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Plötzlich erkannte ich auf dem Felsblock die riesigen Buchstaben MEPHI. Ich wunderte mich nicht darüber, denn das war ja der starke Faden, der alles verband. Dann sah ich eine Zeichnung, ich glaube, ebenfalls auf diesem Stein: ein geflügelter Jüngling mit durchsichtigem Körper, und an der Stelle des Herzens saß eine rotglühende Kohle. Ich begriff, was diese Kohle bedeutete, nein, ich fühlte es, so, wie ich jedes Wort von I (sie stand wieder auf dem Felsblock und sprach) fühlte, ohne zuzuhören. Ich fühlte, dass alle im gleichen Takt atmeten, dass alle irgendwohin flogen, wie damals die Vögel über der Grünen Mauer… In dem atmenden Dickicht der Leiber rief eine tiefe Stimme:

»Aber das ist ja Wahnsinn!«

Ich glaube, ich — ja, ich bin ganz sicher, ich war es — sprang auf den Felsblock und schrie: »Ja, es ist Wahnsinn! Alle müssen den Verstand verlieren, alle, alle — so schnell wie möglich! Es muss sein, ich weiß es!«

I stand lächelnd an meiner Seite. In mir glühte eine rote Kohle… Von dem, was dann geschah, blieben nur kleine Splitter in meinem Gedächtnis haften. Langsam glitt ein Vogel vorbei. Ich sah, dass er lebendig war wie ich: er wandte den Kopf nach rechts und nach links und starrte mich mit seinen schwarzen, runden Augen an…

Ein Rücken, mit glänzendem, elfenbeinfarbenem Fell bedeckt. Ein dunkles Insekt mit winzigen durchsichtigen Flügeln kroch über diesen Rücken. Der Rücken zuckte, um den Käfer abzuschütteln, zuckte ein zweites Mal… Verschlungenes grünes Gitterwerk — Blätter. In ihrem Schatten lagen Menschen und kauten etwas, das mich an die legendäre Nahrung unserer fernen Ahnen erinnerte — eine lange, gelbe Frucht und etwas, das dunkel aussah. Eine Frau gab mir davon, und das belustigte mich, denn ich wusste nicht, ob dieses Zeug überhaupt genießbar war. Dann wieder eine Menschenmenge, Köpfe, Beine, Arme, Münder. Eine Sekunde lang erkannte ich die Gesichter ganz deutlich — aber im nächsten Augenblick waren sie verschwunden, zerplatzt wie Seifenblasen. Durchsichtige, flügelähnliche Ohren huschten vorüber — oder kam mir das nur so vor? Ich zupfte I am Ärmel. Sie wandte sich um: »Was ist?«

»Er ist hier…«

»Wer?«

»S .. Er war eben hier .. in der Menge…« Die kohlschwarzen feinen Brauen hoben sich, sie lächelte. Ich konnte nicht verstehen, warum sie lachte. »Begreifst du denn nicht, was es bedeutet, wenn er oder irgendeiner von ihnen hier ist?« flüsterte ich erregt.

»Was willst du? Keinem von ihnen würde es je in den Sinn kommen, uns hier zu suchen. Denke doch einmal nach! Hättest du dir vorstellen können, dass wir hier sind, dass so etwas überhaupt möglich ist? In der Stadt können sie uns vielleicht festnehmen, aber nicht hier. Du träumst.«

Sie lächelte übermütig, und ich lachte gleichfalls. Die Erde unter meinen Füßen schwamm, trunken, heiter und leicht…

EINTRAGUNG NR. 28

Übersicht: Beide. Entropie und Energie. Ein undurchsichtiger Körperteil.

Liebe Leser, wenn Ihre Welt der Welt unserer fernen Ahnen gleicht, dann stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten irgendwo im Ozean den sechsten, siebten Weltteil, irgendein Atlantis, entdeckt und erblickten dort seltsame Städtelabyrinthe, Menschen, die ohne Flügel und ohne Flugzeug in der Luft schweben, Steine, die von der bloßen Kraft des Blickes emporgehoben werden… Nicht einmal mit der glühendsten Phantasie hätten Sie sich dergleichen ausmalen können. So etwa war mir gestern zumute, denn seit dem 200jährigen Krieg war noch nie einer von uns hinter der Grünen Mauer, wie ich Ihnen bereits sagte. Ich weiß, es ist meine Pflicht, Ihnen ausführlich von dieser sonderbaren Welt zu berichten, die sich mir gestern auftat. Aber ich bin heute einfach nicht fähig, darauf zurückzukommen. Neues, immer wieder Neues stürmt auf mich ein, eine wahre Flut von Ereignissen, und ich vermag nichts davon festzuhalten…

Als erstes hörte ich Stimmengewirr vor meiner Tür und erkannte die Stimme von I, geschmeidig, und eine andere, monoton, starr wie ein hölzernes Lineal — die von U. Dann sprang die Tür krachend auf, und beide stürzten zugleich in mein Zimmer.

I stützte die Hand auf die Lehne meines Sessels und sah die andere mit bösem Lächeln an:

»Hören Sie«, sagte sie zu mir, »diese Frau will Sie offenbar vor mir beschützen. Sie tut, als wären Sie ein kleines Kind.«

Darauf entgegnete die andere mit zitternden Kiemen: »Er ist ja auch ein Kind! Darum sieht er nicht, was Sie von ihm wollen und dass Sie nur Komödie spielen. Jawohl! Und ich fühle mich verpflichtet…«

Einen Augenblick lang sah ich im Spiegel die gekrümmte Linie meiner Brauen. Ich sprang auf, schüttelte meine behaarten Fäuste und schrie: »Hinaus! Sofort hinaus!«

Die Kiemen schwollen an, verfärbten sich ziegelrot, fielen sofort wieder zusammen und wurden aschfahl. Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort hervor; sie schluckte nur und ging hinaus. Ich stürzte auf I zu: »Das kann ich mir nie verzeihen, nie! Sie hat es gewagt, dich zu kränken… Aber konntest du dir denn nicht denken, dass ich glaubte, sie wolle… Sie hat das nur getan, weil sie sich auf mich einschreiben möchte, aber ich…«

»Sie wird keine Zeit mehr dazu haben. Und wenn es tausend solcher Frauen wie sie gäbe. Ich weiß, dass du nicht diesen tausend glaubst, sondern mir allein. Denn nach dem, was gestern geschehen ist, bin ich ganz dein, wie du es gewollt hast. Ich habe mich in deine Hände gegeben, du kannst in jedem beliebigen Augenblick…«

»Was kann ich in jedem beliebigen Augenblick?« plötzlich begriff ich, was sie meinte. Das Blut schoss mir in Wangen und Ohren, und ich schrie: »Hör auf! Nie mehr ein Wort davon! Du weißt doch, dass mein früheres Ich nicht mehr existiert!«

»Ach, der Mensch ist wie ein Roman; bevor man nicht die letzten Seiten gelesen hat, kennt man das Ende nicht. Wäre es anders, dann lohnte es das Lesen gar nicht…«

I strich mir übers Haar. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber ich spürte an ihrer Stimme, dass sie in weite Fernen blickte, dass sie mit den Augen einer Wolke folgte, die langsam und lautlos über den Himmel zog, ohne dass man wusste, wohin.

Nach einer Weile schob sie mich mit einer zärtlichen Handbewegung von sich fort:

»Höre, ich bin gekommen, um dir etwas zu sagen. Weißt du, dass seit heute Abend in allen Auditorien Veränderungen vor sich gehen?«

»Veränderungen?«

»Ja. Ich kam vorhin vorbei und sah drinnen lange Tische stehen und Ärzte in weißen Kitteln.«

»Was mag das bedeuten?«

»Ich weiß es nicht, keiner weiß es bis jetzt, und das ist das Schlimmste dabei… Aber sie kommen vielleicht zu spät…«

Ich kann schon längst nicht mehr unterscheiden, wer sie und wer wir sind, und so konnte ich nicht sagen, was mir lieber war: ob sie zu spät oder nicht zu spät kommen sollten. Nur eines war mir klar: I stand jetzt dicht am Rande des Abgrunds.

»Aber das ist ja Wahnsinn«, sagte ich. »Ihr gegen den Einzigen Staat. Es ist genauso, als wollte man die Hand gegen die Gewehrmündung pressen, um die Kugel zurückzuhalten. Das ist heller Wahnsinn!«

Sie lächelte: »Alle müssen den Verstand verlieren, so schnell wie möglich! Erst neulich hat das jemand gesagt. Erinnerst du dich noch?«

Ja, so stand es in meinen Notizen. Also war es wirklich so gewesen. Ich blickte sie schweigend an; das dunkle Kreuz auf ihrem Gesicht trat heute besonders deutlich hervor.

»I, Liebste, lass uns handeln, ehe es zu spät ist… Wenn du willst, werde ich alles aufgeben, alles vergessen und mit dir in das Land hinter der Grünen Mauer fliehen, zu diesen… ich weiß nicht, wer sie sind.« Sie schüttelte den Kopf. Daran erkannte ich, dass es schon zu spät war. Sie erhob sich und wollte gehen. Ich nahm ihre Hand: