Die Tür fiel zu; eine eigenartige, luftleere Stille trat ein, wie unter einer Glasglocke. Hätte er nur ein Wort gesagt, und wäre es das unsinnigste gewesen, dann hätte ich ihm sofort alles erzählt. Doch er schwieg. Ohne aufzublicken, begann ich endlich: »Ich glaube, ich habe sie stets gehasst, von Anfang an. Ich habe erbittert mit mir selbst gerungen… Nein, das ist nicht wahr, ich konnte und wollte nicht gerettet werden, ich wollte zugrunde gehen, das war mir mehr wert als alles andere… das heißt, ich wollte nur sie… So empfinde ich auch jetzt noch, da ich alles weiß… Haben Sie gehört, dass der Wohltäter mich zu sich gerufen hat?«
»Ja.«
»Aber, was der Wohltäter zu mir sagte, das wissen Sie wohl nicht… Es war, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen… So, als ob Sie plötzlich mit diesem Schreibtisch, mit dem Papier und der Tinte darauf versänken… Die Tinte spritzt, und alles ist ein einziger Klecks…«
»Weiter, weiter! Beeilen Sie sich, draußen warten noch andere.«
Stockend und verwirrt schilderte ich ihm alles, was gewesen ist und was ich auf diesen Seiten festgehalten habe. Von meinem wahren und von dem anderen Ich, und das, was sie auf dem Spaziergang von meinen Händen gesagt hatte — ja, damit hatte es angefangen —, und wie ich meine Pflicht versäumte, wie ich mich selbst betrog, wie sie mir Atteste besorgte, wie ich mich immer mehr verstrickte, wie ich in die unterirdischen Gänge und in das Land hinter der Grünen Mauer kam. Die spöttischen, S-förmig geschwungenen Lippen schoben mir lächelnd die Stichworte zu — ich nickte dankbar. Aber — was war das? Plötzlich sprach er statt meiner, und ich hörte zu! Es überlief mich eiskalt. Ich fragte: »Wieso wissen Sie das? Sie können es doch von niemandem erfahren haben…«
Er lächelte noch spöttischer. Nach einer Weile sagte er: »Sie wollten mir etwas verheimlichen. Sie haben mir alle genannt, die Sie hinter der Mauer entdeckt haben, aber Sie haben einen vergessen. Erinnern Sie sich nicht mehr, dass Sie mich dort gesehen haben? Ja, mich!« Pause.
Plötzlich durchfuhr mich ein schamloser Gedanke: Er gehört auch zu ihnen! Alle Pein, die ich erlitten, alles, was ich mit letzter Kraft tapfer hierher geschleppt hatte, war nur noch lächerlich wie die alte Geschichte von Abraham und Isaak. Abraham, in kalten Schweiß gebadet, hatte schon das Messer gegen seinen Sohn, gegen sich selbst gezückt — da sprach eine Stimme in der Höhe: »Lass! Ich habe nur gescherzt.«
Ohne den Blick von diesem spöttischen Lächeln zu wenden, stemmte ich mich mit beiden Beinen gegen die Tischkante und schob mich langsam mit meinem Sessel zurück. Dann sprang ich mit einem Satz auf und stürzte an schreienden Menschen vorbei zum Ausgang. Ich weiß nicht, wie ich in den Waschraum der U-Bahn-Station kam. Oben war alles zerstört, die höchste und vernünftigste Zivilisation der Geschichte vernichtet, doch hier unten war durch irgendeine Ironie des Schicksals alles noch so schön wie früher. Aber auch dies würde zerfallen, würden von dichtem Gras überwuchert werden, und über uns würden die Mephi herrschen. Ein entsetzlicher Gedanke! Ich stöhnte laut. Da streichelte mich jemand zärtlich am Arm. Es war mein Zimmernachbar, der auf dem Sitz links neben mir saß. Seine Stirn — eine riesige gelbe Parabel, mit wirren Zeilen darauf, die mir galten. »Ich verstehe Sie, ich verstehe Sie vollkommen«, sagte er. »Aber beruhigen Sie sich, jede Erregung ist überflüssig. Es wird alles wiederkehren. Nur müssen zuvor alle von meiner Entdeckung erfahren. Sie sind der erste, dem ich davon berichte. Ich habe festgestellt, dass es keine Unendlichkeit gibt!« Ich sah ihn verstört an.
»Ja, es gibt keine Unendlichkeit! Wenn die Welt unendlich wäre, dann müsste die mittlere Dichte ihrer Materie Null sein. Da sie jedoch nicht Null ist — wie wir wissen —, muss das Weltall endlich sein, es hat sphärische Form und das Quadrat des Weltradius, y2 = mittlere Dichte, multipliziert mit… Jetzt muss ich nur noch den Koeffizienten berechnen, und dann… nun, dann ist alles ganz einfach. Dann werden wir philosophisch siegen, verstehen Sie? Aber, Verehrtester, Sie stören mich bei meinen Berechnungen, Sie schreien…«
Ich weiß nicht, was mich mehr erschütterte, seine Entdeckung oder seine Ruhe in dieser apokalyptischen Stunde. Er hielt sein Notizbuch und eine Logarithmentafel in der Hand (das bemerkte ich erst jetzt). Da dachte ich: Bevor alles vernichtet wird, muss ich meine Aufzeichnungen abschließen, das bin ich meinen Lesern schuldig. Ich bat meinen Nachbar um Papier und schrieb diese Zeilen nieder. Ich wollte schon einen Punkt machen, so, wie unsere Vorfahren über den Gruben, in die sie ihre Toten warfen, ein Kreuz errichteten, aber plötzlich zitterte der Bleistift in meiner Hand und rollte auf den Boden. »Hören Sie«, ich packte meinen Nachbarn am Arm, »beantworten Sie mir diese Frage. Sie müssen sie mir beantworten. Was ist dort, wo Ihr endliches Weltall aufhört, was ist dort?«
Er hatte keine Zeit mehr, zu antworten; stampfende Schritte kamen die Treppe herunter…
EINTRAGUNG NR. 40
Tag. Hell. Barometerstand 760.
Habe ich, D-503, tatsächlich all diese Seiten geschrieben? Habe ich das wirklich jemals empfunden, was ich hier aufgezeichnet habe, habe ich es mir nur eingebildet?
Ja, es ist meine Handschrift. Auch auf dieser Seite ist es meine Handschrift… Aber hier ist nicht mehr von Phantasien und Gefühlen die Rede, sondern nur noch von Fakten. Ich bin nämlich wieder gesund, völlig gesund. Unwillkürlich muss ich lächeln, ich kann nicht anders: man hat mir einen Splitter aus dem Kopf gezogen, und ich spüre eine große Leere und Erleichterung. Nein, keine Leere, es ist nur nichts mehr da, was mich am Lächeln hindert (das Lächeln ist der Normalzustand eines normalen Menschen).
Nun zu den Fakten: Gestern Abend wurden mein Nachbar, der die Endlichkeit des Weltalls entdeckt hatte, ich und sämtliche Nummern, die keine Bescheinigung über die Operation besaßen, verhaftet und ins nächste Auditorium geführt. Man band uns fest und operierte uns. Heute morgen ging ich, D-503, zum Wohltäter und berichtete ihm alles, was ich von den Feinden des Glückes wusste. Ich kann jetzt einfach nicht begreifen, weshalb mir das früher so schwierig vorkam. Es gibt nur eine Erklärung dafür: meine Krankheit, die Seele. Am Abend saß ich an einem Tisch mit dem Wohltäter in der Gaskammer. Die Nummer I-330 wurde hereingeführt. Sie sollte in meiner Gegenwart ein umfassendes Geständnis ablegen. Sie schwieg hartnäckig und lächelte nur. Ich bemerkte, dass sie scharfe, sehr schöne weiße Zähne hatte. Man setzte sie unter die Gasglocke. Ihr Gesicht wurde bleich, aber ihre großen dunklen Augen leuchteten dadurch nur noch mehr. Als die Luft aus der Glocke gepumpt wurde, warf sie den Kopf zurück, senkte die Lider und presste die Lippen zusammen — das erinnerte mich an irgend etwas. Sie hielt sich krampfhaft an den Sessellehnen fest und blickte mich an, bis ihr die Augen zufielen. Dann wurde sie aus der Gasglocke herausgeholt, durch einen Stromstoß wieder zu sich gebracht und von neuem unter die Glocke gesetzt. Dreimal wiederholte sich dies, doch sie sagte kein Wort. Die anderen, die zusammen mit ihr hereingeführt wurden, benahmen sich weniger widerspenstig: die meisten sprachen schon beim ersten Male. Morgen werden sie alle die Stufen zur Maschine des Wohltäters hinaufsteigen.
Wir müssen handeln, die Sache duldet keinen Aufschub, denn in den westlichen Vierteln gibt es immer noch Chaos, Gebrüll, Leichen, Tiere und leider auch eine bedeutende Zahl von Nummern, die die Vernunft verraten haben. Aber es ist uns gelungen, auf dem 40. Prospekt eine provisorische Mauer aus Starkstrom zu errichten. Ich hoffe, dass wir siegen. Ich bin sogar fest von unserem Sieg überzeugt. Die Vernunft muss siegen!