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Seine Besuche in der Universität, bei dem Rektor, in der Klinik waren ergebnislos. Mit Professor Dr. Purr sprach er gar nicht, weil der als Chef einer Kinderklinik außerhalb des Personenkreises lag, den Peter vorgesehen hatte. So machte er Fehler über Fehler — Unterlassungen über Unterlassungen, die er aber nicht verbessern konnte, weil er in Unkenntnis handelte.

Notgedrungen traf er bei seinen Rundreisen durch die alte Universitätsstadt auch auf den Diener der Laboratorien, auf Fritz Be-nischek.

Dieser wiederholte sein Spiel der bis 18 Uhr gebundenen Pflichterfüllung — wie seinerzeit bei Dr. Paul Sacher.

Nur mit dem Unterschied, daß Perthes sich nicht abwimmeln ließ, sondern einen Ausweis des Rektors vorzeigte. Benischek kniff die Augen zusammen, setzte umständlich seine Brille auf und las den Ausweis langsam durch.»Herrn Dr. Perthes ist jede Unterstützung bei der Erforschung eines dringenden Falles zu gewähren.«

So stand da zu lesen.»Hm!«machte Benischek und gab den Ausweis zurück.»Denn kommse mal rin!«

Er tappte voraus in das Zimmer, in dem Angela das Serum entwickelt hatte. Peter Perthes setzte sich auf das Sofa. Er war am Ziel seiner Suche — und ahnte es nicht!

Dr. Perthes blickte sich um, es war ein Wohnzimmer wie alle Wohnzimmer eines alten Junggesellen, ein wenig staubig, durcheinander, unpersönlich.

«Ich möchte gern von Ihnen wissen, Herr Benischek«, sagte er, jedes Wort betonend,»ob hier in den Labors von einem der Herren ein Serum entwickelt worden ist, das den Biß der >Schwarzen

Witwe<, einer sehr giftigen Spinnenart, heilt.«

Siedend heiß schoß es in Benischek hoch. So direkt war er lange nicht gefragt worden. Dr. Bender! dachte er. Und ich darf nichts verraten. Was will der fremde Arzt von ihr? Will man ihr etwas? Hat sie vielleicht einen Mißerfolg mit dem Serum gehabt?

Er kapselte sich innerlich ab und sah Dr. Perthes dumm an.

«Wat?«fragte er.»'ne schwarze Witwe?«Er lachte affektiert.»Seit wann sin denn Witwen jiftig?«

Peter Perthes sah an die Decke. Ruhig, sagte er sich, nur ruhig bleiben. Nicht die Geduld verlieren. Fehlschlag auf Fehlschlag hast du heute einstecken müssen, nun mußt du hart bleiben.»Es ist, ich sagte es schon, eine giftige Spinne der Tropen. Ihr Gift ist absolut tödlich. Nun kam aus Erlangen nach Südamerika ein Päckchen mit zehn Ampullen eines Serums, das dieses Gift unwirksam macht. Aber das Päckchen war anonym. Ich möchte gern, verstehen Sie, Herr Benischek, den Absender wissen, um ihm zu danken.«

Det is gelogen, dachte Benischek im Berliner Dialekt. Da ist wat schiefjeloofen. Der will mir fangen, aber so dumm is der olle Fritz nich, dat er uff den süßen Leim kriecht wie ne Flieje!

«Nee«, meinte er dann nach einer Pause und schüttelte den greisen Kopf.»Nee, bei uns? Nee! Da müssen Se mal den ollen Professor Kratz fragen. Der is hier Hausherr.«

«Ich war schon bei Professor Dr. Kratz! Er weiß von nichts. Seine Chemiker, seine Physiker, die Serologen und Toxikologen haben ganz andere Versuchsreihen in den Labors. Es muß sich bei meinem Serum um heimliche Versuche gehandelt haben, um Versuche, die vielleicht nach der Dienstzeit stattfanden. Und von denen müßten Sie, Herr Benischek, eigentlich wissen, denn ohne Ihr Wissen und ohne Ihre Erlaubnis arbeitet doch nach Feierabend niemand hier in den Sälen.«

«Ick weeß aber nischt!«Benischek wurde lauter.»Ich lasse mir ooch nich an de Ehre packen! Ooch nich von nem Doktor med.«

Dr. Perthes erhob sich und zuckte mit den Schultern.

«Dann eben nicht! Es gibt in Erlangen kein Privatlabor, das die

Möglichkeiten hätte, ein solches Serum zu entwickeln. Vor allem haben sie nicht die Gifte vorrätig — und erhalten sie auch nicht. Diese tropischen Gifte stehen unter staatlicher Kontrolle, müssen Sie wissen. Es muß also unbedingt hier gewesen sein!«

«Himmel, Kreuz und Wolkenbruch!«Benischek wurde rot im Gesicht.»Ick bin seit dreißig Jahren Labordiener! Ick habe imma meine Pflicht jetan! Ick habe nie jekohlt! Ick habe als Anjestellter des Staates imma jewußt, wat ick zu tun hatte! Wenn ick nun sage: Nee — dann is det nee! Vastanden?«Er sah Peter beinahe lauernd an.»Vielleicht hat eener det Mittel woanders erfunden, aber zur Irreführung der Behörden in Erlangen uff de Post jejeben?«

«Möglich!«Peter nahm seinen Hut und verließ die Universitätslaboratorien. Auf der Straße schüttelte er den Kopf, ging dann durch die Stadt, ziellos, in Gedanken versunken, und nun mußte er sich eingestehen, daß er geschlagen war.

Die Polizei benachrichtigen?

Ein Detektivbüro einschalten?

Er schüttelte wieder den Kopf, ging zurück zum Bahnhof und betrat sein Hotelzimmer.

Es hat keinen Zweck, gestand er sich. Ich laufe mich tot dabei.

In dieser Nacht schrieb er an den Bankier von Barthey einen Brief:»In vierzehn Tagen werde ich in Köln sein. Noch will ich mich ein wenig erholen von den Abenteuern meiner fremden Welt, die ich jetzt erst in ihrem ganzen Ausmaß zu begreifen beginne. In Köln werde ich dann mit Ihrer freundlichen Unterstützung an die Auswertung meiner Forschungen gehen. Ich hoffe sehr, daß alle Schmerzen nicht umsonst waren und wir ein neues Serum serienmäßig produzieren können.

Wenn ich Sie, verehrter Herr von Barthey, der mir bald zum zweiten Vater geworden ist, um etwas bitten dürfte — so ist es die Bitte um Diskretion. Wenn ich zu Ihnen zurückkehre, so möchte ich keine Presse sehen, keine Modenschau — nur die alten, vertrauten Freunde. Denken Sie bitte nicht, ich sei in der Hölle des Urwaldes menschenscheu geworden oder mein Leid wäre so groß, daß ich mich schämen müßte, mit ihm unter Menschen zu gehen. Nein, so ist es nicht! Aber ich will in Köln keine Sensation sein, sondern ich möchte mich still in meine Aufgaben zurückziehen — ich will arbeiten, nichts als arbeiten! Ich habe eine große Verpflichtung übernommen, als ich ein völlig unbekanntes Serum in einem Selbstversuch erprobte und meine Beine mir wieder gehorchten. Ich habe mir damals geschworen, dieses Serum der ganzen Menschheit zugänglich zu machen, wenn ich auch immer noch nicht weiß, wer der geniale Forscher war, der es fand. Es ist ein Wunder, dieses Serum, das zunächst nur in meine Hand gegeben wurde — durch ein unbekanntes, anonymes Paket!

Ich glaube, daß Sie mich verstehen, verehrter Herr von Barthey, und ich weiß, daß mir Ihre liebenswürdige Fürsorge und die Mithilfe meiner Kölner Freunde die Kraft geben werden, dieses große Werk zu vollbringen.«

Als er dieses Schreiben noch einmal überlas, kamen ihm die Worte hohl und dumm vor.

Die Tatsache, daß das Serum in Erlangen entstanden war, aber keiner wußte, wer es entwickelt und hergestellt hatte, war für ihn niederschmetternder als die Ergebnislosigkeit einer ganzen Versuchsreihe. Hier, in Deutschland, gab es einen Mann, der den Schlüssel zu vielen Krankheiten in der Hand hielt, der mehr konnte als er, Dr. Peter Perthes der Toxikologe. Einen Mann, der die >Schwarze Witwe< besiegte mit einer lächerlich laienhaften Ampulle, mit Wachs verschlossen.

Aber er ließ den Brief so, wie er war. Er faltete ihn, steckte ihn in einen Umschlag und trug ihn zur Post.

Dann stand er auf dem Bahnhofsvorplatz und ließ die Haare im Wind flattern, die Haare, die in Zapuare weiß geworden waren, ein Opfer der sengenden Hitze.

Arbeiten, dachte er. Nur noch arbeiten!

Ich werde nach Köln fahren, noch bevor die vierzehn Tage um sind. Ich habe keine Ruhe mehr.

Und wieder hatte es das Schicksal anders bestimmt.

Vier Tage später erhielt Dr. Perthes einen Brief aus München. Der Rektor der Erlanger Universität hatte seinem Kollegen und Freund, dem Rektor der Münchener Universität, berichtet, daß der bekannte Toxikologe Dr. Perthes, der Entdecker eines Curare-Serums, zur Zeit in Erlangen sei und nicht an eine Klinik gebunden wäre. Er wolle den Münchnern einen Wink geben, sich diesen Mann, der zu den größten Hoffnungen berechtigte, zu sichern.