»Ich verstehe«, fuhr Eilin auf. »Dein Verhalten spricht nicht gerade für dein Vertrauen in mich – und es bestätigt in hohem Maße meinen Mangel an Vertrauen in dich selbst!« Sie erhob sich und verließ mit langen Schritten die Lichtung, ohne auch nur ein einziges Mal zurückzublicken.
Eliseth saß eingehüllt in mehrere Umhänge zusammengekauert neben einem lodernden Feuer in ihrem Gemach. Seit Miathan sie mit diesem Alterungsfluch belegt hatte, schmerzten ihre Knochen in der Kälte. Die Wettermagusch starrte ins Feuer, und ihre silbernen Augen spiegelten das Funkeln der munter hüpfenden Flammen wider. Ihr Körper wurde von heftigen Schaudern geschüttelt, aber ihr Haß schwelte unvermindert weiter. Sie konnte diesen verabscheuungswürdigen Zustand nicht mehr viel länger ertragen. »Glaub nur nicht, daß du mir so davonkommen wirst, Miathan!« knurrte sie. Ihre triefenden Augen suchten mit verschwommenem Blick das Zimmer ab und verweilten auf den Kristallsplittern, die überall auf dem üppigen weißen Teppich verstreut lagen und ein kaltes Glitzern aussandten. Nachdem Miathan diese grauenhafte Veränderung ihres Körpers bewirkt hatte, hatte die Wettermagusch jeden Spiegel in ihren Gemächern zerschmettert.
Eliseth schlurfte, auf ihren Stab gestützt, durchs Zimmer und bemühte sich, nicht auf die Glassplitter zu treten. Mit steifen, gekrümmten Händen goß sie sich Wein in einen Kelch und verfluchte sich dafür, daß sie sich dem zweifelhaften Trost des Trinkens hingegeben hatte – genau das war es, weshalb sie Bragar einst verachtet hatte.
Bragar! Eliseth leerte ihr Glas mit einem einzigen Schluck und füllte es schnell wieder auf. Der Feuermagusch war ein Narr gewesen, er hatte den Tod verdient. Warum also verfolgte sie der Anblick seines geschwärzten, rauchenden Gesichts? Warum spürte sie immer noch den Schatten seiner klauenartigen Finger, die sich um ihre gealterte Hand klammerten?
Bragar hat dich geliebt! Wer wird dich jetzt lieben, du häßliches, altes Weib?
Dieser entsetzliche, allgegenwärtige Gedanke. Ein wütendes Knurren stieg in Eliseths Kehle auf. Der Kelch flog durch Zimmer, von dem Schwung ihres magischen Willens angetrieben, um gegen die weiße Wand zu prallen, auf die sich sein Inhalt wie dunkles Blut ergoß. »O ihr Götter!« Eliseth barg ihr Gesicht in zitternden Händen. »Reiß dich zusammen!« knurrte sie. »Wenn du in Panik gerätst, wirst du nur deine einzige Chance zerstören.« Dann nahm sie einen anderen Kelch aus dem Regal, füllte ihn und kehrte zum Kamin zurück, um dort zu warten. Er würde jetzt sicher bald kommen. Mittlerweile mußte er entdeckt haben, was sie getan hatte – und wenn sie ihre Jugend wiedererlangen wollte, hing jetzt alles von dieser nächsten Begegnung mit ihm ab.
Die Tür wurde so heftig aufgeschlagen, daß sie mit einem lauten Krachen von der Wand abprallte. »Du verräterische Hexe! Was, im Namen der Götter, führst du im Schilde?«
Eliseth setzte sich mit einem Ruck auf und versuchte, ihren verwirrten Geist zu konzentrieren, um sich dem Zorn des Erzmagusch zu stellen. Miathan schlug mit der Faust auf den Tisch, und in den Juwelen, die seine Augen ersetzten, brannte ein zorniges, rotes Feuer. »Ich gebe dir genau eine Minute, um dich daranzumachen, den Winter in Aerillia wiederherzustellen, bevor ich dich zu Kohlenstaub verglühe!«
Das war der Augenblick, auf den sie gewartet hatte. Eliseth zwang ihren zitternden Körper zur Ruhe und schaffte es mit einigem Kraftaufwand, sich den Anschein von Ungerührtheit zu geben. »Es ist mir egal, ob du das tust.« Sie zuckte mit den Schultern. »Glaubst du, ich möchte in dieser alten, in sich zusammengesunkenen Hülle weiterleben? Mach mit mir das Übelste, zu dem du fähig bist, Miathan – ah, ich hatte es ganz vergessen, das hast du ja bereits getan.«
»Das nennst du das Übelste?« heulte Miathan auf.
Die Wettermagusch wich entsetzt zurück, als ein flammendes Inferno um sie herum aufloderte. Das Feuer kam immer näher und streckte sich gierig züngelnd nach ihr aus. Eliseth spürte die sengende Hitze; fühlte, wie ihr Haar erst zischte und dann Feuer fing. Es bildeten sich Brandblasen und häßliche Risse auf ihrer Haut. Sie ballte ihre Fäuste, bis ihr das Blut durch die Finger rann, weil ihre Nägel scharf in ihre Handflächen schnitten; sie biß ihre Zähne so fest zusammen, um nicht laut aufzuschreien, daß sie glaubte, ihr Kiefer müsse brechen. »Es ist nur eine Illusion«, machte sie sich klar. »Eine Illusion.« Aber oh – diese unaussprechlichen Schmerzen!
»Bring den Winter zurück!« brüllte der Erzmagusch, und seine Stimme durchschnitt auch die tiefsten Tiefen ihrer Qual. Eliseth schauderte und ignorierte die beharrliche Stimme. Alles stand auf dem Spiel – alles! Ich muß es aushalten, sagte sie zu sich. Ich muß. Aber es war zuviel – wie konnte irgend jemand so furchtbare Schmerzen ertragen! Der Verstand der Wettermagusch verzerrte sich und krümmte sich voller Panik in seinem Käfig gequälten Fleisches, versuchte verzweifelt, einen Ausweg aus dem Leiden zu finden. Und dann – veränderte sich etwas.
Eliseths Sinne überschlugen sich, während sie plötzlich die Dinge erst verschwommen und dann doppelt sah. Obwohl sie das Inferno um sich herum und das hämische Gesicht des Erzmagusch dahinter erkennen konnte, betrachtete sie die Szene gleichzeitig auch von oben, als blickte sie von der Decke herab. Die Magusch, die all ihre Kraft brauchte, um gegen die Schmerzen anzukämpfen, schloß die Augen angesichts der schwindelerregenden Illusionen, und plötzlich verstand sie. Obwohl sie die Augen geschlossen hatte, konnte sie die Szene, die sich in ihren Gemächern abspielte, deutlich sehen – und zwar von oben. Um den Qualen zu entfliehen, versuchte ihr Geist, ihren Körper zu verlassen. Das geschwächte Gehirn des alten Weibs hatte die Lösung um ein Haar übersehen, aber ihre Instinkte hatten ihr den richtigen Weg gewiesen. Eliseth lachte laut auf, als sie ihre noch vorhandenen Energien zusammenraffte und sich mit Leichtigkeit von ihrer äußeren Gestalt befreite.
Oh, welch herrliche Erleichterung! Die Wettermagusch hielt inne, genoß das Gefühl, keine Schmerzen mehr leiden zu müssen, und gab den Energien, die ihr inneres Selbst formten, neuen Halt und neues Gleichgewicht. Dann zog ein Aufheulen heißen Zorns ihre Aufmerksamkeit auf sich. Die Flammen waren verschwunden. Eliseth, die an der Decke ihres Gemachs schwebte, blickte hinunter, um Miathan zu betrachten, der weiß vor Zorn über der verlassenen Hülle ihres Körpers stand und sie mit heißen Flüchen belegte.
Eliseths Zuversicht kehrte in einer gewaltigen, glorreichen Woge zurück. Ihr Inneres war nicht alt und häßlich. Hier war sie wieder jung und stark und so schön wie je. Wenn ich doch nur so bleiben könnte, dachte sie. Aber ohne die geheimnisvolle Macht, die Miathan durch das Vergießen des Blutes Sterblicher gewann, konnte ein Magusch außerhalb seines erdgebundenen Körpers nicht lange existieren. Wegen der Gebrechlichkeit ihres Körpers und wegen des schrecklichen Energieverlustes in den wenigen Augenblicken, die sie dem Angriff des Erzmagusch widerstanden hatte, wurde Eliseth bereits merklich schwächer. Sie mußte zurückkehren, das wußte sie, sonst würde sie für immer verloren und körperlos sein – aber trotzdem zögerte sie noch, denn sie hoffte, Miathan in einen Wutanfall hineinzutreiben, wenn er erkennen mußte, daß ihm die letzte Chance, seinen Winter zurückzuholen, langsam entglitt. Ah, jetzt hatte sie ihn da, wo sie ihn haben wollte! Eliseth lächelte zufrieden, schauderte dann bei dem Gedanken, dieses herrliche Gefühl aufzugeben, um sich noch einmal in die Gefangenschaft dieses schwachen, schmerzenden Körpers eines alten Weibs zu begeben. »Aber es ist ja nur noch für kurze Zeit«, tröstete sie sich, bevor sie herabstieß, ihre Augen schloß und wieder in die Fesseln ihrer erdgebundenen Gestalt hineinglitt.