Eine dumpfe Explosion — ein schwacher Stoß — ein zischender weißlich-grüner Wasserberg im Heck — das Deck schwankte unter meinen Füßen, und alles stürzte in die Tiefe, das ganze Leben, für immer… Eine Sekunde lang sah ich die eisblauen Umrisse der Stadt, die runden Blasen der Kuppeln, den einsamen Finger des Akkumulatorenturms. Dann ein Wolkenvorhang aus grauer Watte — wir stießen hindurch — und Sonne, blauer Himmel. Sekunden, Minuten, Meilen — das Blau wurde härter und dunkler, die Sterne glichen silbernen Schweißtropfen…
plötzlich war es Nacht, eine unheimlich beklemmende, glühende Sternennacht, Sonnennacht. Wir hatten die Erdatmosphäre verlassen. Aber die Verwandlung war so jäh, dass alle betroffen schwiegen. Mir allein wurde es leichter ums Herz unter dieser gespenstisch stummen Sonne, als hätte ich die unvermeidliche Schwelle überschritten, als wäre mein Körper irgendwo dort unten geblieben, während ich durch eine neue Welt jagte, wo alles sich in sein Gegenteil verkehrte…
»Gleichen Kurs halten!« rief ich in den Maschinenraum; nein, nicht ich rief es, sondern das Grammofon in mir, das mit seinem Scharnierarm dem zweiten Konstrukteur den Hörer reichte. Ich selber war ganz in ein leises Zittern gehüllt, das nur ich fühlen konnte: ich lief nach unten, um sie zu suchen.
Die Tür zur Messe — in einer Stunde würde sie sich klirrend schließen… Neben der Tür stand ein Unbekannter mit einem Dutzendgesicht, das in der Menge nicht auffällt; nur seine Arme waren ungewöhnlich lang, sie reichten bis zu den Knien, als wären sie aus Versehen von einer anderen Menschenart genommen. Er streckte abwehrend die langen Arme aus: »Wohin?« Offensichtlich hatte er keine Ahnung, dass ich alles wusste…
Ich sagte in ziemlich scharfem Ton:
»Ich bin der Konstrukteur des Integral und überwache alle Versuche. Verstanden?« Die Arme sanken herab.
In der Messe. Über Karten und Instrumenten gelbliche Glatzen. Ich musterte sie mit einem kurzen Blick, machte kehrt und eilte in den Maschinenraum. Glühende Röhren verbreiteten eine unerträgliche Hitze, blitzende Hebel drehten sich in trunkenem Tanz, leise bebend bewegten sich die Zeiger auf den Uhren, ohne eine Sekunde stillzustehen.
Endlich sah ich jenen Mann mit den dichten, überhängenden Brauen; er saß mit einem Notizbuch in der Hand am Tachometer.
»Hören Sie, ist sie hier? Wo ist sie?« Er lachte: »Sie? In der Funkkabine.« Ich eilte dorthin.
In der Funkkabine saßen drei Menschen, alle mit Kopfhörern, die mich an geflügelte Helme erinnerten. Sie schien um einen Kopf größer als sonst, strahlend, wie eine Walküre aus alter Zeit.
»Irgend jemand… nein, würden Sie vielleicht…«, sagte ich zu ihr, vom schnellen Laufen noch ganz außer Atem, »ich muss einen Funkspruch durchgeben … Kommen Sie, ich diktiere ihn.«
Neben dem Armaturenraum befand sich eine kleine Kajüte. Wir setzten uns an den Tisch. Ich ergriff ihre Hand und drückte sie fest: »Was wird nun geschehen?«
»Ich weiß es nicht. Herrlich, so zu fliegen, ohne zu wissen, wohin… Bald ist es zwölf Uhr… Wo werden wir beide heute Nacht sein? Vielleicht auf einer Wiese, auf welken Blättern…« Ich zitterte immer stärker:
»Schreiben Sie«, sagte ich, immer noch ein wenig atemlos (natürlich vom schnellen Laufen). »Zeit: 11.30. Geschwindigkeit: 6800…« Ohne aufzublicken, sagte sie leise:
»Gestern Abend kam sie mit deinem Zettel… Ich weiß alles, du brauchst mir nichts zu erklären. Es ist doch dein Kind, nicht wahr? Ich habe sie fortgebracht, sie ist schon hinter der Mauer. Sie wird leben…«
Im Kommandoraum. Das dunkle Gewölbe der Nacht mit unzähligen, funkelnden Sternen und einer die Augen blendenden Sonne; der Zeiger der Wanduhr hinkte schwerfällig von einer Minute zur nächsten, alles war in einen leichten Nebel getaucht, alles bebte. »Gut, dass der Aufstand nicht hier, sondern irgendwo weiter unten, in der Nähe der Erde, ausbrechen wird«, schoss es mir durch den Kopf. »Stopp!« rief ich in den Maschinenraum. Unsere Geschwindigkeit nahm allmählich ab. Plötzlich hing der Integral einen Augenblick unbeweglich in der Luft, und dann stürzte er wie ein Stein hinunter, schneller, immer schneller. Ohne ein Wort zu sagen, flogen wir zehn Minuten lang — ich hörte meinen Pulsschlag — der Zeiger der Uhr näherte sich der Zwölf. Ich war ein Stein, I die Erde, und ich, der Stein, den jemand hochwarf, musste fallen und die Erde erreichen…
Unter mir sah ich schon den dichten blauen Rauch der Wolken… Was aber sollte werden, wenn unser Plan scheiterte?
Das Grammofon in mir nahm den Hörer und kommandierte: »Halbe Kraft voraus!« Der Stein stand still. Vier niedrige Klötze, zwei am Heck und zwei am Bug, wurden hinausgelassen, um den Flug des Integral zu stoppen, und wir schwebten etwa einen Kilometer über der Erde in der Luft.
Alle kamen an Deck (es war gleich zwölf). Sie beugten sich über die gläserne Reling und betrachteten die unbekannte Welt jenseits der Mauer, die unter uns lag. Bernsteingelb, grün, blau — ein Herbstwald, eine Wiese, ein See. Am Rande der kleinen blauen Schale standen gelbe Ruinen, und daneben drohte ein grauer, verdorrter Finger — das musste der Turm einer alten Kirche sein, der wie durch ein Wunder unversehrt geblieben war.
»Sehen Sie! Schnell! Dort, rechts!«
Über die grüne Fläche unter uns flog ein brauner Schatten. Mechanisch hob ich mein Fernglas: eine Herde brauner Pferde galoppierte mit wehenden Schweifen über die Wiese, und auf ihrem Rücken saßen braune, weiße und schwarze Menschen.
Hinter mir sagte eine Stimme: »Sie können es mir glauben, ich habe ein Gesicht gesehen!«
»Erzählen Sie das einem anderen!«
»Dann sehen Sie doch einmal durch das Glas…« Doch sie waren schon verschwunden. Endlos dehnte sich die grüne Einöde… Ein schrilles Läuten: Mittagessen, eine Minute vor zwölf.
Ich ging zur Messe. Auf der Treppe lag ein goldenes Abzeichen; es krachte unter meinem Fuß. Jemand sagte: »Und es war doch ein Gesicht!« Ein dunkles Quadrat — die offene Tür zur Messe. Neben mir zusammengepresste weiße Zähne… Unendlich langsam begann die Uhr zu schlagen, die vordersten Reihen setzten sich in Bewegung. Plötzlich versperrten zwei überlange Arme den Eingang: »Halt!«
Harte Finger gruben sich in meine Handfläche — es war 1 Sie flüsterte: »Was soll das? Kennst du ihn?«
»Nein. Ist das… ist das denn nicht…« Der Mann mit dem Dutzendgesicht sagte: »Alles herhören! Im Namen des Wohltäters! Wir wissen Bescheid. Wir kennen zwar noch nicht eure Nummern, aber wir wissen alles. Ihr sollt den Integral nicht haben! Untersteht euch, auch nur eine Bewegung zu machen. Der Probeflug wird zu Ende geführt. Und dann… Das ist alles, was ich euch zu sagen habe.«
Schweigen. Die gläsernen Platten unter meinen Füßen waren weich wie Watte, wie meine Beine. I sprühte wilde, blaue Funken. Sie zischte mir ins Ohr: »Sie waren’s also! Sie haben Ihre ›Pflicht‹ erfüllt!« Sie riss ihre Hand aus der meinen und ließ mich stehen. Ich ging allein in die Messe, schweigend wie die anderen… »Aber ich habe es doch gar nicht getan! Ich habe keinem ein Wort davon gesagt, außer diesen stummen weißen Seiten…«, schrie ich ihr in Gedanken verzweifelt zu. Sie saß mir gegenüber am Tisch und würdigte mich keines Blickes. Ich hörte, wie sie zu der gelblichen Glatze neben ihr sagte:
»Edelmut? Aber, lieber Professor, eine philologische Analyse dieses Wortes zeigt ja schon, dass es sich hier nur um ein Vorurteil handelt, um ein Überbleibsel aus feudalen Zeiten. Wir aber…«