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Eilins Blick flog weiter durch den Wald, dorthin, wo der junge Magusch D’arvan, Mayas Geliebter und der Sohn des Waldfürsten, unsichtbar über das kleine Lager der Rebellen wachte, die im Wald Zuflucht gesucht hatten. Weiter flog ihr suchender Blick hinüber in die Stadt Nexis, in das Heim der Magusch, dort, wo Aurian einst gelebt hatte.

Plötzlich fuhr Eilin zusammen, keuchte und spähte noch einmal und aufmerksamer in das Fenster hinein. Was tat der Erzmagusch da in Nexis? Überall um die uralten Mauern herum arbeiteten die Männer aus der Stadt, die von grausamen Soldaten mit Schwertern und Peitschen vorwärtsgetrieben wurden. Riesige vergitterte Schleusentore, die man heben und senken konnte, waren zu beiden Seiten von Nexis über den Fluß gebaut worden.

Die Erdmagusch stieß einen Fluch aus, der ihre Tochter in Erstaunen versetzt hätte, wenn sie ihn gehört hätte. Miathan baute die Stadtmauern wieder auf! Was führte dieses Ungeheuer im Schilde? Hastig lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf die Akademie …

»Eilin! Komm schnell!« Mit einem donnernden Geräusch stand plötzlich Hellorin, der Fürst der Phaerie, vor ihr. Eilin wirbelte herum; es sah dem Phaerie gar nicht ähnlich, auf diese Art seine guten Manieren zu vergessen, und noch mehr erstaunte es sie, den Waldfürsten so erregt zu sehen.

»Schnell!« wiederholte er und griff nach ihrer Hand. »Du mußt mit mir kommen. Es ist etwas höchst Ungehöriges geschehen.«

»Was?« Stirnrunzelnd versuchte Eilin, sich seinem Griff zu entziehen, aber sie konnte seiner Kraft nicht standhalten. Er zog sie von dem Fenster weg in die Mitte des Raumes.

»Ich fühle die Gegenwart Hoher Magie.« Seine Stimme zitterte vor Aufregung. »Irgendwie hat ein Magusch in unsere Welt gefunden!«

»Aurian?« rief Eilin. Wie eine Flamme loderte plötzlich Hoffnung in ihr auf. Hellorin drückte ihre Hand. »Wir werden sofort hingehen und nachsehen«, sagte er zu ihr.

Schneller als ein Blitz war die Große Halle der Phaerie verschwunden, in der die Erdmagusch sich befunden hatte. Dann flog sie mit Hellorin zusammen über den ausdruckslosen, bernsteinfarbenen Himmel, und die Landschaft war nichts als ein schwindelerregender Wirbel weit unter ihnen. Eilins Herz schlug schneller. Ihre Finger, mit denen sie die Hand des Waldfürsten umklammerte, schlossen sich krampfhaft, und sie schluckte noch einmal, bevor sie ihre Augen fest schloß. Das half. »Ist – ist es noch weit?« stotterte sie. Die Geschwindigkeit ihres Fluges riß ihr die Worte von den Lippen, sobald sie sie ausgesprochen hatte, daher versuchte sie es mit Gedankenübertragung und wiederholte ihre Frage.

»Weit, nahe …« Sie spürte sein Achselzucken. »Lady, in dieser Welt gelten die Regeln menschlicher Entfernung nicht. Ich suche nach Spuren fremder Magie, und sobald ich sie gefunden habe, werden wir dort sein.«

Für Eilin schien eine ganze Ewigkeit zu vergehen, bevor der Waldfürst sie so sanft wie ein vom Baum fallendes Blatt auf dem Boden absetzte. Im gleichen Augenblick, in dem ihre Füße die Erde berührten, kehrten auch die Geräusche zurück – das Dröhnen gewaltiger Füße, gefolgt von einem gräßlichen Mißklang grauenerregenden Fauchens. Mit einem erschrockenen Aufschrei öffnete die Erdmagusch die Augen – und erblickte ein Ungeheuer, eine monströse, furchteinflößende, mit riesigen Fangzähnen ausgestattete Kreatur, die auf ihren Hinterbeinen stand, so groß wie ein Berg … In ihren massigen Vorderpfoten hielt sie eine winzige, menschliche Gestalt, deren Gesicht aus dieser Entfernung nicht zu erkennen war. Eilins Mund wurde trocken. War es Aurian?

»Nein!« schrie sie und stürzte auf das Ungeheuer zu, obwohl sie nicht wußte, was sie tun würde, wenn sie bei ihm ankäme. Aber das eine wußte sie, daß sie nicht tatenlos zusehen konnte.

Eine Hand hielt sie fest und riß sie roh zurück. »Bleib hier, Eilin! Ich werde mich darum kümmern.« Hellorins Augen blitzten gefährlich auf. Dann verschwand er, um gleich darauf am Flußufer wieder aufzutauchen, wo er sich dem Ungeheuer in den Weg stellte – aber jetzt hatte er seine klägliche Menschengestalt abgeschüttelt. Hoch ragte er auf, bis in den Himmel, viel höher noch als das Ungeheuer; sein Mantel waren Wolken und Schatten, und die Sterne glitzerten wie Juwelen in den Zweigen seiner großen Hirschkrone. Eilin stockte vor Ehrfurcht der Atem. Das war das erste Mal, daß sie den Waldfürsten in seiner ganzen Größe und Majestät erblickte. Lichtblitze zuckten aus seinen wütenden Augen, und seine gewaltige Stimme donnerte durch das Tal. »Moldan – wirst du es wagen?«

Das Ungeheuer schrak zurück. Seine großen Fangzähne blitzten weiß auf, als es ihm seine Wut entgegenschleuderte. Obwohl es nur seine Gedanken benutzte, um mit dem Waldfürsten zu sprechen, waren diese Gedanken doch so mächtig, daß Eilin sie deutlich hören konnte. »Halte dich aus meinen Angelegenheiten heraus, Waldfürst! Sollen sich die Phaerie doch anderswo ihre Beute suchen! Dieser Zauberer gehört mir

»Das glaube ich nicht«, sagte Hellorin gelassen. Eilin trat unwillkürlich einen Schritt zurück, und ihr Herz zog sich zusammen angesichts der Drohung, die in diesen wenigen, leisen Worten lag. »Willst du deine Kräfte messen mit der Macht der Phaerie?« fuhr der Waldfürst fort. »Gib mir den Zauberer, Moldan, und verschwinde wieder in deinen Berg – oder ich schleudere dich so weit von allem fort, das lebt, daß du niemals mehr zurückkehren wirst!«

»Diese Beute gehört mir!« Eilin bemerkte einen plötzlichen Beiklang des Zweifels in der Stimme der Kreatur.

Hellorin lächelte. »Dann setz den Zauberer ab, Moldan, und kämpfe mit mir um ihn.«

»Niemals!« Das Wort war ein einziges Fauchen. Das Ungeheuer hob die winzige Gestalt an sein Maul und öffnete seine schauerlichen Kiefer. In diesem Augenblick löste sich aus Hellorins Hand ein gewaltiger Strahl blauweißen Feuers, der die Moldan zischend genau zwischen den Augen traf. Mit einem schrillen Schrei ließ das Ungeheuer seine Beute fallen. Eilin hielt entsetzt den Atem an, aber die große Hand des Waldfürsten fing die fallende Gestalt auf und legte sie sanft ins Gras, wo ihr nichts passieren konnte.

Das Ungeheuer schien inzwischen zusammenzuschrumpfen; rauchend-bläuliche Flammen rannen ihm aus den Augen, und seine Kiefer öffneten sich zu einem endlosen Schrei, während sein großer Schwanz gequält um sich schlug. Lebendige Blitze krochen in einem tödlichen Netzwerk über seinen Leib, versengten ihn an jeder Stelle, an der sie ihn berührten. Mit einem letzten schrillen Aufschrei brach die Moldan zusammen und fiel in den tosenden Fluß, wo die kalten, grünen Wasser sie gierig verschlangen und sie über den Rand des Wasserfalls stürzten.

Als sei ein Bann gebrochen, lief Eilin los und warf sich neben der zusammengekrümmten Gestalt des Magusch zu Boden. Einen Augenblick lang brannte die Hoffnung hell in ihren Augen … Aber die Gestalt war nicht Aurian. Die Erdmagusch runzelte verwirrt die Stirn, betrachtete das dunkelblonde Haar, die blauen Augen, die sich in diesem Augenblick mit einem Blick öffneten, der von tiefem Entsetzen gezeichnet war. »Ich kenne dich nicht«, sagte sie anklagend.

Anvar war am ganzen Leib zerschunden und bis auf die Knochen durchgefroren von seinem Bad im Fluß. Sein gequälter Körper wollte nicht aufhören zu zittern, und die Nachwirkungen des Schreckens stürzten seine Gedanken in einen Strudel der Verwirrung. Sein Verstand weigerte sich zu begreifen, was in Wirklichkeit geschehen war. Die gewaltige Schattengestalt, die riesige Hand, die ihn aufgefangen und in Sicherheit gebracht hatte … Es mußte ein Traum gewesen sein – eine Art Halluzination, die auf extreme Angst zurückzuführen war. Die Worte dieser fremden Frau schienen so sinnlos, so – so normal nach seinem letzten verrückten und beängstigenden Abenteuer, daß Anvar in hysterisches Gelächter ausbrach. Ihr wütendes Stirnrunzeln und ihre ungeduldigen Worte trugen nur dazu bei, daß er nun vollends die Fassung verlor. Während er den Stab, den er selbst in der Umklammerung des Ungeheuers verzweifelt festgehalten hatte, an seine Brust preßte, lachte Anvar, bis ihm die Tränen übers Gesicht rannen, bis seine Rippen schmerzten, bis er keine Luft mehr bekam und nur noch hilflos keuchen konnte.