Выбрать главу

Miathan sprang mit einem schrecklichen Ruch auf, riß sich das Messer aus der Schulter und blickte mit harten, erbarmungslosen Augen auf sie herab. »Jetzt endlich ist der Augenblick da«, knurrte er. »Glaub mir, Aurian, meine Rache ist nur aufgeschoben – und nur für kurze Zeit!« Er stürzte zur Tür, schleuderte sie auf und brüllte die Treppe hinunter: »Frau, her mit dir! Das Kind kommt!«

Yazour hätte nie gedacht, daß es so lange dauern würde, den gewundenen Bergpaß zu durchqueren. Vor Ungeduld zitternd, versuchte er, die weiße Stute zu drängen, aber Iscalda wollte nichts davon wissen. Wäre der Gedanke nicht so absurd gewesen, hätte man meinen können, sie nehme Rücksicht auf seine Verletzungen, als sie langsam durch den verschneiten Hohlweg trabte. Yazour, der in der ungewohnten Kälte – weit weg von dem warmen Feuer der Höhle – schrecklich fror, verbarg seine Hände in den Lumpen seines auf vielen Reisen abgetragenen Mantels und fragte sich, was er eigentlich tun würde, wenn er beim Turm ankäme. Wie sehr er sich auch wünschen mochte, Aurian wiederzusehen, so bestand doch nicht die geringste Chance, daß er mit seinem verwundeten Bein die halb zerfallenen, äußeren Mauern würde erklimmen können. Angenommen, Schiannath war noch immer dort oben. Wie konnte er dann den Gesetzlosen vom Dach herunterlocken? »Ich bin ein Narr, daß ich überhaupt hier hergekommen bin«, mußte der junge Khazalim sich eingestehen. Trotzdem unternahm er keinen Versuch, in die Höhle zurückzukehren. Yazour hatte das unklare, aber starke Gefühl, daß er in dieser Nacht beim Turm gebraucht werden würde.

Als der Krieger den Streifen mondhellen Hügellandes jenseits der dunklen Wände des Passes erblickte, beschleunigte Iscalda sofort ihren Schritt. Schon bald konnte Yazour die von Bäumen überwachsene Anhöhe erkennen, die ihm so vertraut und wegen seiner langen Abwesenheit doch so fremd erschien. Er konnte die steile Spitze des Turms sehen, die sich hoch über das zerzauste Waldland erhob, aber er konnte aus der Ferne keine Einzelheiten erkennen. Dann stellte Iscalda mit einem Ruck, der ihn beinahe von ihrem Rücken geschleudert hätte, die Ohren auf und galoppierte los. Flink und schweigend wie ein Schatten stürmte die Stute über den Schnee, und sie legte die Entfernung bis zu dem schützenden Wäldchen, das den Hügel umgab, auf dem der Turm stand, wie im Fluge zurück.

Oh, wie herrlich dieser wilde Ritt unter dem Vollmond doch war! Als er vorüber war, kehrte Yazour nur langsam aus dem Taumel der Geschwindigkeit zurück. Während seine Finger die Mähne der weißen Stute noch immer krampfhaft festhielten, spähte er durch das weißgraue Dickicht hindurch zu dem Hügel und betrachtete vor allem den niedergetrampelten Boden vor der fest verschlossenen Tür des Turms. Aurian war dort – und Eliizar, Bohan und Nereni. Yazour vergrub seine Finger noch tiefer in Iscaldas Mähne. Das war alles, was er, der kampferprobte Krieger, tun konnte, um nicht die Beherrschung zu verlieren und sein Schwert zu ziehen, denn nur ein Narr, der es nicht besser wußte, würde den wohlbewachten Turm stürmen.

Aber die Turmwachen waren nicht Yazours einziges Problem. Wieder einmal durchbrach das grimmige Heulen des Wolfsrudels die mondhelle Stille und ließ Iscalda vor Angst erbeben. Yazour unterdrückte einen Fluch. Die Wölfe waren viel zu nah – und wo, im Namen des Schnitters, steckte Schiannath?

Das Lied der Wölfe schien plötzlich in einem Wirbel von Schwingen unterzugehen. Bevor Yazour begriff, was vor sich ging, schoben sich in der Dunkelheit große, geflügelte Gestalten zwischen ihn und den Mond. »Schnitter, steh uns bei!« Die Worte kamen ihm in einem Schwall eiskalter Luft über die Lippen, und Iscalda bäumte sich noch einmal kurz auf, bevor sie sich hastig und gerade noch rechtzeitig in den Schutz des Dickichts zurückzog. Yazour, dem es nur mit Mühe gelang, auf dem auf- und niedergehenden Rücken der Stute sitzenzubleiben, wurde Zeuge, wie einer der beiden Geflügelten laut aufschrie und auf das Dach des Turms zeigte. Er mußte Schiannath gesehen haben! Der Krieger stieß einen neuerlichen Fluch aus. Dieser Idiot mußte da oben sein, wo ihn jeder Feind in der mondhellen Nacht deutlich erkennen konnte!

Einer der Himmelsleute ließ das Bündel los, das die beiden zusammen getragen hatten, und flog in einem scharfen Winkel auf den Turm zu. Sein Begleiter mühte sich noch einen Augenblick allein ab, dann wurde er in die Tiefe gezogen und ließ mit einem unglücklichen Blick auf das Dach seine Last fallen, die auf dem harten Schnee der Lichtung aufschlug, so daß Hirschkeulen und etliche Früchte des Waldes in alle Richtungen flogen. Als der geflügelte Krieger seinem Kameraden auf dem Dach zu Hilfe eilte, konnte Yazour nur hilflos und starr vor Entsetzen zusehen. Wie konnte er Schiannath jetzt noch helfen?

Seit Aurian ihn verlassen hatte, hockte Schiannath ängstlich neben der Falltür und lauschte aufmerksam, damit er den Moment nicht verpaßte, in dem er Aurian zu Hilfe eilen mußte. Starr vor Entsetzen, hörte er Stimmen in einer unbekannten Sprache sprechen und den Lärm eines heftigen Kampfes. Da er seine ganze Aufmerksamkeit auf den Raum unter sich konzentriert hatte, überhörte er vollkommen das Geräusch sich nähernder Schwingen. Der Gesetzlose streckte gerade die Hand nach der Falltür aus, als ein Schwall eiskalter Luft um ihn herumwirbelte und etwas Hartes und Schweres von hinten auf seinen Kopf schlug, so daß er zu Boden stürzte. Drahtige Arme umklammerten ihn, und aus den Augenwinkeln konnte er das kalte Glitzern einer Klinge sehen.

Als sich eine mit Krallen besetzte Hand um seinen Hals legte, rollte sich Schiannath zur Seite, um seinen Feind abzuschütteln. Dann streckte er einen Arm weit von sich und schlug dem Angreifer die andere Hand weg, mit der er ihn offensichtlich erdolchen wollte. Während er instinktiv versuchte, sich aus dem Würgegriff des Himmelsmannes zu befreien, griff er über seine Schulter hinweg nach hinten und stieß seine Finger in die Augen des Feindes. Mit einem lauten Aufschrei lockerte der geflügelte Krieger seinen Griff, und Schiannath fuhr herum, um zum Angriff überzugehen, aber sein Fuß glitt auf dem vereisten Dach aus, und sein geplanter Schlag ging ins Leere. Der Himmelsmann krümmte sich jedoch und preßte sich die Hand auf die Augen, während der Dolch, der ihm entglitten war, im Mondlicht funkelte. Schiannath fand sein Gleichgewicht wieder, griff nach dem Messer und setzte zum Sprung an. Mit einem weiteren schrecklichen Schrei taumelte der geflügelte Mann zurück und verschwand über der niedrigen Brüstung. Nur ein schwarzer Blutfleck blieb auf den vereisten Steinen zurück. Schiannath stürzte vor, um über den Rand zu spähen – und erkannte seinen Fehler erst zu spät, als ein dunkler Schatten sich über ihn senkte und die Strahlen des Mondes verschlang. Der Himmelsmann war nicht allein gewesen!

Aurian kannte nur Schmerz, ein tiefrotes Meer, in dem sie sich wand und krümmte und verzweifelt versuchte, nicht unterzugehen. Eine Woge der Qual ergriff sie, hob sie schreiend empor und warf sie schließlich keuchend ans Ufer – nur damit eine neuerliche Schmerzenswelle sie wieder ergreifen und in neue Pein stürzen konnte. Ihre einzige Verbindung zur Wirklichkeit, so schien es, war der hauchdünne Faden von Nerenis ruhiger Stimme, die sie besänftigte und ihr Ratschläge zumurmelte – und der brennende Blick des Erzmagusch, dessen Gegenwart wie eine schwarze, drohende Gewitterwolke über dem tiefroten Meer hing. Während einer kurzen Schmerzenspause fiel Aurians vernebelter Blick auf den funkelnden Stahl eines Dolchs, der nur darauf wartete, daß ihr Kind geboren wurde.

Aber für die Maguschfrauen war die Geburt nie eine leichte Sache gewesen, und dieses Baby wollte einfach nicht kommen. Der Geist des Kindes hatte Aurians Entsetzen gespürt, und mit der ganzen Sturheit seines Magusch-Erbes kämpfte er gegen sein Schicksal an.