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Jetzt, da er gezwungen worden war, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, entsetzte ihn das Ausmaß seiner Irrtümer. Ich hätte Forral niemals töten dürfen, dachte er. Das war mein erster und größter Fehler – und mein erster Schritt auf dem Weg, der uns zu diesem furchtbaren Tag geführt hat. Der Kommandant war ein Sterblicher gewesen – so sehr es mich geärgert hat, ich hätte doch nur zu warten brauchen … Und wäre Anvar nicht mit Aurian geflohen, hätte auch er niemals seine Kräfte wiedererlangt. Er wäre hiergeblieben, ein niedriger Diener unter meiner Kontrolle. Und das Kind – wäre es mit Aurians Kräften geboren worden, hätte es vielleicht ein großer Magusch werden können, ein Gewinn für unsere so klein gewordene Gemeinschaft … aber an dieser Stelle gebot Miathan seinen Gefühlen Einhalt. Er hätte es einfach nicht ertragen können, wenn Aurians Halbblutmischling der erhabenen Gesellschaft der Magusch beigetreten wäre, ebensowenig wie er den Gedanken daran ertragen konnte, daß Anvar …

Und doch – Miathan biß die Zähne zusammen und zwang sich, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen –, Aurian und Anvar waren praktisch die einzigen Magusch, die ihm noch geblieben waren. Dank seiner Dummheit in der Nacht der Todesgeister waren Finbarr und Meiriel nicht mehr da. Und D’arvan – nun der war ohnehin nicht von großem Nutzen gewesen, aber auch er war nun auf jeden Fall verloren. Davorshan war tot und Eilin von der Bildfläche verschwunden. Die einzige Magusch, die Miathan jetzt noch hatte, war Eliseth, und der konnte er nicht trauen.

Aurian war nun seine einzige Hoffnung, die einzige Vollblutmagusch, auf die er vielleicht noch Einfluß ausüben konnte. Und außerdem war sie Aurian, und er hatte sie von Anfang an begehrt. Ich muß sie zurückgewinnen, dachte Miathan verzweifelt. Ich muß – aber wie? Nicht, indem er Anvar tötete, soviel stand fest. Selbst wenn es ihm überhaupt gelingen sollte, den Magusch zu finden. Wenn er das tat, würde er seine Chancen damit vollkommen zunichte machen. Nein, so widerwärtig der Gedanke auch sein mochte, Anvar mußte verschont werden – zumindest für den Augenblick. Das sollte ihm eigentlich Aurians Dankbarkeit eintragen, und später konnte er sich ja immer noch eine Möglichkeit ausdenken, sich zwischen die beiden zu stellen.

Und das Kind? Miathan schauderte, riß sich dann jedoch zusammen. Er warf einen verstohlenen Blick zu dem verborgenen Versteck hinter der Wand, wo die glanzlosen, verfluchten Überreste des Kessels verborgen lagen. Gab es eine Möglichkeit, den Fluch wieder rückgängig zu machen? Und würde er sie rechtzeitig entdecken können?

»Tausendmal verdammt sollst du sein! Wie konntest du sie entkommen lassen!« Die Tür prallte heftig gegen die Wand und vibrierte in ihren Angeln. Mit zornesbleichem Gesicht stand Eliseth vor ihm. »Ich verfluche dich!« fauchte sie. »Ich hätte es die ganze Zeit über wissen müssen, daß du vorhattest, mich zu betrügen und zu hintergehen!«

Die Jahre fielen von Miathans Schultern ab wie ein Mantel. Mit einem Ruck sprang er auf die Füße und schleuderte ihr einen Machtstrahl entgegen, der wie ein Peitschenschlag über ihr Gesicht fuhr, wo er einen häßlichen, dunkelroten Striemen hinterließ. »Schweig still! Trotz all deiner Machenschaften bin ich immer noch der Erzmagusch!«

Eliseth taumelte, drehte sich halb herum und schlug sich die Arme über das Gesicht. Als sie sie senkte, standen Tränen des Schmerzes in ihren Augen, aber sie faßte sich schnell wieder und sah ihm direkt in die Augen. Heißer Zorn verzerrte ihre lieblichen Züge. »Erzmagusch von was?« höhnte sie. »Hast du in letzter Zeit mal aus deinem Fenster gesehen, Miathan? Hast du bei all deinen endlosen Geistreisen je daran gedacht, hinabzublicken und zu sehen, was mit deiner Stadt geschieht? Was in dem Land geschieht, das du jetzt beherrschst? Du bist Erzmagusch über eine Handvoll ignoranter, gemeiner Sterblicher – halb verhungert, mürrisch und vom Haß verbittert. Ist das die Macht, die du so begierig und zu einem so hohen Preis gesucht hat?« Sie stieß ein schrilles Lachen aus. »Während du deine Zeit damit verschwendest, wie ein sabbernder, geistloser Greis dieser Hündin hinterherzujammern, bricht dein neugewonnenes Reich um dich herum in Stücke!«

Innerlich schrak Miathan vor der Gehässigkeit in ihrer Stimme zurück. Er war jedoch zu vorsichtig, um auch nur die geringste Spur von Betroffenheit auf seinem Gesicht zu zeigen. Der Zorn, der normalerweise eine heiße Explosion war, baute sich nun wie eine träge, rote Hut in ihm auf, machte seinen Willen hart wie Stahl und ließ seine Kräfte anschwellen. Einen Augenblick hielt er inne und kostete das Gefühl rückhaltlos aus.

Die Wettermagusch, die eindeutig seine gewohnte, heftige Reaktion auf seinen solchen Affront erwartet hatte, schien verblüfft zu sein. Dieser winzige Augenblick des Zögerns und des Zweifelns war ihr Verderben. Miathan durchbohrte sie mit seinem glitzernden Schlangenblick und hielt sie reglos und entsetzt in seinem Bann, während er mit einem flüsternden Singsang die Worte eines Zaubers zu sprechen begann.

»Nein!« Trotz seiner Kontrolle über ihren Willen entrann sich Eliseths Kehle dieses eine Wort, das nicht mehr als ein Wimmern war. Ihre Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen, ihre schlanken, weißen Finger krümmten und streckten sich abwechselnd. Während Miathan mit kaltem Lächeln zusah, begann ihr Gesicht sich zu verändern; die klaren, vollkommenen Linien verwischten sich und sanken in sich zusammen – bis Miathan den Zauber jäh unterbrach.

Eliseth, die nun plötzlich von den Fesseln seines Willens befreit war, taumelte und mußte sich an der Tür festhalten, um aufrecht zu stehen. Als sie dann endlich ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, flogen ihre Hände augenblicklich zu ihren Wangen, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Stöhnend stürzte sie durch das Zimmer zum nächsten Spiegel und starrte das Bild, das ihr entgegensah, fassungslos an.

Miathan kicherte. »Zehn Jahre, Eliseth. Zehn kleine Jahre. Ein Tröpfchen in dem endlosen Ozean unserer Unsterblichkeit. Aber welchen Unterschied zehn Jahre doch für dieses makellose Gesicht ausmachen! Ist dein Körper vielleicht etwas weniger straff? Ein kleines bißchen weniger aufrecht und schlank?« er grinste höhnisch. »Es ist fast noch schlimmer, als ein altes Weib zu sein, nicht wahr, diese unerbittlichen Anzeichen des Verfalls und die Narben mitansehen zu müssen.«

Eliseth drehte sich sprachlos und zitternd zu ihm um, und Miathan wußte, daß er sie besiegt hatte. »Das letzte Mal, als ich dich altern ließ und du mir getrotzt hast, konntest du das tun, weil du nichts mehr zu verlieren hattest. Aber ich habe aus meinem Fehler gelernt, meine Liebe. Diesmal wird es anders sein.« Seine Stimme war plötzlich hart wie Stein. »Jedesmal, wenn du dich mir widersetzt, werde ich deinem Alter zehn weitere Jahre hinzufügen. Ich würde dir vorschlagen, sehr sorgfältig über die Konsequenzen nachzudenken, bevor du es noch einmal wagst, dich mir in den Weg zu stellen. Und Eliseth – laß Aurian in Ruhe! Wenn du auch nur den kleinen Finger gegen sie erhebst, werde ich dich nicht sterben lassen, sondern dafür sorgen, daß du dir tausendmal wünschst, ich hätte es getan.«

Als Eliseth sich niedergeschlagen umdrehte, um davonzuschleichen, warf er ihr mit vorsätzlicher und bösartiger Schläue noch einen Brocken hin. »Übrigens habe ich dich nicht zugunsten von Aurian verstoßen, was immer du auch glauben magst. Denn trotz dieser zehn zusätzlichen Jahre bist du immer noch wunderschön.« Er durchquerte den Raum und nahm ihr Gesicht in seine Hände. Eliseth starrte ihn zornig an, aber er sah, daß ein kleiner Funke des Zweifels die stählerne Wand des Hasses hinter ihren Augen für einen Augenblick durchbrach.