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Er hatte nicht herablassend sein wollen. Er hatte gedacht, daß ich krank sei, und Kranke muß man herumkommandieren. Er war vollkommen offen mit mir und erwartete als Gegenleistung dieselbe Offenheit, die ich aber womöglich nicht aufbringen konnte. Sein Stolz wurde eben nicht von Maßstäben der Männlichkeit kompliziert.

Wenn er jedoch all seine Maßstäbe des shifgrethor mißachten konnte, wie er es, das mußte ich zugeben, mir gegenüber getan hatte, dann konnte ich andererseits wohl auch auf den kämpferischen Konkurrenztrieb meiner männlichen Selbstachtung verzichten, die er mit Sicherheit ebensowenig verstand wie ich seinen shifgrethor.

»Wieviel haben wir heute geschafft?«

Er drehte sich um und sah mich lächelnd an.»Sechs Meilen«, sagte er.

Am nächsten Tag schafften wir sieben Meilen, am Tag darauf zwölf, am dritten Tag ließen wir den Regen, die Wolken und die von Menschen bewohnten Regionen hinter uns. Es war der neunte Tag unserer Wanderung. Wir befanden uns jetzt ungefähr zweitausend Meter über dem Meeresspiegel auf einem Hochplateau, das von jüngster Vulkantätigkeit zeugte: in den Feuerbergen der Sembensyen-Kette. Das Plateau verengte sich nach und nach zu einem Tal, das Tal zu einem Paß zwischen zwei langgestreckten Bergkämmen. Als wir uns dem Ende des Passes näherten, wurden die Regenwolken allmählich dünner, bis sie schließlich zerrissen. Ein kalter Nordwind vertrieb sie ganz und legte die Gipfel zu unserer Rechten und Linken frei — Basalt mit Schnee, ein buntscheckiges Muster aus Schwarz und Weiß, im hellen Glanz der strahlenden Sonne an einem leuchtend blauen Himmel. Vor unseren Füßen, vom Wind leergefegt, lagen tief unten verschlungene Täler voll Geröll und Eis. Und auf der anderen Seite dieser Täler erhob sich eine riesige Wand, eine feste Mauer aus blankem Eis, und als wir unsere Blicke an dieser immensen Mauer emporwandern ließen, wurde uns klar, daß wir das Große Eis vor uns hatten, den Gobrin-Gletscher, der sich weiß, fast zu grell für das ungeschützte menschliche Auge, nach Norden erstreckte bis an den unsichtbaren Horizont, wo die flimmernde Helligkeit in den Himmel überzugehen schien.

Hier und da erhoben sich aus diesen Gerölltälern, Klippen, Winkeln und Massen am Rande des großen Eisfeldes dunkle Grate; ein riesiger Block stieg senkrecht aus dem Plateau bis zu der Höhe der beiden Torpfeiler-Gipfel empor, zwischen denen wir uns im Augenblick befanden, und aus seiner Flanke wand sich ein träger, meilenlanger Rauchstreifen in die Luft. Weit in der Ferne entdeckten wir noch mehr Einzelheiten, sahen Kuppeln und Fialen, sahen Rußkegel auf dem Eis, deren glühende Feuerschlünde Rauch und Asche auf den Gletscher spien.

Estraven stand neben mir im Geschirr und betrachtete dieses herrliche, unbeschreiblich wilde Panorama mit Bewunderung.»Ich freue mich, daß ich dies sehen durfte«, sagte er leise.

Ich empfand ebenso. Es ist gut, auf einer Reise ein Ziel zu haben, auf das man zustreben kann; letztlich jedoch ist es die Reise selbst, auf die es ankommt.

Hier auf den nördlichen Hängen hatte es nicht geregnet. Die Schneefelder erstreckten sich von der Paßhöhe bis hinunter in die Moränentäler. Wir verstauten die Schlittenräder, befreiten die Kufen von ihren Hüllen, schnallten die Skier unter die Füße und fuhren los — hinab, nach Norden, hinein in diese schweigende Weite aus Feuer und Eis, auf der in riesigen Buchstaben, Schwarz auf Weiß, quer über einen ganzen Kontinent hinweg, TOD, TOD geschrieben stand. Der Schlitten lief so leicht wie eine Feder, und wir beide jauchzten vor Vergnügen.

SECHZEHNTES KAPITEL

Zwischen Drumner und Dremegole

Odyrny Thern. Ai, der in seinem Schlafsack liegt, fragt mich:»Was schreiben Sie da, Harth?«

»Einen Bericht.«

Er lacht.»Ich müßte auch ein Tagebuch für die Akten der Ökumene führen; aber ohne Stimmschreiber habe ich nie lange durchgehalten.«

Ich erkläre ihm, daß die Aufzeichnungen für meine Leute in Estre bestimmt sind, die sie nach ihrem Belieben den Akten der Domäne beifügen werden. Da dies meine Gedanken wieder meinem Herd und meinem Sohn zuwendet, gebe ich mir Mühe, mich rasch davon abzulenken und frage:»Leben Ihre Eltern eigentlich noch?«

»Nein«, antwortet Ai.»Sie sind schon seit siebzig Jahren tot.«

Das wunderte mich. Ai konnte keine dreißig Jahre alt sein.»Dann zählen Sie dort die Jahre nach einer anderen Länge als wir?«

»Nein. Ach so, jetzt verstehe ich! Wissen Sie, ich habe Zeitsprünge gemacht. Zwanzig Jahre von der Erde nach Hain- Davenant, von dort fünfzig Jahre nach Ellul, von Ellul nach hier siebzehn Jahre. Außerhalb der Erde habe ich nur sieben Jahre gelebt, aber ich bin dort vor hundertundzwanzig Jahren geboren worden.«

Vor langen Monaten schon, in Erhenrang, hatte er mir erklärt, daß die Zeit in den Schiffen, die fast so schnell wie das Licht zwischen den Sternen fahren, verkürzt ist, aber ich hatte diese Tatsache nie mit der Länge eines Menschenlebens oder mit dem Leben derjenigen in Verbindung gebracht, die er auf seiner eigenen Welt zurückließ. Während er auf der Reise von einem Planeten zum anderen in einem dieser unvorstellbaren Schiffe nur wenige Stunden verlebte, wurden alle, die er zu Hause zurückgelassen hatte, alt und starben, sogar ihre Kinder wurden schon alt… Zuletzt sagte ich:»Und ich hielt mich für einen Verbannten!«

»Sie für mich — ich für Sie«, gab er, abermals lachend, zurück. Sein Lachen klang fröhlich in der bedrückenden Stille. In diesen drei Tagen, seit wir den Paß überquert haben, hatten wir viel harte Arbeit für nichts und wieder nichts geleistet, doch Ai ist jetzt nicht mehr niedergeschlagen; er ist aber auch nicht übertrieben hoffnungsfreudig, und er hat jetzt mehr Geduld mit mir. Vielleicht hat er die Drogen aus seinem Körper herausgeschwitzt. Vielleicht haben wir gelernt, zusammen in einem Geschirr zu gehen.

Der ganze Tag war mit dem Abstieg von dem Basaltwall vergangen, den wir gestern hinaufgeklettert waren. Vom Tal aus hatten wir ihn für einen bequemen Weg zum Großen Eis hinauf gehalten, doch je näher wir kamen, desto häufiger trafen wir auf unwegsames Geröll und steile, glatte Felsflächen, und der Hang wurde immer abschüssiger, so daß wir ihn selbst ohne Schlitten nicht hätten erklimmen können. Jetzt, am Abend, saßen wir wieder an seinem Fuß in der Moräne, dem Tal der Steine. Hier wuchs überhaupt nichts. Es gab nur Fels, Geröll, Steinblöcke, Lehm und Schlamm. Aus diesem Kessel hat der Gletscher innerhalb der letzten fünfzig oder hundert Jahre einen Arm zurückgezogen und die nackten Knochen des Planeten freigelegt; ohne Fleisch aus Erde oder Gras. Hier und da legen Fumarolen einen schweren, gelblichen Dunst über den Boden, der langsam weiterkriecht. Die Luft riecht nach Schwefel. Es ist minus zehn Grad, windstill und bedeckt. Ich hoffe nur, daß nicht noch mehr Schnee fällt, ehe wir das schwierige Gelände zwischen unserem jetzigen Standort und dem Gletscherarm, den wir von dem Basaltkamm aus wenige Meilen weiter westlich sahen, hinter uns haben. Es scheint ein breiter Eisstrom zu sein, der vom Plateau herunter zwischen zwei Bergen hindurchläuft, zwei Vulkanen, beide mit einer Mütze aus Dampf und Rauch. Wenn wir diese Eiszunge über die Hänge des nächstgelegenen Vulkans erreichen, könnte er sich als ein Weg erweisen, die uns auf das Eisplateau führt, östlich von uns reicht zwar ein kleinerer Gletscher bis in einen zugefrorenen See herab, aber er hängt steil und in vielen Kurven, und selbst von hier aus können wir die tiefen Spalten erkennen, die ihn durchziehen. Bei unserer Ausrüstung ist er für uns unüberwindlich. Daher beschlossen wir, es mit der Gletscherzunge zwischen den Vulkanen zu versuchen, obwohl wir dabei zunächst rechtwinklig nach Westen gehen müssen und mindestens zwei Tagesmärsche verlieren werden: einen für den Umweg nach Westen, den anderen in Richtung Nordosten für das Wiederaufholen der Entfernung.

Opposthe Thern. Es schneit neserem: feinen Schnee bei leichtem Sturm. Ein leichter Blizzard. — Kein Weiterkommen. Wir haben beide den ganzen Tag geschlafen. Jetzt ziehen wir unseren Schlitten schon einen ganzen Halbmonat; da tut uns der Schlaf spürbar gut.