Forral«, zischte die kalte Stimme, »es ist eine erfrischende Abwechslung, es einmal mit einem Sterblichen zu tun zu haben, der keine Angst vor mir hat, und aus diesem Grunde lasse ich mir deine Kühnheit gefallen – aber vergiß niemals, nicht einen Augenblick lang, wer ich bin.«

Forral atmete erst weiter, als die Erscheinung auf menschliche Ausmaße zurückgeschrumpft war. »Aber du darfst niemals glauben, der Tod sei nicht gnädig«, sagte die Stimme sanft. »Du und Aurian und dein Freund Anvar, ihr bildet einen Teil eines Musters, das erst noch in allen Einzelheiten Gestalt annehmen muß. Jeder von euch ist mir schon einmal begegnet und wurde geprüft. Glaube mir, es besteht Hoffnung für euch alle.«