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In diesem Augenblick hatte Iscalda eine Idee. Warum nicht? Sie wollte Schiannath ebenfalls folgen, und Yazour sollte ihr Halfter aufknüpfen. Sie konnten einander helfen. Dennoch schauderte die weiße Stute, als ihr plötzlich klar wurde, was sie vorhatte. Es war sehr selten, daß ein Xandim in Menschengestalt einen anderen Xandim ritt, der Pferdegestalt angenommen hatte. Das war eine Angelegenheit von höchster Vertrautheit und geschah nur in Notfällen, wie zum Beispiel dann, wenn es einen Verletzten zu bergen galt oder wenn die Betroffenen in engster Beziehung zueinander standen. Einem Fremden – noch dazu einem Menschen – zu erlauben, sie zu besteigen! Das war undenkbar.

Aber war Yazour denn wirklich ein Fremder, nach all dieser Zeit, die sie zusammengepfercht in der Höhle miteinander verbracht hatten? Mußte sie nicht zugeben, daß sie den jungen Krieger liebgewonnen hatte? Und war dies nicht ein Notfall ersten Ranges? Iscalda holte tief Luft. Ich kann es tun, dachte sie. Ich kann es für Schiannath tun. Yazour taumelte auf sie zu und hatte offensichtlich vor, die Höhle zu verlassen. Iscalda wieherte, um die Aufmerksamkeit des jungen Kriegers auf sich zu lenken. Dann beugte sie die Knie, so daß er aufsteigen konnte.

Sie hörte Yazours überraschten Ausruf und fragte sich, was er wohl gesagt haben mochte, denn er hatte in seiner eigenen Sprache gesprochen. Wahrscheinlich hatte er Schiannath lauthals der Lüge bezichtigt, denn der Xandim hatte ihm immer wieder gesagt, daß sie ein Pferd sei, das sich von keinem einzigem Mann reiten ließ. Wieder und wieder hatte er ihn gewarnt, sich ihr nur ja nicht zu nähern. Dann spürte sie seine Hand auf ihrem Hals und schauderte; sie mußte gegen den überwältigenden Instinkt ankämpfen, sich zu wehren oder zu fliehen. Yazour sprach mit leisen, drängenden Worten auf sie ein, und obwohl sie ihn nicht verstehen konnte, konzentrierte Iscalda sich mit aller Macht auf seine beruhigende Stimme.

Als sie jedoch das Gewicht des Kriegers auf ihrem Rücken spürte, hielt nur ihr Halfter sie zurück. Iscalda scheute heftig, aber das schmerzhafte Zerren des Seils brachte sie mit einem heftigen Ruck zur Besinnung. Die Krücke, die Yazour bei sich getragen hatte, schlug gegen ihre Flanken, und sie spürte, wie sein Gewicht sich verlagerte, als er sich duckte, um dem niedrigen Dach der Höhle auszuweichen. Sie hörte ihn heftig fluchen. Dann sprach er wieder auf sie ein, leise und freundlich. Seine Hand glitt beruhigend über die feuchte Wölbung ihres muskulösen Halses. Zitternd unterwarf sich die weiße Stute dem fremden Willen.

Nach einer Weile spürte sie, wie Yazour sich entspannte und ihr endlich genug vertraute, um ihr Halfter aufzubinden. Dann jedoch durchschoß ein heißer Zorn Iscalda, als er das Seil über sie warf und es durch ihren Nasenriemen zog, um auf diese Weise eine Art Zügel zu erhalten. Vertraute er ihr denn nicht? Allerdings hatte sie die Pferde der Khazalim beim Turm gesehen, und dann fiel ihr auch wieder ein, daß diese Menschen alle möglichen Polster, Riemen und Schnallen auf ihren armen Reittieren zu befestigen pflegten. Na schön, Yazour, dachte Iscalda. Behalt dein verflixtes Seil, wenn du dich dann besser fühlst – aber wenn du anfängst, an meiner Nase herumzuzerren, wirst du, eh du dich versiehst, auf deiner eigenen landen. Mit diesem Gedanken machte sie einen zögernden Schritt nach vorn und versuchte, sich an das unvertraute Gewicht auf ihrem Rücken zu gewöhnen. Yazour schien genauso nervös zu sein wie sie, und sie würde sehr vorsichtig sein müssen, das wußte sie, den er konnte sein verletztes Bein nicht zum Reiten gebrauchen. Blinzelnd trat die weiße Stute mit ihrem neuen Reiter in das blendende Mondlicht hinaus und machte sich wie geplant auf den Weg zum Turm.

Aurian war endlich in einen unruhigen Schlummer gefallen. Das Schlafen fiel ihr in diesen Tagen immer schwerer. Ihr Kind, das sich wohl auf seine nahende Geburt vorbereitete, war von wachsender Ruhelosigkeit erfüllt. Das Baby hatte sich mittlerweile gedreht, und seit ein oder zwei Tagen wurde Aurian von heftigen Rückenschmerzen und immer wiederkehrenden Krämpfen gequält. Bedeutete das, daß das Kind endlich kommen würde? Da Aurian keine Erfahrungen auf diesem Gebiet hatte, wußte sie es nicht. Aus Sturheit weigerte sie sich jedoch, sich Nereni anzuvertrauen, denn sie hatte keine Geduld mehr mit dem endlosen Theater, das die kleine Frau in der letzten Zeit gemacht hatte. Die Magusch wußte, daß das hauptsächlich an ihren Sorgen um Eliizar und Bohan lag, aber das nützte ihr wenig. Aurian hatte selbst genug eigene Sorgen, denn sie wußte, daß mit dem Herannahen der Geburt die Situation für sie alle, für sie selbst, für Anvar und vor allem für ihren Sohn immer gefährlicher wurde.

Überhaupt war die Magusch in den letzten Tagen zunehmend ungeduldiger geworden: Sie haderte mit ihrer Schwangerschaft, haderte mit ihrer Unfähigkeit, sich einen nützlichen Plan auszudenken, haderte mit Nereni – und mit diesem Idioten Schiannath, der darauf bestand, sie immer wieder zu besuchen, um des Nachts mit ihr zu reden, obwohl sie jedesmal die Gefahr seines Tuns betont und ihm verboten hatte, sie weiter zu besuchen.

Heute abend allerdings, als sie von der Brüstung des Turms aus in die funkelnde Mondlandschaft geschaut hatte, war Aurian sicher gewesen, daß er nicht kommen würde. Vielleicht war sie deshalb, weil sie endlich einmal keine Störung zu fürchten hatte, schließlich eingeschlafen. Sie konnte es einfach nicht glauben, als ein vertrautes Scharren an der Falltür sie weckte. Mit einem Ruch drehte die Magusch sich unbeholfen auf ihrem Lager um und erhob sich mühsam. »Hat er jetzt vollkommen den Verstand verloren?« fragte sie.

»Mach nicht auf!« zischte Nereni aus ihrer Ecke. »Soll er doch sehen, wo er bleibt, wenn sie ihn entdecken!« Sie mochte Schiannath nicht und vertraute ihm noch weniger – ein Xandim war er, ein Feind. Die Magusch wußte, daß Nereni Angst hatte, Aurian würde leiden müssen, wenn man ihn bei ihr erwischte, und sie lebte in der ständigen Angst, der Erzmagusch könnte seine Wut irgendwann an Eliizar auslassen.

»Ach, sei doch nicht dumm«, sagte Aurian müde. »Schiannath ist unsere Verbindung zu Yazour und unsere einzige Chance, Hilfe von außen zu bekommen. Es wird uns nichts nützen, wenn sie ihn gefangennehmen. Ich wünschte nur, ich könnte ihm etwas Vernunft in seinen Schädel prügeln. Tu mir einen Gefallen, Nereni, und horch für mich an der Tür, während ich versuche, ihn loszuwerden.«

Mit großer Mühe gelang es ihr, sich die knarrende Leiter hinaufzuziehen, bevor sie mit unbeholfenen Fingern das Schloß der Falltür öffnete. Dann spürte sie Schiannaths festen Griff um ihre Handgelenke, und er half ihr hinauf aufs Dach.

Bei so klarem Himmel war es draußen bitterkalt, und die grauen Steine des Turms waren mit einer glitzernden Schicht Rauhreif überhaucht. Die Magusch konnte die unheimlichen Schreie des Wolfsrudels hören, das nun immer näher kam.

»Was, zum Kuckuck, hast du hier zu suchen?« fuhr Aurian Schiannath mit einem zornigen Flüstern an und zog ihn in den Schatten des Schornsteinkastens. »Ausgerechnet heute nacht! Wenn die Geflügelten kommen, wird man dich meilenweit sehen können.«

»Aber Herrin, die Geflügelten fliegen doch nur tagsüber. Das hast du mir selbst gesagt.« Ein entwaffnendes Lächeln huschte über sein Gesicht.

»Ich habe dir gesagt, sie fliegen nicht in der Dunkelheit, du Esel! Heute nacht ist es taghell, und ich weiß, daß Harihn langsam die Vorräte ausgehen. Was, in Namen aller Götter, ist nur in dich gefahren, Schiannath?« Aurian hätte ihn am liebsten mit bloßen Händen erwürgt. Schon jetzt wußte sie, wie seine Antwort lauten würde, und sie hatte sich nicht geirrt.

»Herrin, du bist meine einzige Hoffnung, meine Schwester Iscalda zurückzuverwandeln!« Seine Finger schlangen sich hart um ihr Handgelenk. »Deine Zeit ist jetzt so nah. Wie kann ich dir fernbleiben, ohne zu wissen, ob du auch in Sicherheit bist …«