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Anvar wischte seine blutverschmierte Klinge am Saum der priesterlichen Robe ab und wandte sich achselzuckend zum Gehen. Soviel zu Schwarzkralle – jetzt war Miathan an der Reihe. So voreilig es auch sein mochte, er wollte, daß sein Feind von seiner Flucht erfuhr, denn Miathan würde mit Sicherheit Aurian davon erzählen. Also steckte er sein Schwert wieder in die Scheide, griff nach dem Kristall des Hohenpriesters und rief den Erzmagusch.

Der Edelstein flackerte mit schwindelerregendem Leuchten auf, das sich plötzlich legte, als Miathans Gesicht erschien. Dessen Erstaunen verwandelte sich in heißen Zorn, als er begriff, wer es war, der ihn da rief. »Anvar! Wie …«

»Schwarzkralle ist tot, Erzmagusch.« Anvars Gedankenstimme war hart wie Eis. »Jetzt bin ich hinter dir her.« Bevor Miathan die Möglichkeit hatte, etwas zu erwidern, warf Anvar den Kristall aus dem Fenster und kehrte dem Gemach des Hohenpriesters den Rücken.

Während der ganzen Zeit hatte die Moldan zugesehen. Jetzt, da der Zauberer ganz allein in diesem Turm war, bot sich ihr endlich die Chance, auf die sie die ganze Zeit über gewartet hatte! Das gewaltige Elementarwesen zuckte heftig mit seiner Außenhaut und konzentrierte sich dabei vor allem auf die Felsen unter dem schlanken, steinernen Turm. Der ganze Berg schauderte, als Schwarzkralles Domizil schwankte und krachte und mit einem gewaltigen Dröhnen in sich zusammenfiel.

21

Die Nacht des Wolfs

Während der Mond zu und wieder abnahm, fand Schiannath es unmöglich, sich von Aurian fernzuhalten – sehr zu Yazours Unwillen. Obwohl der Gesetzlose den Turm eigentlich nur aus sicherer Entfernung beobachten sollte, schlich er sich mitten in der Nacht oft näher heran und erklomm die halb zerfallenen Mauern, um noch einmal mit der Magusch zu reden. Zwar leugnete Schiannath diese Besuche stets, doch wußte Yazour immer, wann ein solcher stattgefunden hatte. Der Gesetzlose kehrte dann erregt und mit strahlenden Augen in die Höhle zurück und lag wach auf seinem Lager, wenn er sich eigentlich für seine bevorstehende Wache ausruhen sollte.

Was für eine Torheit! Yazour fiel es schwer, angesichts solcher Dummheit die Ruhe zu bewahren. Schiannath brachte sich selbst, die Magusch und ihren ganzen Plan in Gefahr. Und doch konnte der Krieger, bevor er wieder auf den Beinen war, nichts dagegen tun. Was ihn am meisten bestürzte, war die Tatsache, daß Schiannath ihm, was diese Besuche betraf, nicht die Wahrheit sagte. Soweit Yazour wußte, bedeutete solche Heimlichkeit niemals etwas Gutes. Sein eigenes Geheimnis zu bewahren war das einzige, was er tun konnte. Wann immer der Gesetzlose fortging, erprobte Yazour die Muskeln an seinem verletzten Bein, unermüdlich und immer bis an die Grenze unerträglicher Schmerzen. Er hatte sich aus einem gegabelten, kräftigen Ast aus dem Feuerholzstapel eine behelfsmäßige Krücke geschnitzt und war bereits in der Lage, langsam durch die Höhle zu schlurfen. Aber der lange Weg durch den Paß bis zum Turm ging zu seiner wachsenden Verzweiflung nach wie vor über seine Kräfte – bis er endlich in einer ungewöhnlich stillen, mondhellen Nacht die Lösung fand, als der Schnee wie ein diamantener Schleier über das Land fiel und die einsamen Schreie der jagenden Wölfe durch die funkelnden Gipfel hallten.

Schiannath ging wieder einmal zum Turm. Obwohl er es wie immer geleugnet hatte und sein Gesicht den unschuldigsten Ausdruck zeigte, hatte Yazour seine verborgene Erregung gespürt, als er aufbrach, und der Krieger mußte sich beherrschen, um nicht gewalttätig zu werden. Oh, der Narr! Dieser unglaubliche Narr! Es war eine Sache, den Turm unter der schwarzen Decke eines bewölkten Himmels zu erklimmen – aber doch nicht heute nacht! Alles, was sich vor diesem hellen Hintergrund bewegte, würde meilenweit sichtbar sein.

Was war es eigentlich, was Schiannath so sehr an Aurian fesselte? Der Gesetzlose weigerte sich, darüber zu sprechen, aber Yazour konnte einfach nicht glauben, daß die Magusch ihn zu einer so gewaltigen Dummheit ermutigen würde. Unglücklicherweise konnte sie Schiannath, ohne ihn zu verraten, nicht am Kommen hindern. Yazour verfluchte den Gesetzlosen mit heißen Worten. Irgendwie mußte Schiannath aufgehalten werden. Also drehte er sich um und tastete unter seinen Decken nach seiner Krücke.

Heute nacht war Iscalda ungewöhnlich reizbar und besorgt. Schiannath ließ sie immer allein, wenn er sich aufmachte, um den Turm zu beobachten. Statt dessen nahm er das zusätzliche Reittier und – o Demütigung – band Iscalda in der Höhle fest, damit sie ihm nicht folgen konnte. Er hatte Angst, daß ihr etwas zustoßen könnte, das wußte sie. Die Zahl der Wölfe, die jetzt in der näheren Umgebung ihr Unwesen trieben, nahm immer mehr zu, denn der Duft des Fleisches für die Garnison im Turm zog sie in diesen verzweifelt hungrigen Zeiten unaufhaltsam an. Schiannath hatte außerdem Angst, daß der Schwarze Geist noch immer irgendwo in der Gegend war, obwohl Iscalda ihm, hätte sie sprechen können, gesagt hätte, daß die große Katze schon lange nicht mehr da war.

Männer und ihre närrischen Ideen! Die weiße Stute schnaubte. Und was hatte er mit dieser Frau im Turm vor, mit dieser Frau, die behauptete, eine Art Windauge zu sein? Iscalda hatte diesbezüglich ihre Zweifel. Es klang zu gut, um wahr zu sein. Sie wagte es nicht zu hoffen, daß sie eines Tages vielleicht in ihre menschliche Gestalt zurückverwandelt werden könnte, und doch schien Schiannath offensichtlich daran zu glauben, und im selben Maße, wie seine Erregung in den vergangenen Tagen gestiegen war, war Iscaldas Beunruhigung gewachsen. Fühlte er sich wirklich nur deshalb zu diesem Windauge hingezogen, weil sie über ungewöhnliche Macht verfügte? Oder hatte es etwas mit der Frau selbst zu tun? War sie wirklich ein Windauge? Hatte sie ihn verzaubert? Warum sonst würde dieser Idiot es riskieren, heute nacht zu ihr zu gehen, obwohl es heute keine Dunkelheit gab, die ihn verbergen würde?

Um sich von ihren düsteren Gedanken abzulenken, richtete Iscalda ihre Aufmerksamkeit auf Yazour. Die Xandim irrten sich in ihrer Auffassung, daß Mitglieder ihrer Rasse, die in ihrer Pferdegestalt gefangengehalten wurden, zu unvernünftigen^ Tieren wurden. Das wußte sie jetzt. Es stimmte, die tierischen Instinkte übernahmen das Kommando, wenn Gefahr drohte, wie zum Beispiel bei dem Angriff der großen Katze. Das einzige, was sie damals im Sinn gehabt hatte, war die Flucht gewesen. Aber im großen und ganzen waren Iscaldas Gedanken nach wie vor ihre eigenen. Es war nur so, daß sie in dieser Gestalt keine Möglichkeit hatte, sich irgend jemandem mitzuteilen, und außerdem war es für den armen Schiannath leichter, zu glauben, sie sei ein Tier. Er hatte schon genug Sorgen, ohne sich auch noch wegen ihres Kummers zu quälen.

Iscalda wünschte, sie könnte Schiannath ihr Vertrauen zu dem jungen Khazalimkrieger übermitteln, den er gerettet hatte. Dies war eine der Gelegenheiten, bei denen sich ihre tierischen Instinkte als Segen erwiesen hatten. Pferde konnten einen guten Mann von einem schlechten unterscheiden, einen Freund von einem Feind, und dieser Mann hier, das wußte sie mit absoluter Sicherheit, verfügte über große Herzensgüte – und das trotz der Tatsache, daß er als Khazalim ein Erzfeind der Xandim war. Iscalda hatte ihn genau beobachtet. Er interessierte sie mehr und mehr. Daher hatte sie wohlwollend registriert, wie er sich Stück um Stück seine Genesung erkämpfte, denn sie wußte, daß auch er sich wegen Schiannaths Verhalten Gedanken machte – und daß er entsetzt darüber gewesen war, daß der Gesetzlose ausgerechnet in dieser mondhellen Nacht den Turm erklimmen wollte.

Die weiße Stute sah aufmerksam zu, wie der junge Krieger, der sich immer noch auf seine Krücke stützen mußte, durch die Höhle taumelte. Das Bein konnte ihn langsam wieder tragen, aber an dem verzerrten Ausdruck seines Gesichts und an dem Schweiß, der sich wie ein leuchtender Film über seine Haut gelegt hatte, konnte sie erkennen, daß er immer noch große Schmerzen hatte. Wenn er Schiannath folgen wollte, würde er kaum eine Chance haben, auch nur aus der Höhle herauszukommen, ganz zu schweigen davon, daß er den mühsamen Weg durch den Paß bewältigen könnte.