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Ich war allein, oder richtiger: unter vier Augen mit diesem andern Ich. Ich saß mit übergeschlagenen Beinen im Sessel und beobachtete voller Neugier, wie ich mich auf dem Bett hin und her warf.

Wie kommt es nur, dass O und ich drei volle Jahre einträchtig miteinander gelebt haben — und jetzt bedarf es nur eines einzigen Wortes über sie… über I und… Gibt es diesen ganzen Unsinn von Liebe und Eifersucht denn nicht nur in den Büchern unserer Ahnen? Und das muss mir widerfahren — mir! Ich bestehe doch nur aus Gleichungen, Formeln und Zahlen — und nun plötzlich dies! Ich begreife es nicht! Ach, ich werde morgen zu R gehen und ihm sagen…

Nein, ich gehe nicht, weder morgen noch übermorgen, ich gehe nie mehr zu ihm. Ich kann, ich will ihn nicht mehr sehen. Aus! Unser Dreieck ist zerstört. Ich bin allein. Abend. Leichter Nebel. Der Himmel ist mit milchig-goldenen Schleiern verhangen. Wenn ich nur wüsste, was sich dahinter verbirgt. Und wenn ich nur wüsste, wer ich bin!

EINTRAGUNG NR. 12

Übersicht: Begrenzte Unendlichkeit. Die Angel. Gedanken über Dichtung.

Ich glaube, ich kann wieder gesund werden. Ich habe ausgezeichnet geschlafen. Keinerlei Träume oder andere krankhafte Symptome. Morgen kommt die liebe O zu mir, und alles wird so einfach, regelmäßig und begrenzt wie ein Kreis sein. Begrenztheit — ich fürchte es nicht, dieses Wort, denn die Arbeit des Größten, das der Mensch besitzt, die Arbeit des gesunden Verstandes, besteht ja in dem unablässigen Streben, die Unendlichkeit zu begrenzen, sie in bequeme, leicht fassliche Portionen, in Differentiale aufzuspalten. Darin liegt die göttliche Schönheit meines Faches, der Mathematik. Und ihr, jener I, fehlt jegliches Verständnis für diese Schönheit. Das ist übrigens eine rein zufällige Assoziation. All das ging mir bei dem rhythmischen, metrischen Räderrollen der U-Bahn durch den Kopf. In Gedanken skandierte ich das Stoßen der Räder und die Verse von R (ich las in seinem Buch, das er mir gestern gegeben hat): Plötzlich merkte ich, wie jemand hinter meinem Rücken sich vorbeugte und über meine Schulter auf die aufgeschlagene Seite des Buches blickte. Ohne mich umzudrehen, sah ich mit einem Blick aus den Augenwinkeln rosa abstehende Ohren und etwas doppelt Gekrümmtes… ihn! Ich wollte ihn nicht stören und tat, als bemerkte ich ihn nicht. Wie er hierher gekommen war, wusste ich nicht; als ich einstieg, saß er, glaube ich, noch nicht in dieser Bahn. Dieser an sich recht unbedeutende Vorfall hatte eine starke Wirkung, ich möchte fast sagen, er gab mir neue Kraft. Es ist so beruhigend, den Blick eines scharfen Auges zu fühlen, das einen liebevoll vor dem kleinsten Fehler, vor dem kleinsten Seitensprung bewahrt. Vielleicht klingt das sentimental, aber mir fiel wieder jene Analogie ein: die Schutzengel, von denen unsere Ahnen phantasierten. Ja, so vieles, von dem sie nur träumten, ist in unserem Leben Wirklichkeit geworden. In dem Augenblick, als ich meinen Schutzengel hinter mir wusste, las ich gerade ein Sonett mit dem Titel Glück. ich glaube, ich täusche mich nicht, wenn ich dieses Werk in seiner Schönheit und Gedankentiefe als wahrhaft einzigartig bezeichne. Die ersten vier Zeilen lauten:

Ewig Verliebte sind zwei mal zwei, ewig vereint als selige vier, heißeste Liebe auf Erden hier — die unzertrennlichen zwei mal zwei…

Und so geht es weiter von dem weisen, ewigen Glück des Einmaleins. Jeder echte Dichter ist ein Kolumbus. Amerika hat schon vor Kolumbus jahrhundertelang existiert, doch erst Kolumbus hat es entdeckt. Das Einmaleins existiert ebenso schon viele Jahrhunderte vor R-13, doch erst er vermochte im jungfräulichen Dickicht der Zahlen ein neues Dorado zu entdecken. In der Tat, gibt es irgendwo sonst ein weiseres, wolkenloseres Glück als in dieser Wunderwelt?

Der alte Gott schuf den alten Menschen, das heißt, einen Menschen, der die Fähigkeit besaß, zu irren — folglich hat auch Gott selbst geirrt. Das Einmaleins ist weiser und absoluter als der alte Gott, es irrt sich niemals, hören Sie, niemals! Und niemand ist glücklicher als Zahlen, Nummern, die nach den harmonischen, ewigen Gesetzen des Einmaleins leben. Keine Unklarheiten, kein Irren. Es gibt nur eine Wahrheit, nur einen rechten Weg — diese Wahrheit ist zwei mal zwei, und dieser Weg ist vier. Wäre es nicht absurd, wenn diese beiden glücklich und ideal miteinander multiplizierten zwei plötzlich anfingen, an Freiheit, an einen Fehler zu denken? Für mich ist es ein Axiom, dass R-13 das Grundlegende, das… Da spürte ich wieder den warmen Atem meines Schutzengels, zuerst im Nacken, dann am linken Ohr. Er hatte offenbar bemerkt, dass das Buch auf meinen Knien zugeklappt war und dass meine Gedanken in weite Fernen schweiften. Ich war sogleich bereit, alle Seiten meines Gehirns vor ihm aufzuschlagen: das ist ein sehr beruhigendes, beglückendes Gefühl. Ich erinnere mich, dass ich mich sogar umdrehte, ihm hartnäckig, flehend in die Augen blickte; doch er verstand nicht, er wollte nicht verstehen — und sagte kein Wort… Mir bleibt nur eines: ich muss Ihnen, lieber Leser, alles erzählen (Sie sind mir jetzt ebenso teuer und nah — und unerreichbar fern — wie er damals). Der Weg, den ich in Gedanken zurücklegte, führte mich vom Teil zum Ganzen. Der Teil ist R-13, das erhabene Ganze ist unser Institut staatlicher Dichter und Schriftsteller. Ich stellte folgende Überlegungen an: Wie hatten die Menschen von einst nicht erkennen können, dass ihre ganze Literatur und Dichtung ein einziger Unsinn war? Die majestätische Kraft des dichterischen Wortes wurde sinnlos vergeudet. Jeder schrieb, was ihm gerade einfiel. Das ist genauso lächerlich und dumm wie etwas anderes aus der alten Zeit: Damals schlug das Meer volle vierundzwanzig Stunden stumpfsinnig gegen die Küste, und die in den Wogen eingeschlossenen Millionen Kilogrammmeter dienten nur dazu, die Gefühle der Verliebten zu erwärmen. Wir aber haben aus dem verliebten Geflüster der Wellen Elektrizität gewonnen, wir haben die rasende, schäumende Bestie zum Haustier gemacht, und genauso haben wir das einst wilde Element der Poesie gezähmt und gesattelt. Heute ist die Dichtung kein süßliches Nachtigallenschluchzen, sie ist Dienst am Staat, sie ist etwas Nützliches.

Nehmen wir zum Beispiel unsere berühmten Mathematischen Nonen — hätten wir ohne sie in der Schule die vier Grundrechnungsarten so aufrichtig lieben gelernt? Oder die Dornen — ein geradezu klassisches Bild: Die Beschützer sind die Dornen an der Rose, sie schützen die zarte Blume des Staates vor rohen Händen… Nur ein Herz aus Stein bleibt ungerührt, wenn unsere unschuldigen Kinder wie ein Gebet die Worte lallen: »Der böse Bub wollte die Rose brechen, aber der stählerne Dorn stach ihn wie eine Nadel. Au, au! Der Schelm, er läuft nach Hause…« usw. Und die Täglichen Oden auf den Wohltäter. Jeder, der sie gelesen hat, neigt sich in frommer Ehrfurcht vor der selbstlosen Arbeit dieser Nummer aller Nummern. Und die roten Blüten der Gerichtsurteile, die unsterbliche Tragödie Zu spät zur Arbeit gekommen und das Volksbuch Stanzen über Geschlechtshygiene. Das Leben in all seiner Mannigfaltigkeit und Schönheit ist auf ewig in das Gold dieser Werke gefasst. Unsere Dichter schweben nicht mehr in höheren Regionen, sie sind zur Erde herabgestiegen. Im gleichen Schritt marschieren sie mit uns unter den Klängen der strengen, mechanischen Marschmusik der Musikfabrik. Ihre Leier ist das morgendliche Surren der elektrischen Zahnbürsten, das drohende Funkenknistern in der Maschine des Wohltäters, das intime Plätschern im kristallklaren Nachttopf, das erregende Rauschen der sich schließenden Gardinen, die fröhlichen Stimmen des neuesten Kochbuchs und das leise Geflüster der Straßenmembranen. Unsere Götter sind hier auf Erden, sie stehen neben uns im Büro, in der Küche, in der Werkstatt, im Schlafzimmer; die Götter sind geworden wie wir, also sind wir wie Götter geworden. Liebe Leser auf fernen Planeten, wir werden zu Ihnen kommen, damit Ihr Leben ebenso göttlich-vernünftig und exakt wie das unsere werde.