Выбрать главу

Am nächsten Tag reiste Dr. Perthes von Erlangen ab. In München empfing man ihn wie ein Weltwunder. Man stellte ihm alle Labors zur Verfügung, geldliche Mittel nach Belieben, eine Klinik für Versuche, die Poliklinik, die Chirurgische Abteilung. Es gab kein Wenn und Aber mehr — es gab nur Zusicherungen in einem Umfang, wie sie ein Wissenschaftler bisher kaum erhalten hatte.

Und man gab ihm die Möglichkeit, seine Pläne sofort in die Tat umzusetzen. In der Nacht noch unterschrieb er den Vertrag.

Kapitel 16

Im Juni 1952 lebte Dr. Peter Perthes in München. Er forschte, kannte keine Ruhe, schlief in den Laboratorien, wo man ihm ein Feldbett aufgeschlagen hatte.

Die kleine Ampulle, die letzte der zehn, war nach wenigen Versuchen verbraucht — nach Versuchen, die zu keinem Ergebnis geführt hatten. Dieses Serum erwies sich als widerspenstig.

So war Dr. Perthes jetzt, nach Monaten, zu einer eigenen Versuchsreihe gekommen, zu der er sich das Gift der >Schwarzen Wit-we< vom Tropeninstitut hatte kommen lassen. Nun forschte er, ganze Ställe voller Affen und Kaninchen um sich herum, mit weniger Glück als Angela vor einem Jahr. Er kam nicht weiter.

Teilerfolge freuten ihn, bis er einsehen mußte, daß das Gift stärker

war und nach einer gewissen Zeit, genährt durch die Körperwärme, wieder durchschlug.

Er saß in den Kliniken an den Betten der Kranken, er hatte Zutritt zu allen Stationen der Universitäts-Krankenhäuser, er hockte in der serologischen Abteilung und ließ sich von Professor Dr. Donath die Erfolge und Mißerfolge der Münchener Wissenschaftler erklären.

Und dann ging er wieder durch die langen Gänge der Kliniken, arbeitete mit Gummihandschuhen in den Isolierstationen, stand die Nächte über im Keller der Anatomie und nahm selbst die Autopsie der Toten vor, die dem Ansturm der Viren und Bakterien erlegen waren.

Am Morgen stieg er dann von neuem ans Tageslicht, fahl, eingefallen, unrasiert, mit glänzenden Augen, wusch sich schnell in seinem Zimmer, nahm ein Bad, rasierte sich, trank hastig seinen Morgenkaffee, schlang ein Brötchen hinunter oder verzehrte ein Ei.

Dann eilte er schon wieder zu den Stationen und saß an den Betten der Kranken, beobachtete ihre Herztätigkeit oder impfte im Keller die Kaninchen und die Meerschweinchen mit neuen Präparaten.

Mit Präparaten, die wieder versagten.

Der Gedanke, laufend zu versagen, machte ihn hart gegen sich. Er hatte es erlebt, daß ein infizierter Affe nach drei Injektionen mit dem unbekannten Serum genas… diese drei Injektionen aber waren von dem letzten Impfstoff gemacht worden, den er besaß… und er stand vor dem Wunder, daß ein todkranker Körper sich erholte.

Er hatte es doch selbst gesehen, daß es einen Weg gab, daß das Dunkel nicht undurchdringlich war!

Dann war es wieder einmal, als habe er Erfolg. Er hatte eine Ratte mit dem Messer in den Rücken geritzt — und die Messerspitze war mit dem Gift der >Schwarzen Witwe<, das er aus Hamburg bekommen hatte, getränkt.

Nach zehn Minuten zeigten sich Krämpfe, die Ratte legte sich auf den Rücken, die Beine erlahmten, der Atem war pfeifend. In die-

sem Stadium, kurz vor der Atemlähmung, injizierte Dr. Perthes sein Serum 365, das Ergebnis des 365. Versuchs in der Retorte. Die Ratte erholte sich, sie stellte sich auf die Beine. Starr saß der Forscher vor dem kleinen Käfig und betrachtete diese Wandlung. Er dachte daran, daß sein letzter Versuch kurz vor dem Gelingen deshalb versagte, weil die Körperwärme das Gift über das Antitoxin brachte.

So nahm er jetzt die Ratte aus dem Käfig, setzte sie in einen Eisbehälter und packte das Tier in Eisstückchen, bis nur noch die spitze Schnauze mit den langen Barthaaren heraussahen.

Dort blieb die Ratte, bis sie fast steif gefroren war, und in diesen vereisten Körper injizierte er noch einmal das Serum. Er dachte an die neuen Kälteschlaf-Operationen, die von sich reden machten, an die neuen Methoden, das Herz und den Blutkreislauf durch Kälte so einzudämmen, daß man das Herz in aller Ruhe mit dem Skalpell angehen konnte. und die Ratte lebte weiter, bis man sie aus dem Eis befreite.

Dann ging sie ein.

Das Gift war stärker! Es hatte auch die Eiseskälte überstanden. Versuch 365 war mißlungen — kurz vor dem Triumph!

An diesem Abend blieb Dr. Perthes auf seinem Zimmer. Er ging nicht zum Essen, er nahm den Hörer nicht ab, als man anrief. Er verkroch sich und starrte vor sich hin.

Er brauchte in diesem Zustand keinen Trost. er konnte ihn nicht ertragen. Schmerzhafter als je zuvor hatte er heute eingesehen, daß er nur ein Mensch war, ein kleiner, armseliger, nichtswissender Mensch, den die Natur nach jedem neuen Versuch ins Gesicht schlug.

Aber er blieb in München, und er gab noch nicht auf.

Mit Herrn von Barthey hatte er sich geeinigt. Seine Forschungen an der Münchner Universität stellte er der langsam anlaufenden pharmazeutischen Fabrik in Köln zur Verfügung, nachdem er es fertiggebracht hatte, zwischen dem Bankhaus von Barthey und dem bayerischen Staat als Vertreter der Universität einen Vertrag zu lancieren, der dem Kölner Bankier die Auswertung aller Forschungen des Dr. Perthes in München übertrug — bei einer Beteiligung des Staates.

Mit Professor Window und Dr. Paul Sacher stand er in regem Briefwechsel. Einmal sogar besuchte Paul Sacher den Freund. Er freute sich über dessen Gesundheit, und wenn auch die Gehkraft der Beine nicht vollständig wiedergekommen war, so konnte Peter Perthes doch, auf einen Stock gestützt, rüstig gehen. Von einer Behinderung jedenfalls war nicht zu sprechen.

Aber der Inhalt der zehn Ampullen, jenes wunderbare Serum, das ihn anonym erreicht hatte, ließ ihm keine Ruhe. Wer war der Unbekannte, der sich nicht in die Karten schauen ließ und dem er, Dr. Perthes, nicht das Wasser reichen konnte, weil ihm, wie er jetzt fest glaubte, einfach der geniale Blick ins Geheimnisvolle versagt war.?

Angela Bender lebte in Gauting still und zufrieden. Der kleine Peter gedieh prächtig. Er war ein kräftiger, blonder Junge, der mit seinen dicken Beinen durch den Garten stolperte und mit seinem lauten Krähen das ganze Haus erfüllte.

Wenn Angela jetzt abends ihre Praxis zuschloß und sich ganz dem Kind widmen konnte, so wünschte sie sich nichts weiter vom Leben als das lange dauernde Glück, diese Tage mit ihrem Kind recht intensiv erleben zu dürfen.

In zwei oder drei Jahren, wenn alles gut weiterging, wollte sie sich in Gauting ein Häuschen bauen, mit einem weiten Garten, mit Liegewiese und Obstbäumen, und Peter sollte eine Jugendzeit verleben, die sie in diesem Alter nie gekannt hatte. Er sollte niemals den Vater vermissen — sie wollte ihm beides sein, Vater und Mutter.

Dafür arbeitete sie, dafür war sie nachts oft unterwegs, dafür assistierte sie in einer Kinderklinik und saß, wenn es die Praxis erlaubte, wenn Peter schlief oder mit dem neuerdings engagierten Hausmädchen ausgegangen war, in einem kleinen Labor, das sie sich in einer unbenutzten Dachkammer mit Erlaubnis der Frau Landsgerichtsratswitwe eingerichtet hatte. Dort baute sie neue Versuche auf ihr in Erlangen gelungenes Antitoxikum auf, konzentrierte die Wirkstoffe auf ein Maß, daß eine Injizierung von 4 ccm genügte, wo Pe-ter damals noch 10 spritzen mußte, und entwickelte ein Mittel, das neben dem Gift der >Schwarzen Witwe< auch eine Heilung bei anderen tierischen Giften versprach.

Sie dachte daran, nach der völligen Durchforschung des Komplexes ihr neues Serum der Öffentlichkeit vorzustellen und Peters Zukunft damit für alle Zeiten zu sichern.

Von Dr. Perthes hatte sie nichts mehr gehört.

Sie hatte damals das Serum ohne Absender an Dr. Cartogeno geschickt, der ihr nach dem einen Brief nicht wieder geschrieben hatte. Daß Peter Perthes aus Kolumbien zurückgekommen war, daß er jetzt ganz in ihrer Nähe in München lebte, davon wußte sie nichts. Sie hatte im Mikroskop gesehen, daß ihr Serum half, und das Bewußtsein, Peter von seiner Lähmung gerettet zu haben, erfüllte sie mit Freude — aber auch mit der Gewißheit, daß hiermit die letzte Verbindung zu ihm abgebrochen sei. Sie hatte ihm den Glauben an sich selbst wiedergegeben, einen Glauben, den er dazu ausnützen würde, um zu bleiben und weiterhin in den riesigen Urwäldern den giftigen Reptilien nachzujagen und seine Forschungen zu betreiben.