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Als sie in der Tür stand und dem Himmelsmann nachsah, wie er durch die mit Schnee beladenen Wolken schwebte, spürte die Magusch, wie jemand neben sie trat. Yazour stand hinter ihr, und sein Gesicht verriet deutlich, daß er sich Sorgen machte. »Aurian, ist es klug, daß du Rabe noch einmal dein Vertrauen schenken willst?« fragte er sie.

Aurian zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine andere Wahl«, erwiderte sie. »Ich muß persönlich nach Aerillia, wenn ich herausfinden will, was mit Anvar geschehen ist. Außerdem, welche Wahl hat sie denn schon? Nach dem, was Anvar Shia über die Zerstörung von Rabes Schwingen erzählt hat, sind meine heilenden Kräfte ihre einzige Hoffnung, jemals wieder fliegen zu können. Und wenn sie meine Hilfe will, wird sie verdammt gut beraten sein, meine Bitte zu erfüllen und mir ihre geflügelten Krieger zu schicken, die uns nach Aerillia bringen.«

»Und wen willst du mitnehmen?«

Aurian lächelte dem Krieger zu. »Das hört sich ja genauso an wie eine von Anvars Fragen. Es ist eigentlich gar keine Frage.«

Yazour nickte. »Ich werde mit dir gehen, es sei denn, du tust etwas sehr Drastisches, um mich davon abzuhalten.«

»Yazour, ich muß gar nichts Drastisches tun. Deine Wunden wären schon genug.« Als sie den ernsten Ausdruck auf seinem Gesicht sah, hörte Aurian sofort auf, ihn zu necken. »Jetzt, da ich meine Kräfte zurückhabe, kann ich dich jedoch im Nu wieder heilen.« Sie legte eine Hand auf seinen Arm. »Ich möchte, daß du mit mir kommst, Yazour. Abgesehen von Anvar gibt es niemanden, den ich lieber an meiner Seite hätte. Was die anderen betrifft«, sie seufzte. »Nun, ich werde auf jeden Fall Chiamh mitnehmen, aber bei den anderen weiß ich es wirklich nicht. Nereni und Eliizar kommen nicht in Frage, soviel steht fest. Nach dem, was sie durchgemacht haben, kann ich sie unmöglich trennen, und ich brauche Nereni hier, damit sie sich um Wolf kümmert …«

Die Magusch hörte, wie Yazour scharf die Luft einsog. »Da könntest du vielleicht Schwierigkeiten bekommen«, sagte er.

»Wie meinst du das?« Aurian war froh über seine Warnung. Seit ihrer Rückkehr war sie über die Schweigsamkeit von Eliizar und seiner Frau sehr verwundert und nicht wenig verletzt gewesen. Obwohl seine Freude, sie wiederzusehen, offensichtlich echt gewesen war, hatte der frühere Schwertmeister kaum etwas gesagt und schien vor ihrer Berührung sogar zurückzuschrecken, während Nereni es geschafft hatte, der Magusch geflissentlich aus dem Weg zu gehen, indem sie so tat, als sei sie ganz mit den Vorräten beschäftigt, die die Soldaten ihnen zurückgelassen hatten.

Mit leichtem Druck auf ihren Arm zog Yazour Aurian zur Seite, so daß sie in das vom Feuer erleuchtete Turmzimmer sehen konnte. »Hab Geduld mit ihnen, Herrin. Der Wolfling macht ihnen Angst.« Er zeigte auf das schlafende Junge, das in eine Decke gehüllt war und nun in den Armen des strahlenden Eunuchen lag, der von dem winzigen Wesen hellauf entzückt war. Der junge Krieger runzelte leicht die Stirn. »Ich muß allerdings zugeben, Aurian, daß ich, als du mir davon erzählt hast …« Er brach mitten im Wort ab, und die Magusch spürte, wie ein Schaudern durch seinen geschmeidigen Körper lief.

»Es wird alles in Ordnung kommen, Yazour«, beruhigte Aurian ihn. »Sobald ich den Stab von Anvar zurückbekommen habe, sollte es mir möglich sein, Miathans Fluch wieder aufzuheben.«

»Das hoffe ich sehr.« Yazour warf einen traurigen Blick auf das Wolfsjunge und legte einen Arm um die Schultern der Magusch. »Arme Aurian! Nach all deinem langen Warten diesem Wesen hier gegegenüberzustehen, statt dem Kind, nach dem du dich so gesehnt hast.«

Im Angesicht seines Mitleids spürte Aurian, wie sich ihre Kehle zusammenschnürte. »Es ist nichts verkehrt mit Wolf!« rief sie wild. Yazour erschrak über ihre Heftigkeit, und sie warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. »Es tut mir leid«, seufzte sie. »Wie kann ich auch erwarten, daß ihr das versteht? Und was noch schlimmer ist, wie kann ich Eliizar und Nereni beruhigen, da die beiden doch solche Angst vor Magie haben?«

Das war nur eines von Aurians Problemen. Bevor die Himmelsleute zurückkehrten, um sie nach Aerillia zu tragen – was sie hoffentlich tun würden –, mußte sie den Schwertmeister und seine Frau irgendwie beruhigen und außerdem für die Zeit ihrer Abwesenheit eine Nahrungsquelle für ihr Kind finden. Es blieb auch noch die Frage zu klären, was mit den überlebenden Soldaten von Harihn geschehen sollte, die zur Zeit dank dem Kavalleriehauptmann und seiner merkwürdigen Armee sicher im Kerker eingeschlossen waren. Und wie würden Parric und die Xandim in ihre Pläne passen? Mit einem schiefen Lächeln erinnerte Aurian sich an den Rat, den Forral ihr vor so langer Zeit einmal gegeben hatte: »Mach immer nur einen Schritt gleichzeitig und kümmere dich um das Wichtigste zuerst. Dann wirst du in aller Regel feststellen, daß der Rest sich ganz von allein regelt

Unbewußt nahm die Magusch die Last der Verantwortung wieder auf, die sie in der Zeit, in der sie ohne ihre Kräfte gewesen war, abgelegt hatte. »Genau!« sagte sie entschlossen. »Yazour, ich möchte, daß du jetzt sofort mit Harihns Soldaten sprichst. Du hast sie früher befehligt – sie sollten dir eigentlich immer noch vertrauen. Nach dem, was Parric sagt, kann nicht einmal er als Rudelfürst die Xandim dazu bewegen, ihren Feinden Zuflucht zu bieten, aber noch ist nicht alles verloren. Viele von ihnen haben Menschen, die ihnen am Herzen liegen, im Wald zurückgelassen, und das Land zwischen der Wüste und den Bergen ist reich und sicher. Sag ihnen, daß wir sie freilassen, wenn wir aufbrechen, und daß sie in den Wald zurückkehren und sich dort niederlassen sollen.« Einen Augenblick lang leuchtete ihr Gesicht auf, und ein schelmisches Lächeln zeigte sich in ihren Zügen. »Wer weiß – wir sind vielleicht verantwortlich für die Gründung eines ganz neuen Königreiches!«

»Lady, vielen Dank!« Die Erleichterung in Yazours Gesicht war unübersehbar. Aurian wußte, daß er sich über die Leute, die in Harihns Diensten geblieben waren, Sorgen machte. Schnell wie der Blitz war er verschwunden und lief zu den Kerkern hinunter.

Was ihren Sohn betraf … Aurian trat allein hinaus in das Dickicht das den Turm umgab, und sandte ihren Willen aus, um noch einmal die Wölfe herbeizurufen.

Das Rudel hatte sich nicht weit vom Turm entfernt und war binnen wenigen Sekunden bei der Magusch. Nach einer kurzen Besprechung mit dem Leitwolfpaar fand Aurian ein anderes Paar – denn Wölfe hatten, wie Falken, einen Lebensbund und blieben für immer beieinander –, das bereit war, seine Brüder zu verlassen und mit Menschen zusammenzuleben, um dabei zu helfen, ihren kleinen Sohn aufzuziehen. Obwohl die Wölfe gerade keinen eigenen Welpen hatten, machten Aurians heilende Kräfte es dem Weibchen schon bald möglich, die Milch zu produzieren, die das kleine Junge brauchte. Nachdem Aurian sich mit von Herzen kommenden Dankesworten von den Rudelführern verabschiedet hatte, kehrte sie zum Turm zurück; Wolfs neue Pflegeeltern glitten wie schweigende Schatten hinter ihr her.

Leider war es schwieriger, als sie gedacht hatte, Eliizar und Nereni von ihrem Vorhaben zu überzeugen. Nur die Drohung, den Kleinen bei dem Wolfsrudel draußen in der Wildnis zu lassen, gab schließlich den Ausschlag. Nerenis Zweifel lösten jedoch das Problem Bohan. Aurian wollte ihn nicht mit nach Aerillia nehmen, hatte aber erwartet, daß sie große Schwierigkeiten haben würde, ihn dazu zu bringen, noch einmal von ihrer Seite zu weichen, und sie wollte auf keinen Fall seine Gefühle verletzen. Aber so, wie die Dinge lagen, hatte der Eunuch sich bereits mit wildem Beschützerdrang dem Wolfling zugewandt und war nur allzugern bereit, als seine Leibwache zurückzubleiben.

Zum Schluß blieb nur noch Parric, der vor Wut schäumte, weil er als Rudelfürst gezwungen war, bei den Xandim zu bleiben, und nicht mit Aurian nach Aerillia kommen durfte. Als sie auch dieses letzte Problem gelöst hatte, war sie die ewigen Auseinandersetzungen von Herzen leid und hatte nichts anderes mehr im Sinn als ihre Angst um Anvar. Um sich ein wenig abzulenken, heilte sie Yazour und ebenso Eliizar (trotz seines offensichtlichen Widerwillens), Bohan und Elewin, der noch immer unter den Nachwirkungen der langen, hastigen Reise durch die Berge litt, die er mit den Xandim unternommen hatte. Parric hatte den alten Haushofmeister eigentlich in der Festung zurücklassen wollen, aber Chiamh und Sangra waren dagegen gewesen. Nicht alle Xandim hatten sich Parrics Streitmacht angeschlossen, und nicht alle waren von seinem Recht auf den Titel des Rudelfürsten überzeugt. Hätten sie Elewin in der Festung zurückgelassen, hätte er die Rückkehr seiner Freunde wahrscheinlich nicht mehr erlebt. Nun beharrte er stur darauf, daß allein das Wiedersehen mit Aurian ihn um Jahre jünger gemacht hätte. Aurian wußte jedoch, daß er zutiefst enttäuscht darüber war, nicht auch Anvar wiedergefunden zu haben, und daß er ihre Sorge um das Schicksal des verschwundenen Magusch von ganzem Herzen teilte.