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Ein Schatten senkte sich über seinen von Tränen verschwommenen Blick, als eine andere Gestalt neben die Frau trat. Anvar wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, blickte auf und erkannte den Riesen, der die Moldan besiegt hatte und der jetzt auf beinahe menschliche Größe geschrumpft war. Das Lachen erstarb ihm in der Kehle. »Es war also Wirklichkeit …« ächzte er. Über dem Kopf des Fremden schwebte wie ein unwirklicher Schatten das Bild einer weit verzweigten, mit einem Geweih geschmückten Krone. Dann fiel der Blick des Magusch auf diese Hand, die jetzt nicht größer war als seine eigene. Die Hand, die groß genug gewesen war, um seinen Körper aufzufangen … Langsam hob er den Blick von der Hand zu diesen unergründlichen, nicht menschlichen Augen. »Wer bist du?« flüsterte er.

Der Mann antwortete ihm nicht, sondern sah statt dessen die Frau an. »Es tut mir leid, Lady«, sagte er. »Ich hatte so für dich gehofft, daß … Aber da dies nicht Aurian ist, möchte ich doch wissen, wer …«

»Aurian?« Anvars Furcht war vergessen. »Was wißt ihr von Aurian?«

Die Hand der Frau schoß hervor, um seinen Arm zu umklammern, und ihre Finger gruben sich wie Klauen in seine Haut. »Was weißt du von ihr?« stieß sie hervor. In ihren Augen loderte heiße Sehnsucht. »Hellorin sagte, du seiest ein Magusch, aber ich kenne alle Magusch. Du bist keiner von ihnen. Was hast du mit meiner Tochter zu tun?«

»Du bist Eilin?« ächzte Anvar. »Aurians Mutter? Aber wo, zum Kuckuck, bin ich denn jetzt?«

»In meinem Reich«, erwiderte die tiefe Stimme des Mannes. Er blickte noch einmal zu Eilin hinüber. »Ich glaube, wir sollten ihn besser nach Hause bringen.« Mit diesen Worten legte er Anvar eine Hand auf die Stirn, und dann verlor der Magusch das Bewußtsein.

Als Anvar erwachte, lag er zusammengerollt in einem tiefen, weichen Sessel neben einem hell lodernden Feuer. Jemand hatte ihn in eine Decke aus einem merkwürdigen Stoff eingehüllt, der leicht und doch warm war, und er trug ein Hemd aus dem gleichen Stoff, dessen Farbe ein schimmerndes, wechselhaftes Graugrün war. Außerdem bemerkte er, daß er ein Lederwams anhatte. Für einen Augenblick erfaßte ihn panische Angst, und er suchte verzweifelt nach dem Stab der Erde, aber zu seiner Erleichterung lehnte er neben ihm am Sessel. Erst jetzt bemerkte er den niedrigen Tisch vor dem Feuer, auf dem Essen und Trinken standen. Und erst jetzt sah er, daß ihm seine beiden Retter gegenübersaßen. Als er sich in dem Raum umsah, weiteten sich seine Augen vor Überraschung. »Also wirklich, das ist ja genauso wie die Große Halle in der Akademie«, stieß er hervor.

Der Mann ließ von seinem Platz auf der anderen Seite des Kamins ein Kichern hören. »Genau D’arvans Worte! Bezweifelst du immer noch, Eilin, daß er ein Magusch ist?«

»D’arvan?« unterbrach Anvar ihn verblüfft. »D’arvan ist hier?« Von Minute zu Minute wurde ihm klarer, daß es sich um einen Traum handeln mußte.

»Du kennst meinen Sohn?«

»Was ist mit Aurian?«

Die beiden Fremden hatten gleichzeitig zu sprechen begonnen. Anvar sah von einem Gesicht zum anderen. »Ich glaube nicht, daß ich im Augenblick überhaupt noch etwas weiß«, seufzte er.

Ein Ausdruck, der stark an Mitleid erinnerte, ließ das strenge, fein gemeißelte Gesicht von Anvars Retter plötzlich weicher erscheinen. »Hier.« Er reichte dem Magusch einen randvoll mit Wein gefüllten Kristallkelch. »Trink, iß und erhol dich erst einmal! Du hast den Schock über den Angriff der Moldan noch immer nicht ganz überwunden Ich werde dir sagen, was du wissen willst, und dann …« Sein Gesichtsausdruck wurde wieder hart. »Dann wirst du unsere Fragen beantworten, Magusch. Ich bin ganz besonders begierig darauf zu erfahren, wie eines der Artefakte der Macht in deinen Besitz gekommen ist.«

»Und wo meine Tochter ist«, fügte Eilin grimmig hinzu.

Die Erklärungen dauerten einige Zeit. Anvar, der sich verzweifelt wünschte, möglichst schnell zu Aurian zurückkehren zu können, war gezwungen, sich mit den Versicherungen des Waldfürsten zu trösten, daß Zeit in dieser »Anderwelt«, die das Reich der Phaerie war, keine Bedeutung hatte – und um die Wahrheit zu sagen, wollte er auch selbst wissen, was der Erzmagusch während seiner und Aurians Abwesenheit in Nexis getrieben hatte.

Der Bericht über Davorshans Tod und über das, was anschließend D’arvan und Maya widerfahren war, brachte den Magusch aus der Fassung, noch mehr schockierte es ihn jedoch zu hören, daß Eliseth immer noch lebte. »Bist du sicher?« fragte er Eilin, die ihm diese Neuigkeit überbracht hatte. »Aurian und ich waren sicher, daß wir sie getötet hätten.«

Eilin nickte. »Ich habe sie in Hellorins Fenster gesehen, von dem aus man die Welt betrachten kann. Was ihr gespürt habt, muß der Tod Bragars gewesen sein. Ich habe gesehen, wie der Erzmagusch seine Verbrennung vollzogen hat.« Sie beugte sich ängstlich vor. »Aber wieso habt ihr denn geglaubt, ihr hättet Eliseth ermordet? Erzähl mir jetzt von dir selbst und von Aurian.«

Die Erdmagusch schrie vor Überraschung leise auf, als Anvar ihr erzählte, daß er Miathans Sohn war, ein Halbblutmagusch und ehemaliger Diener von Aurian, bis er, nachdem er mit seiner Herrin ins Südland geflohen war, seine Kräfte wiedererlangt hatte. Anvar wünschte jedoch, er hätte rechtzeitig daran gedacht, daß Eilin nichts von Aurians Schwangerschaft wußte – und schon gar nichts von Miathans Verfluchung des Kindes. Er hatte keinen Augenblick daran gedacht, sie schonend vorzubereiten, sondern sprudelte die Neuigkeiten einfach heraus. Als er das Entsetzen und die Sorge sah, die er verursacht hatte, verfluchte er sich für seine Ungeschicklichkeit.

Der Waldfürst flößte Eilin Wein ein und tröstete sie, und als sie sich soweit erholt hatte, daß Anvar fortfahren konnte, erzählte der Magusch ihnen auch noch den Rest – von seinem Sieg über Schwarzkralle in Aerillia und von der Falle, die die Moldan ihm gestellt hatte. »Und jetzt«, beendete er seine Erzählungen und blickte flehentlich den Fürsten der Phaerie an, »wenn du so freundlich sein würdest, mich in meine eigene Welt zurückzuschicken, ich muß wieder zu Aurian. Das Kind müßte mittlerweile auf der Welt sein und sie …« Der Ausdruck auf Hellorins Gesicht brachte ihn mitten im Satz zum Schweigen. Plötzlich schien das Zimmer um Anvar herum sehr kalt zu werden. »Du kannst mich nicht zurückbringen, nicht wahr?«

Hellorin seufzte. »Es tut mir sehr leid, aber ich kann dich tatsächlich nicht in deine eigene Welt zurückschicken. Das liegt nicht in meiner Macht. Aber …« Ein Strahlen erhellte seine unergründlichen, dunklen Augen. »Ich kann dich darüber hinaus schicken, über die dunkelste Straße Zwischen den Welten, zur Herrin der Nebel. Ich warne dich, der Weg ist voller Gefahr, aber sie hat die Macht, dich zurückzubringen, wenn sie es wünscht, und bei ihr ist auch die Windharfe, eines der verlorenen Artefakte, die du suchst.«

Die Erregung ließ Anvars Herz schneller schlagen. Die Harfe! Noch ein Artefakt. Schon jetzt wußte er, daß er das Risiko auf sich nehmen und über diese dunkelste Straße gehen würde, aber als er auf Hellorins fragenden Blick hin zustimmend nickte, war es nicht die Harfe, die seine Gedanken beherrschte. Es war der Wunsch, so schnell wie möglich zu Aurian zurückzukehren.

Könnte ich doch nur weinen! Aber als Aurian mir die Augen aus dem Gesicht gebrannt hat, hat sie damit auch alle Hoffnung auf heilende Tränen zerstört. Miathan saß müde und in sich zusammengesunken vor seinem Feuer. Plötzlich spürte er jedes Jahr der zwei Jahrhunderte, die er durchlebt hatte. Bis zu ihrer letzten Begegnung hatte der Erzmagusch es fertiggebracht, sich selbst zu täuschen, was das Ausmaß von Aurians Haß betraf. Aber das war jetzt nicht mehr möglich, der Blick ihrer Augen hatte ihn durchbohrt, als hätte sie einen Speer in sein Herz gestoßen. Wie konnte er sie angesichts solch tiefer, tödlicher Abscheu je zurückgewinnen?