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»Ich habe schon mein Schwert und den Stab probiert. Ich bin offen für jeden Vorschlag, aber du solltest dich besser beeilen.«

Einen Augenblick lang herrschte völliges Schweigen, dann sagte Shia: »Wenn seine Schuppen unverletzlich sind, mußt du statt dessen auf die Augen zielen. Das ist vielleicht seine Schwachstelle – zumindest hoffe ich es.«

Der Magusch hatte keine Zeit für eine Antwort. Die Kreatur stürzte sich abermals brüllend auf ihn; diesmal kam sie hinterlistig von oben. »Stirb, du verfluchtes Geschöpf!« Anvar hatte keine Ahnung, daß er die Worte laut hinausgeschrien hatte. Es war ihm auch nicht bewußt, daß er den Stab benutzte. Und doch war das Artefakt in seiner Hand lebendig geworden und flammte mit einem weißen, leuchtenden Licht auf. Ein hoher, dünner Schrei hallte durch den Tunnel. Dampf stieg über den Facettenäugen der Kreatur auf, aus denen gleich darauf auch grünlicher Eiter floß. Die federnbesetzten Fühler sanken zu Boden, und unzählige Beine scharrten kraftlos auf dem Stein. Die Bewegungen des gräßlichen Geschöpfes wurden langsamer und kamen schließlich ganz zum Erliegen, während sein Kopf an der gegenüberliegenden Wand des Tunnels niederfiel. Und doch wußte Anvar, daß er das Tier nur verletzt hatte. Daher hob er sein Schwert weit über den Kopf und stieß die Klinge bis zum Griff in eines der dunkel glitzernden Augen.

Die gewaltige Kreatur krümmte sich und warf den Magusch zur Seite; aber ihr Todeskampf war nur kurz. Schon bald zog sie sich zurück in die Tiefen des Tunnels; ihre Fähigkeit, durch Stein zu gehen, war plötzlich verschwunden. In dem ersterbenden Licht des Stabs konnte man noch das drohende Glitzern eines der riesigen Facettenaugen sehen. Dann erlosch sein Licht für immer. Der gegabelte Schwanz scharrte noch einmal über den Stein und blieb dann reglos liegen. Als die letzten Funken von Anvars Energie versiegten, erlosch auch das Licht des Erdenstabs.

»Ist es tot?« fragte Khanu mit zitternder Stimme.

»Bei den Göttern, das will ich doch hoffen«, stieß Anvar schwer atmend hervor. »Ich glaube nicht, daß ich so einen Kampf noch einmal durchstehen würde.« Mühsam richtete er sich ein wenig auf, so daß er schließlich mit dem Rücken gegen die schleimige Wand des Tunnels gelehnt dasaß. »Shia, bist du da? Ist mit dir alles in Ordnung?« Er zitterte, sowohl von der Kälte als auch von den Nachwirkungen seines schrecklichen Erlebnisses.

»Beides.« Die große Katze klang ziemlich gedämpft. Nach einer Weile konnte Anvar genug Energie zusammenraffen, um den Stab wieder zu entzünden. Khanu war ganz in seiner Nähe, direkt an der Wand gegenüber, aber er brauchte ein wenig länger, bevor er auch Shia sehen konnte, die gerade über die sterbenden Glieder des toten Ungeheuers kletterte. »Ich hoffe aus ganzem Herzen«, murmelte sie, »daß es in diesem Berg nicht noch mehr von diesen Viechern gibt.«

Anvar schauderte bei dem Gedanken – aber nachdem er schon so weit gekommen war, würde er nicht einfach aufgeben. Daher raffte er die letzten Funken seiner Kraft zusammen, erhob sich mühsam auf die Füße, zwang sich aufzustehen und hielt den Stab hoch über den Kopf.

Die Moldan von Aerillia war sowohl erschrocken als auch erbost darüber, daß ihr Angriff so kläglich gescheitert war. Sie hatte all ihre Kraft in die Schöpfung ihrer Kreatur geworfen und würde eine ganze Weile nicht die Kraft haben, ein anderes Tier auf solche Größe anschwellen zu lassen.

Offensichtlich hatte sie die Macht dieses Zauberers unterschätzt. Sie schauderte, als ein neuer Schmerz ihre Eingeweide verzerrte. Hatte dieser elende Kerl die Absicht, sich bis nach oben zu diesem gräßlichen Bauwerk auf ihrem Gipfel durchzukämpfen? Zum ersten Mal stellte die Moldan sich die Frage, warum er das alles tat. Die Kriege und Auseinandersetzungen der jämmerlichen kleinen Himmelsleute hatten sie im Laufe der Jahrhunderte kaum interessiert: seit der Verheerung, bei der sie ihre magischen Kräfte verloren hatten. Seit damals waren die Himmelsleute für sie kaum mehr von Bedeutung gewesen als Fliegen oder Läuse. Jetzt jedoch, da es um einen Zauberer ging, ganz zu schweigen von dem Stab der Erde …

Was hatte dieser Zauberer vor? Und wie konnte sie das zum Vorteil der Moldan nutzen? Die aerillianische Moldan versank in tiefes Grübeln und versuchte, das qualvolle Hämmern in ihren Eingeweiden zu ignorieren, das ihren Gedankengang wieder und wieder zu verwirren drohte. Soviel stand fest: Auf freiem Fuß würde der Zauberer, solange er den Stab der Erde besaß, immer eine Bedrohung für sie bleiben. Ihr Hauptproblem bestand darin, daß das Artefakt der Hohen Magie ihn viel mächtiger machte, als sie selbst es war. Ohne den Stab war sie nicht in der Lage, ihm den Stab abzunehmen – eine lächerliche und scheinbar unlösbare Situation.

Die Moldan richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Leib, auf das winzige Geschöpf, das über so ehrfurchtgebietende Macht verfügte. Nun gut – so sei es. Für den Augenblick konnte sie nur zusehen und abwarten, bis sie die Pläne des Zauberers durchschaute. Wenn Gewalt ihr nicht half, dann mußte sie eine List ersinnen, um den Stab in ihre Gewalt zu bekommen.

Das Wimmern von Incondors Klagelied übertönte das gedämpfte, unzufriedene Gemurmel der Gemeinde im Tempel. Schwarzkralle spähte durch die dunklen Vorhänge hinter dem großen Altar, überrascht und äußerst erfreut darüber, daß der große Raum sich früh und schnell füllte. Immer mehr Himmelsleute drängten in das geräumige Mittelschiff und füllten nun sogar die luftigen Galerien weiter oben. Endlich! dachte der Priester; endlich hatten die Geflügelten seine Herrschaft wohl doch akzeptiert. Flammenschwinges Tod hatte offensichtlich den Ausschlag gegeben, ganz so, wie er es sich erhofft hatte.

Schwarzkralle wartete in dem engen Vorraum hinter den goldbestickten Vorhängen, während seine niedrigeren Priester den Ritus der Anbetung für den Vater der Himmel vollzogen. Seine prächtig bestickten Amtsroben raschelten steif, und ihr Gewicht lastete schwer auf seinen Schultern, während er in dem engen Raum auf und ab lief. Die gemurmelten und gesungenen Antworten schienen sich endlos hinzuziehen, und es fiel dem Hohenpriester immer schwerer, seine Ungeduld angesichts solchen Unsinns im Zaum zu halten. Macht war das einzige, was eine Rolle spielte; wenn der Aberglaube die Himmelsleute jedoch zu beschwichtigen vermochte, überlegte Schwarzkralle, dann mußte wohl der Zweck die Mittel heiligen.

Endlich war der Augenblick für Schwarzkralles eigenen Anteil an der Zeremonie gekommen. Als er sein Stichwort hörte, öffnete er die Holztür im hinteren Teil der Kammer, und zwei Tempelwachen führten die Ärztin herein. Elsters Gesicht war totenbleich, und sie biß die Zähne zusammen. Schlaff hing sie zwischen ihren beiden Wachen, und ihre Füße schleiften über den Boden; sie weigerte sich, ihnen auch nur im geringsten dabei zu helfen, sie zum Altar zu schaffen, wo bereits das Messer auf sie wartete.

Als sie an Schwarzkralle vorbeikam, kehrte das Leben für einen kurzen Augenblick in Elsters steinernes Gesicht zurück. »Möge Yinze dich in ewige Verdammnis stürzen!« fauchte sie. Dann blitzten ihre Augen noch einmal auf, und sie spuckte ihm ins Gesicht.

Elster hatte die Befriedigung, zu sehen, wie der Hohepriester vor ihr zurückschrak. Er wollte natürlich nicht das Gesicht vor den Wachen verlieren, indem er seinen Ekel zeigte, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als stehenzubleiben und sie wütend anzufunkeln, während die schleimige Spur ihres Speichels über sein Kinn tröpfelte. Elster lächelte grimmig. In Anbetracht des Schicksals, das sie erwartete, schien es ein armseliger Sieg, den sie errungen hatte, aber es war trotzdem ein befriedigendes Gefühl.

Als die Wachen sie durch die Vorhänge in den Tempel zogen, erfüllte die Reaktion der versammelten Gemeinde sie plötzlich mit neuem Mut. Wie ein Mann erhob sich die Menge und jubelte ihr zu. Elster blinzelte verwirrt. Seit Schwarzkralle die Macht ergriffen hatte, hatte sie den Tempel absichtlich gemieden, aber nach dem, was sie gehört hatte, war ihr Empfang bisher ohne Beispiel. Noch besser sogar war die Reaktion der Menge, als Schwarzkralle erschien. Die Ärztin konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als die Geflügelten bei Schwarzkralles Auftritt zischten und ihn auspfiffen.