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Der Magusch faßte neuen Mut, als er bemerkte, daß er das kostbare Artefakt nicht verloren hatte. Also konzentrierte er seinen ganzen Willen und rief die Kräfte des Stabs, bis ein schwaches, grünes Schimmern seine Umgebung beleuchtete. Anvar stockte der Atem. Einen Augenblick lang glaubte er, vor Entsetzen den Verstand verlieren zu müssen. Er war ringsum von undurchdringlichen Felsmassen umgeben.

Schließlich jedoch besiegte die Vernunft seine Panik, und es kam ihm in den Sinn, daß er ja überhaupt nicht zerquetscht wurde, sondern im Gegenteil, daß er nicht einmal den geringsten Druck spürte. Dann fiel es ihm wieder ein. Das Turmzimmer. Das Messer des Hohenpriesters, das auf ihn zuschoß … Und sein Schild. In seiner Hast, seinen Feind zu bezwingen, hatte er vergessen, seinen Schild zu senken.

Eine Woge schwindelerregender Erleichterung umfaßte den Magusch. Er stieß ein beinahe hysterisches Lachen aus und schauderte bei dem Gedanken daran, wie knapp er dem Tode entronnen war. Wenn Schwarzkralle das Messer nicht geworfen hätte … Dann jedoch wurde Anvar klar, daß seine Erleichterung verfrüht war. Der Schild hatte ihn zwar davor bewahrt, von den Felsmassen zerschmettert zu werden, aber er war immer noch gefangen unter den Ruinen des Turms, gefangen unter gewaltigen Felsbrocken. Außerdem würde sein Luftvorrat auch bald verbraucht sein.

Nur mit größter Mühe gelang es Anvar, ruhig zu bleiben. Es wäre lächerlich gewesen, in Panik zu geraten. Mit dem Erdenstab konnte er sich leicht aus dieser Zwangslage herausbringen. Nun, je eher, desto besser. Ohne weiteres Zögern atmete er tief die abgestandene, schale Luft ein und konzentrierte seinen Willen …

»Zauberer – warte

Anvar blinzelte und schüttelte den Kopf. Hörte er schon Stimmen? Vielleicht verbrauchte sich die Luft schneller, als er geahnt hatte. Ich sollte mich besser beeilen, dachte er. Also sammelte er seine unruhigen Gedanken, versuchte es noch einmal, und diesmal erstrahlte dann auch wirklich wie gewohnt das grüne Leuchten, mit dem die Macht durch den Stab zu pulsieren pflegte.

»Warte! Es gibt eine bessere Möglichkeit

Der Magusch zuckte heftig zusammen. Gedankenrede war das letzte, was er erwartet hätte, aber ein Irrtum war ausgeschlossen. Der hohe Klang der Stimme, wenn auch eindeutig nicht menschlich, gehörte offensichtlich einem weiblichen Wesen. »Wer ist da?« fragte er scharf.

»Es war kein Traum, Zauberer. Verstehst du – die Berge erwachen wirklich!«

Die Stimme schien, obwohl sie nur in seinem Kopf zu hören war, irgendwie in den Felsen um ihn herum wiederzuhallen. Anvar spürte, wie sein Herz zu jagen begann. »Wer bist du?« fragte er. »Was bist du?«

»Ich bin der Elementargeist dieses Berges

Als die Moldan dem Zauberer ihre Natur erklärte, spürte sie sein wachsendes Erstaunen, und es fiel ihr schwer, ihren Zorn darüber zu unterdrücken, daß sein Volk die einst so stolze und mächtige Rasse so schnell vergessen konnte. Ihre Entschlossenheit, ihm den Stab abzujagen, erhärtete sich.

»Verzeih mir«, unterbrach Anvar sie. »Ich würde ja gern den Rest deiner Geschichte hören, aber zuerst muß ich hier heraus. Menschen brauchen Luft …«

»Natürlich.« Die Moldan grinste hämisch. Der Narr spielte ihr direkt in die Hände. »Vielleicht kann ich dir dabei helfen.« Mit Hilfe der Alten Magie konnte sie ihn aus der irdischen Welt herauslocken, in der sie keine andere Gestalt besaß als festen, einengenden Stein. Und ebenfalls mit Hilfe der Alten Magie würde sie ihn dann in eine andere Dimension führen, in die Anderwelt so elementarer Wesen, wie es die Moldan und die Phaerie waren. Dort war ihre Gestalt beweglich und ihre Kräfte von ihren Fesseln befreit.

Anvars Augen weiteten sich vor Erstaunen, als ein trübes, fahles Licht die Umrisse seines Körpers nachzeichnete. Die Felsen um ihn herum verblaßten, traten langsam zurück in das kalte, graue Glitzern, bis sie schließlich ganz verschwunden waren und der Magusch nichts um sich herum sehen konnte als einen formlosen, silbrigen Nebel.

»Du darfst jetzt aufstehen

Aufstehen? Worauf denn? dachte Anvar und blickte mit einem Schaudern hinunter. Da war nichts unter ihm außer dieser grauen Leere. Mit Mühe gelang es ihm, sich zusammenzureißen. Auf irgend etwas mußte er ja liegen …

»Jawohl, es wird dich tragen.« Die Moldan klang belustigt. Anvar erhob sich ungläubig auf die Füße, wobei ihn die Tatsache, daß sie trotz seines Schildes in der Lage gewesen war, seine Gedanken zu lesen, ziemlich beunruhigte. Einen qualvollen Augenblick lang war er damit beschäftigt, den Blutkreislauf in seinen steifen Gliedmaßen wieder in Gang zu bringen. Dann wandte er sich an die Moldan: »Wo sind wir? Was ist das für ein Ort?«

»In der Anderwelt«, antwortete die Moldan leise und mit einer kalten, gepreßten Stimme, die Anvar eine Gänsehaut verursachte. »Wir sind nicht mehr in der Welt, die du kennst

Anvar spannte jeden Muskel an, als ihm plötzlich die Drohung bewußt wurde, die hinter den Worten des Elementarwesens lag. »Warum hast du mich hierhergebracht?« Er versuchte, seine Gedankenstimme möglichst ruhig zu halten. Es wäre ein ernster Fehler gewesen, dieses Geschöpf wissen zu lassen, daß er sich fürchtete.

»Kannst du das nicht erraten?« Der eisige Ton der Moldan war plötzlich zu einem drohenden Zischen geworden. »In dieser Welt besitze ich eine andere Gestalt, frei von den Fesseln des Steins. Hier kann ich mich bewegen, und hier kann ich dich töten und dir den Stab der Erde wegnehmen

Die graue Leere verschwand. Anvar fand sich auf einem Abhang wieder, der mit langem, lohfarbenem Gras bewachsen war, einem Gras, das schimmerte und sich wie vom Wind zerzaustes Korn wiegte – nur, daß da kein Wind war. Stille. Eine unheimliche, bedrückende Abwesenheit jeglichen Geräusches lag wie ein Leichentuch über der Landschaft – und keine Spur von der Moldan. Der Magusch war vollkommen allein. Anvar, der sich innerlich für einen Kampf wappnete, der noch nicht begonnen hatte, wußte nicht, was er tun sollte. Wo war die Moldan? Welche Gestalt würde sie annehmen? Aus welcher Richtung würde sie kommen? Wild fluchend sah er sich um.

Er stand auf einer leicht gewellten Bergwiese und blickte hinunter auf einen Fluß, dessen Wasser eine seltsam grünliche, milchige Färbung aufwies. Der Fluß strömte durch das Tal hindurch und verschwand über einen Felsvorsprung am Eingang des Tales zu seiner Linken. Zu seiner Rechten endete die Wiese vor einem großen, dunklen Pinienwald, und über den Bäumen thronte eine zerklüftete Felswand. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals erhob sich ein mit Heide überwucherter Hügel, der zu seinem hohen Gipfel hin steil anstieg.

Das Licht hatte etwas beunruhigend Fremdartiges an sich. Anvar blinzelte, spähte hinauf zum Himmel und dann wieder hinab ins Tal. Der wolkenlose Himmel zeigte sich in einer seltsamem Goldtönung und überflutete die Landschaft mit einem bernsteinfarbenen Licht, als blicke der Magusch durch Rauchglas. Eine Sonne gab es nicht – auch keine Schatten, die der Landschaft Tiefe gegeben hätten. Statt dessen war die Erde mit einem schwachen, aber unübersehbaren Glühen überhaucht. Jeder Stein, jeder Grashalm stach klar hervor und schimmerte in seinem eigenen, inneren Licht – nur der Pinienwald nicht. Die zusammengekauerten Bäume hockten in einer pulsierenden, rauchigen Düsternis. Anvar schauderte – und doch war von allen Bestandteilen dieser unheimlichen Landschaft dieser Wald mit seinen dahinterliegenden, zerklüfteten Felsen der einzige Platz, an dem er Schutz finden konnte, wenn die Moldan beschloß, nicht mehr länger mit ihm herumzuspielen, sondern anzugreifen.