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Nach altem Brauch schmückten diese zehn Frauen die noch nasse Uniform des Wohltäters mit Blumen. Mit dem majestätischen Schritt eines Oberpriesters stieg Er langsam die Stufen herab, ging langsam an den Tribünen vorbei — die Frauen streckten Ihm die Arme wie zarte weiße Zweige entgegen, donnernde Hochrufe, ein Sturm aus Millionen von Kehlen. Dann die gleichen Rufe für die Beschützer, die irgendwo unsichtbar in den Reihen sitzen.

Wer weiß, vielleicht hat die Phantasie der Menschen von einst unsere Beschützer vorausgeahnt, als sie die wohlwollend-strengen Schutzengel schuf, die jedem Menschen von seiner Geburt an zugesellt waren. Etwas von der alten Religion, etwas Reinigendes, wie Sturm und Gewitter, war in der ganzen Feier spürbar. Ihr, die ihr diese Zeilen lesen werdet, kennt ihr solche Augenblicke? Ihr tut mir leid, wenn ihr sie noch nicht erlebt habt…

EINTRAGUNG NR. 10

Übersicht: Der Brief. Die Membrane. Das zottige Ich.

Der gestrige Tag war für mich wie jenes Papier, durch das die Chemiker ihre Lösungen filtrieren: alle schweren Teilchen, alles Überflüssige bleibt darauf zurück. Am Morgen ging ich sauber destilliert und durchsichtig zur Halle hinunter.

Die Kontrolleurin saß an ihrem Tischchen, sah auf die Uhr und trug die Nummer der Hinausgehenden in eine Liste ein. Sie heißt U… ich will ihre Nummer lieber nicht nennen, denn ich fürchte, ich könnte etwas Hässliches über sie schreiben. Obwohl sie eigentlich eine anständige, nicht mehr ganz junge Frau ist. Das einzige an ihr, das mir nicht gefällt, sind ihre Hängebacken, die wie Kiemen aussehen.

Ihre Feder kratzte, ich sah meine Nummer, D-503, auf dem Papier und daneben einen Tintenklecks. Ich wollte sie gerade darauf aufmerksam machen, als sie plötzlich aufblickte und mir süß-säuerlich zulächelte: »Hier ist ein Brief für Sie.«

Ich wusste, dass dieser Brief, den sie bereits durchgelesen hatte, noch von den Beschützern zensiert werden musste (ich glaube, es ist überflüssig, diesen ganz natürlichen Vorgang zu erklären), und dass ich ihn nicht vor 12 Uhr erhalten würde. Aber dieses sonderbare Lächeln hatte mich verwirrt, so sehr verwirrt, dass ich mich später bei der Arbeit am Integral nicht konzentrieren konnte und sogar einmal einen Rechenfehler machte, was mir früher nie passiert ist.

Um 12 Uhr stand ich wieder vor den bräunlich-roten Fischkiemen, sah wieder das gleiche Lächeln — und endlich hielt ich den Brief in der Hand. Ich weiß nicht, warum ich ihn nicht sofort las, ich steckte ihn in die Tasche und eilte in mein Zimmer. Ich riss den Umschlag auf, überflog die Zeilen und — setzte mich… Der Brief war die offizielle Benachrichtigung, die Nummer I-330 habe sich auf mich eingetragen, und ich müsse heute um 21 Uhr bei ihr erscheinen… Adresse umstehend…

Und das, obwohl ich ihr so unmissverständlich gezeigt hatte, wie ich zu ihr stehe! Außerdem wusste sie gar nicht, ob ich nicht doch bei den Beschützern gewesen war — sie konnte von keinem Menschen erfahren haben, dass ich krank war —, ich hatte wirklich nicht hingehen können… Und dennoch…

In meinem Kopf rotierte, heulte ein Dynamo. Der Buddha, das gelbe Kleid, die Maiglöckchen — ein rosiger Halbmond… Auch das noch: heute Abend wollte O zu mir kommen. Soll ich ihr diese Benachrichtigung zeigen? Sie wird mir wohl nicht glauben (wie sollte sie das auch?), dass ich nichts damit zu tun habe, dass ich völlig unschuldig bin. Es wird gewiss zu einer sinnlosen, völlig unlogischen Auseinandersetzung kommen… Nein, nur das nicht! Mag alles ganz mechanisch seinen Lauf nehmen, ich werde ihr einfach eine Abschrift dieser Benachrichtigung schicken.

Ich steckte den Brief hastig in die Tasche, und dabei sah ich meine hässliche Affenhand. Da fiel mir ein, wie sie, I-330, damals auf dem Spaziergang meine Hand genommen und betrachtet hatte. Dachte sie denn wirklich… Es ist Viertel vor neun. Eine weiße Nacht. Alles ringsum ist wie grünes Glas. Doch das ist ein anderes, dickes Glas, nicht das unsere, nicht das richtige, sondern eine dünne, gläserne Schale, und darunter wirbelt, brodelt, heult etwas… Ich würde mich nicht wundern, wenn jetzt die Kuppeln der Auditorien als runde Rauchwolken langsam emporstiegen, wenn der alte Mond verkniffen lächelte — wie jene Frau heute morgen hinter ihrem Tisch — und wenn in sämtlichen Häusern die Vorhänge zugezogen würden und dahinter…

Ein seltsames Gefühclass="underline" Ich spüre plötzlich meine Rippen, sie waren eiserne Bänder und beengten, bedrückten mein Herz. Ich stand vor einer Glastür mit den goldenen Ziffern I-330. I saß mit dem Rücken zu mir am Tisch und schrieb. Ich trat ein…

»Da«, ich hielt ihr mein Billett hin. »Ich habe heute morgen eine Benachrichtigung erhalten und bin gekommen…«

»Wie pünktlich Sie sind! Einen Augenblick bitte. Setzen Sie sich, ich bin sofort fertig.«

Sie blickte wieder auf ihren Brief — was mochte wohl jetzt in ihr vorgehen? Was würde sie in der nächsten Sekunde sagen, was würde sie tun? Wie sollte man das erfahren, berechnen, da bei ihr alles aus dem wilden, längst versunkenen Land der Träume kam? Ich betrachtete sie schweigend. Meine Rippen waren eiserne Spangen, drückten… Wenn sie spricht, gleicht ihr Gesicht einem wirbelnden, blitzenden Rad, man kann die einzelnen Speichen nicht unterscheiden. Doch im Augenblick stand das Rad still, und ich sah eine seltsame geometrische Figur: Die hochgezogenen Brauen bildeten ein spitzwinkeliges Dreieck, zwei tiefe, spöttische Falten liefen von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln. Diese beiden Dreiecke standen im Widerspruch zueinander und zeichneten das ganze Gesicht mit jenem unangenehmen, aufreizenden X, das einem Kreuz glich. Ein kreuzweise durchgestrichenes Gesicht.

Das Rad drehte sich, die Speichen verschmolzen… »Sie waren also nicht im Beschützeramt?«

»Ich war… ich konnte nicht, ich war krank.«

»Das habe ich mir gleich gedacht, irgend etwas musste Ihnen dazwischenkommen — ganz gleich was.« Sie lächelte, die scharfen Zähne blitzten. »Aber dafür habe ich Sie jetzt in der Hand. Vergessen Sie nicht: Jede Nummer, die nicht binnen 48 Stunden Anzeige erstattet, wird…«

Mein Herz klopfte so wild, dass es die Rippen zu sprengen drohte. Ich kam mir wie ein dummer Junge vor, den man bei einem Streich ertappt hat, und schwieg. Ich war völlig verwirrt, konnte weder Hand noch Fuß rühren… Sie stand auf und reckte sich wohlig. Dann drückte sie auf einen Knopf, und die Gardinen schlossen sich mit leisem Rauschen. Ich war von der Welt abgeschnitten, allein mit ihr.

I stand irgendwo hinter mir, vor dem Schrank. Ihre Uniform raschelte, glitt zu Boden — ich lauschte gespannt. Da dachte ich, es durchzuckte mich wie ein Blitz … Neulich musste ich die Krümmung einer neuen Straßenmembrane berechnen (jetzt hängen die elegant dekorierten Membranen in allen Straßen und registrieren die Gespräche der Passanten für das Beschützeramt), und plötzlich musste ich denken: die konkave, rosige, schwingende Membrane ist eigentlich ein seltsames Wesen, es besteht aus einem einzigen Organ, dem Ohr. Eine solche Membrane war ich jetzt.