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Dieser Gedanke zerbrach den traumhaften Zauber dieses unheimlichen Landes und ließ den Magusch schlagartig aktiv werden. Er sollte sich besser einen Plan zurechtlegen, und zwar schnell. Anvar straffte die Schultern und machte sich, den Stab mit festem Griff umklammernd, auf den Weg zum Wald. Er hatte noch kein halbes Dutzend Schritte zurückgelegt, als …

BUMM! Das Geräusch dröhnte durch das ganze Tal und zerschmetterte die Stille wie ein Sturmbock. Die Erde erbebte unter Anvars Füßen, und eine Lawine kleiner Steine rasselte von den Felsen über ihm herunter.

BUMM! Anvar stockte der Atem. Er fuhr wild herum und versuchte herauszufinden, woher das entsetzliche Geräusch kam.

BUMM! Aus dem Pinienwald ertönte das Krachen splitternder Äste. Baumwipfel wogten wild zur Seite, als wären sie zum Spielball eines gewaltigen Sturmes geworden.

BUMM! Da trat etwas aus dem Wald hervor, das entwurzelte Pinien beiseite schleuderte, als wären sie Zündhölzer … Der Magusch blickte auf, hoch und höher, und ein Entsetzensschrei blieb ihm in der Kehle stecken.

Aufrechtstehend auf zwei schweren, muskulösen Beinen, wirkte die Kreatur gigantisch. Sie war eingehüllt in graugrünes Fell und größer als der Maguschturm in Nexis. Zwei große Pfoten, die eine beängstigende Ähnlichkeit mit menschlichen Händen hatten, saßen an stumpfartigen Vorderbeinen direkt vor der Brust des Wesens. Es hatte einen langen, dicken Schwanz, den es dicht über dem Boden hielt, und einen flachen, massigen Kopf, der größer war als Anvars Körper und über gewaltige Kiefer verfügte, die mit scharfen, weißen Fangzähnen besetzt waren. Zwei bösartig glitzernde Augen, in denen ein Übermaß geheimnisvoller Intelligenz stand, suchten das Tal ab und erspähten schließlich auch den Magusch.

»Ich sehe dich, kleiner Zauberer!« Er hörte wieder die mittlerweile vertraute, hämische Stimme, aber nicht aus diesen grauenhaften Kiefern, sondern aus seinem eigenen Kopf. Es war die Stimme der Moldan.

Es hätte keinen Sinn gehabt, wegzulaufen – es gab nichts, wohin er seine Schritte hätte lenken können. Unentschlossen stand Anvar eine Sekunde lang wie angewurzelt da, bis ihm der Stab der Erde wieder einfiel. Schneller als er es je zuvor getan hatte, konzentrierte er seine Gedanken und rief die Kraft des Stabs, um einen Energiestoß auf das Ungeheuer loszulassen …

Doch nichts geschah. Der Stab lag dunkel und tot in seinen Händen. Ungläubig und wie betäubt versuchte der Magusch es noch einmal. Wieder nichts. Er hätte genausogut einen einfachen Holzstock benutzen können. Und was war aus seinen eigenen Kräften geworden?

Die riesigen Kiefer des Ungeheuers öffneten sich zu einer breit grinsenden Schlucht. In Gedanken hörte Anvar das gräßliche, spöttische Lachen der Moldan. »Möchtest du es nicht noch einmal versuchen?« höhnte das Elementarwesen. »Der Stab der Erde ist von deiner Welt, Zauberer. Wie deine eigene Magie hat er hier keine Macht, hier, wo die Kräfte der Alten Magie noch Bestand haben

BUMM! Ein großes Bein schwang nach vorn, und die Erde sank unter dem gewaltigen, mit Klauen besetzten Fuß des Geschöpfes tief ein. Anvar drehte sich um und floh. Mit tödlicher Geschwindigkeit eilte das Ungeheuer hinter ihm her. Anvar konnte den mißtönenden Donner seiner Schritte, die den Boden beben ließen, hinter sich hören; die großen Beine der Kreatur schleuderten riesige Brocken aus der Erde, während sich der Abstand zu Anvar mehr und mehr verringerte.

Die Angst verlieh seinen zitternden Gliedern neue Kraft, und Anvar stürmte den Hügel hinunter auf den Fluß zu, obwohl er die ganze Zeit über wußte, daß er verloren war. Nirgendwo gab es eine Möglichkeit, sich zu verstecken, und der monströsen Moldan weglaufen zu wollen war sinnlos. Vor ihm lag nur dieser fremde, grüne Fluß – und ein Sprung ins Nichts am Ende des Tals, dort wo die schäumenden, grünen Wasser in einer Wolke aus Gischt verschwanden. Lieber ein schneller Tod, zerschmettert auf den Felsen am unteren Ende des Wasserfalls, als die langsame Qual zwischen den Kiefern des Ungeheuers! Zumindest würde die Moldan auf diese Weise nicht in den Besitz des Stabs der Erde gelangen …

Als Anvar sich dem Flußufer näherte, konnte er hören, wie das Ungeheuer näher und näher kam. Sein heißer Atem umgab ihn wie eine widerlich stinkende Wolke … Mit einer letzten, verzweifelten Anstrengung erreichte Anvar das Ufer und sprang. Die zischende, grüne Flut ergriff ihn, riß ihn direkt aus den zuschnappenden Kiefern der Kreatur. Ihr zorniges Knurren hallte noch durch das Tal, als der Magusch bereits von den Wassern davongewirbelt wurde.

O ihr Götter – wie konnte dieses Wasser ohne Eis so kalt sein? Selbst wenn Anvar gut hätte schwimmen können, hätte er in dieser schnellen, eisigen Strömung keine Chance gehabt. Spuckend und keuchend wirbelte er durch die Flut, erhaschte ab und zu einen Atemzug, wenn sein Kopf die Oberfläche durchbrach, und versuchte verzweifelt, den Atem anzuhalten, wenn er wieder hinabgezogen wurde. Glücklicherweise war das Wasser tief, und in diesem Teil des Flusses gab es nur wenige Felsbrocken. Allmählich wurden Anvars Glieder schmerzhaft taub. Einen Augenblick lang durchbrach sein Kopf noch einmal das Wasser, und zu seinem unaussprechlichen Entsetzen sah er die massige Gestalt der Moldan vor sich, die am Ufer entlanglief und mit ihm Schritt hielt; ihre glitzernden Augen brannten wie zwei Stecknadeln des Zorns in ihrem ausdruckslosen, gepanzerten Gesicht. Aber das war die geringste von Anvars Sorgen. Er verlor seinen Kampf in dem kalten Wasser …

Aurian! Voller Sehnsucht dachte er an seine Gefährtin, als das eisige Wasser in seine Lungen strömte. Dann herrschte für einen düsteren Augenblick Verwirrung und schließlich … Anvar stellte fest, daß er nicht ertrunken war, sondern wieder atmete! Zu spät erinnerte er sich daran, was Aurian ihm über ihre Rettung als Schiffbrüchige erzählt hatte: daß nämlich ihre Lungen sich an das Wasser angepaßt hatten. Da er damals nicht über seine eigenen Kräfte verfügt hatte, war er nicht in der Lage gewesen, diese Veränderung zu vollziehen, diesmal jedoch war es glücklicherweise anders.

Doch zu spät. Die Strömung wurde immer schneller, während der Fluß sich zwischen den steinernen Ufern zusammenzog. Vor sich hörte er ein donnerndes, dröhnendes Tosen. Der Wasserfall! Der Magusch hatte gerade noch Zeit für einen kurzen Blick in die endlose Tiefe unter sich und auf den See, der dort unten lag und aus Anvars Perspektive aussah wie ein kleines, grünes Auge. Dann stürzte er hinab …

Eine Pfote wie eine große, mit Schuppen besetzte Hand fing ihn auf, preßte ihm das Wasser aus den Lungen und riß ihn direkt von dem Abgrund weg. Einen Augenblick lang empfand er nur Schmerz und nahm Dunkelheit wahr. Dann bemerkte Anvar, der wieder Luft zu atmen begonnen hatte, daß er hochgehoben wurde, höher und höher, bis er sich direkt vor der grausam bezahnten Höhle der Kiefer des Ungeheuers wiederfand. Kalte Augen glitzerten unmenschlich und erbarmungslos auf ihn herab, und abermals hörte Anvar die Stimme der Moldan:

»So, kleiner Zauberer – endlich habe ich dich

In dem unirdischen Reich der Phaerie saß die Erdmagusch Eilin im Schloß des Waldfürsten und blickte durch das Fenster, das ihr zeigte, was in der Welt der Menschen vor sich ging. Sie sah den tiefen, dunklen Wald, das undurchdringliche Dickicht, das ihr einst so wohlbehütetes Tal überwucherte. Ihr Blick fiel auf die Brücke, die ihren See überquerte, und folgte dem schlanken Holzbogen über das schimmernde Wasser hinweg zu ihrer eigenen, geliebten Insel. Aber sie lag jetzt einsam und verlassen da; ihr Turm war verschwunden, und an seine Stelle war der gewaltige Kristall getreten, den die Magie wie einen gewöhnlichen Felsen erscheinen ließ und der nichts Geringeres in sich verbarg als das Schwert der Flamme.

Traurig richtete Eilin ihren Blick auf die andere Seite des Sees und sah durch die Magie des Fensters das wunderschöne Einhorn, das ganz aus Licht bestand und unsichtbar war für andere Augen. Seufzend dachte sie an die tapfere Kriegerin Maya, die für eine kurze, glückliche Zeit bei ihr gelebt hatte, bevor sie in dieses atemberaubende Geschöpf verwandelt worden war, das dazu bestimmt war, das Schwert zu bewachen.