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Leise klirrte ein Knopf am Kragen — an der Brust — noch weiter unten. Die gläserne Seide glitt über die Schultern, die Knie — zu Boden. Ich hörte, deutlicher als man es sehen konnte, wie das eine, dann das andere Bein aus dem blaugrauen Seidenhaufen stieg. Die straff gespannte Membrane lebte und registrierte: Stille. Nein, scharfe Hammerschläge gegen die Rippen. Ich hörte, sah: Sie überlegte eine Sekunde lang.

Die Schranktür klappte, schloss sich wieder — Seide, Seide… »Bitte.«

Ich wandte mich um. Sie trug ein leichtes, safrangelbes altmodisches Kleid. Das war tausendmal schlimmer, als wenn sie nichts angehabt hätte. Zwei spitze rosige Punkte schimmerten in dem dünnen Gewebe wie zwei Kohlen in der Asche. Zwei zärtlich gerundete Knie… Sie setzte sich in den niedrigen Sessel. Auf dem quadratischen Tischchen vor ihr standen eine Flasche mit einer giftgrünen Flüssigkeit und zwei Gläser mit dünnem Stiel. Im Mund hatte sie eine dünne Papierpfeife, wie man sie in alten Zeiten rauchte (den Namen dafür habe ich vergessen).

Die Membrane schwang immer noch. Der Hammer in mir schlug auf rotglühende Eisenstäbe. Ich hörte deutlich jeden einzelnen Schlag… Konnte auch sie es hören? Nein, sie rauchte ruhig weiter, blickte mich an und schüttelte die Asche achtlos auf mein rosa Billett. Ich fragte sie so kaltblütig wie möglich:

»Warum haben Sie sich eigentlich auf mich eingetragen? Und warum haben Sie mich gezwungen, hierher zu kommen?«

Sie tat, als hörte sie nicht, goss die Gläser voll und nahm einen Schluck.

»Ein ausgezeichneter Likör. Trinken Sie auch einen?« Da erst begriff ich, dass es Alkohol war! Wie ein Blitz zuckte mir ein Erlebnis von gestern durch den Kopf, die steinerne Hand des Wohltäters, der blendend helle Lichtstrahl, der ausgestreckte Körper mit dem weit zurückgebogenen Kopf. Ich erbebte.

»Aber«, sagte ich, »wissen Sie denn nicht, alle, die sich mit Nikotin und besonders mit Alkohol vergiften, wird der Einzige Staat unbarmherzig…«

Die dunklen Brauen schnellten empor, bildeten ein spöttisches Dreieck. »Einige wenige schnell zu vernichten ist vernünftiger, als vielen die Möglichkeit zu geben, sich selbst umzubringen; und die Degeneration usw… Das ist die nackte Wahrheit.«

»Ja, die nackte Wahrheit…«

»Und wenn man die ganze Gesellschaft solcher glatzköpfigen, nackten Wahrheiten auf die Straße hinausließe… stellen Sie sich nur vor, meinetwegen meinen hartnäckigen Verehrer — Sie kennen ihn doch — stellen Sie sich vor, er würde die ganze Lüge seiner Verkleidung abwerfen und sich in seiner wahren Gestalt in der Öffentlichkeit zeigen… ach!«

Sie lachte. Aber ich konnte das untere, traurige Dreieck in ihrem Gesicht deutlich erkennen — zwei tiefe, bittere Falten von der Nase zu den Mundwinkeln. Diese Falten verrieten mir, dass er, der zweifach gekrümmte, bucklige Kerl mit den abstehenden Ohren sie umarmt hatte, sie, eine solche Frau… er…

Ich will versuchen, die anomalen Gefühlen, die ich in diesem Augenblick empfand, zu schildern. Jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, weiß ich genau: All das musste so sein; er hatte das gleiche Recht auf Glück wie jede andere anständige Nummer, und es wäre ungerecht von mir… I lachte sonderbar und lange. Dann sah sie mich durchdringend an: »Wissen Sie, vor Ihnen habe ich nicht die geringste Angst. In Ihrer Gegenwart bin ich ganz ruhig. Sie sind ein netter, lieber Mensch — davon bin ich überzeugt —, und Sie denken nicht daran, zu den Beschützern zu laufen und anzuzeigen, dass ich Likör trinke und rauche. Sie werden krank sein oder sonst etwas. Noch mehr — ich bin sogar überzeugt, dass Sie gleich mit mir dieses berauschende Gift trinken werden.« Welch spöttischer, dreister Ton! Jetzt hasste ich sie wieder. Wieso »jetzt«? Ich habe sie doch die ganze Zeit gehasst. Sie trank ihr Glas in einem Zug aus, machte ein paar Schritte — die rosigen Punkte unter dem gelben Kleid schimmerten — und blieb hinter meinem Sessel stehen. Plötzlich schlang sie die Arme um meinen Hals, presste ihre Lippen auf meinen Mund… Ich schwöre, das kam völlig unerwartet für mich, und vielleicht nur, weil… Denn, was dann geschah, das konnte ich doch nicht wollen — soviel ist mir jetzt klar.

Ich fühlte unerträglich süße Lippen (ich glaube, es war der Geschmack des Likörs) — und ein Schluck des brennenden Giftes floss in meinen Mund, ein zweiter, ein dritter… Ich löste mich von der Erde und stürzte wie ein selbständiger Planet, mich rasend um meine Achse drehend, hinab, immer tiefer hinab — in einer unberechenbaren Bahn…

Alles weitere kann ich nur ungefähr beschreiben, nur mit Hilfe mehr oder minder passender Analogien.

Früher wäre mir das nie in den Sinn gekommen, aber es ist so: Wir Menschen auf der Erde gehen stets über einem brodelnden Feuermeer, das sich tief im Schoß der Erde verbirgt und an das wir nie denken. Mit einemmal war mir, als wäre die dünne Rinde unter meinen Füßen zu durchsichtigem Glas geworden, als könnte ich plötzlich sehen… Ich wurde zu Glas. Ich konnte in mein Inneres blicken.

Da waren zwei Ich, das alte D-503, die Nummer D-503, und das andere… Früher hatte es sehr selten seine behaarten Hände aus der Schale emporgestreckt, doch jetzt war es ganz herausgekrochen, die Schale krachte, gleich würde sie in tausend Stücke zerspringen, und — was dann?

Ich klammerte mich mit aller Kraft an einen Strohhalm, an die Sessellehne, und fragte, nur um die Stimme jenes früheren Ich zu hören:

»Wo… wo haben Sie dieses… dieses Gift her?«

»Von einem Arzt, einem meiner Freunde.«

»Einem Freund! Wer ist das?«

Und mein anderes Ich sprang plötzlich auf und schrie: »Das erlaube ich nicht! Ich will, dass keiner da ist, außer mir! Ich schlage jeden tot, der… weil ich Sie…« Ich sah, wie jener andere sie grob mit seinen behaarten Händen packte, ihr die Seide vom Leib riss, die Zähne in ihre Schulter grub, ich weiß es noch genau, die Zähne! I befreite sich, wie, weiß ich nicht mehr. Sie stand mit gesenkten Lidern gegen den Schrank gelehnt und hörte mir schweigend zu.

Ich kniete auf dem Fußboden, umschlang ihre Beine, küsste ihre Knie. Ich flehte: »Bitte, bitte, sofort — jetzt, in diesem Augenblick!« Die scharfen Zähne blitzten, die Brauen zuckten spöttisch.

Sie neigte sich zu mir und knöpfte wortlos mein Abzeichen mit der Nummer ab. »Ja, Liebste…!« Ich nestelte hastig an meiner Uniform. Aber I hielt mir, immer noch schweigend, die Uhr auf meinem Abzeichen hin. Fünf Minuten vor halb elf.

Ich erstarrte. Ich wusste, was es bedeutet, sich nach 22.30 Uhr auf der Straße zu zeigen. Alle Wahnideen waren wie weggeblasen, ich war wieder ich. Mir wurde das eine klar: Ich hasse sie, ich hasse sie!

Ohne mich zu verabschieden, ohne mich umzusehen, stürzte ich aus dem Zimmer. Im Laufen steckte ich irgendwie das Abzeichen an die Uniform, rannte die Nottreppe hinunter (ich fürchtete, jemandem im Lift zu begegnen) auf die verlassene Straße.

Alles war an seinem Platz — alles ganz einfach, alltäglich, gesetzmäßig: die hellerleuchteten, gläsernen Häuser, der gläserne bleiche Himmel, die grünliche regungslose Nacht. Aber unter diesem stillen, kühlen Glas toste unhörbar etwas Wildes, Rotes, Zottiges. Auch ich jagte keuchend dahin, um nicht zu spät zu kommen.

Plötzlich merkte ich, dass mein Abzeichen sich gelockert hatte, es löste sich von der Uniform und fiel klirrend auf das gläserne Pflaster. Ich bückte mich, um es aufzuheben — und in der sekundenlangen Stille hörte ich leise, schlurfende Schritte hinter mir. Ich wandte mich um; etwas Kleines, Krummes bog um die Ecke. So kam es mir wenigstens damals vor.