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«Angela!«sagte er leise. Es war wie ein Gruß, aber in der Zaghaftigkeit des Wortes lag alles Weh dieser Welt.

«Ja, Peter.«

«Ich kann es nicht fassen. «Er schüttelte den Kopf.

«Ich glaube es auch so lange nicht, bis du mir deine Hand gegeben hast.«

Er gab sie ihr und fühlte ihren leichten Druck. Dann blickte er wieder verlegen seine Spritze an.

«Erst das Kind«, sage er und trat näher.»Ich habe heute nacht ein Serum entwickelt, aufbauend auf den Erkenntnissen des Rekonvaleszenz-Serums. Nur habe ich versucht, durch bisher unbekannte Sulfoverbindungen die Wirkung zu konzentrieren, verstehst du? Ob es hilft.«

Er zuckte mit den Schultern.»Ich möchte aber doch erst die Eltern des Kindes fragen, immerhin ist es ein Versuch. Sie müssen damit einverstanden sein.«

«Ja, Peter. Ich spreche doch täglich mit ihnen, stündlich.«

«Du hast also mit ihnen schon gesprochen?«

«Sie sind einverstanden. «Angela sah Peter groß an.»Immer! Auch jetzt, Peter.«

Da zuckte er zurück.

«Angela.«, stammelte er,»dieser Junge. ist.«

«Mein Kind, ja, Peter. Und er heißt — Peter. «Sie mußte sich abwenden.»Er ist jetzt eindreiviertel Jahre alt.«

Er stürzte auf sie zu, umfing ihre Schultern und drehte sie zu sich herum.

Ganz nah war ihr Gesicht, und er sah, daß Tränen in ihren geröteten Augen standen. Angelas Mund zuckte. Da preßte er den Kopf an seine Brust und streichelte ihn langsam.

«Angela«, sagte er leise,»Angela. Ich kann nichts mehr sagen. Nur noch eins, Angela: Ich schäme mich — ich schäme mich.«

Sie löste sich aus seinen Armen und wischte sich die Tränen mit einer schnellen Handbewegung aus den Augen.»Erst das Kind!«sagte nun auch sie stockend.»Rette es, Peter. Der Himmel hat dich zurückkommen lassen, um dein Kind zu retten, unser Kind.«

Dr. Perthes wandte sich ab, griff von neuem nach der Spritze und trat an das Bettchen. Der kleine Peter lag in den Kissen wie ein Wesen, das man verloren hatte. Noch schlief er, aber im Schlaf tastete seine Hand an den Hals, an den Nacken, als fühle er dort einen Schmerz.

«Typisch!«sagte Peter leise und setzte sich auf den Stuhl, den Angela herangeschoben hatte.»Schmerzen im Nacken nach einem Fieberanfall. «Er blickte zur Seite, wo Angela stand.»Fühlst du dich stark genug, um zu assistieren?«

«Ja, Peter. «Sie setzte sich ihm gegenüber, sie hielt den Arm ihres Kindes fest, rieb die Haut mit Alkohol ab und blickte dann den Arzt fest an.

Der saß vorgebeugt, die Spritze in der Hand, und starrte sein Kind an. Die blonden Haare waren voller Schweiß, die Haut auf dem Näs-chen zitterte. Der Mund war verkniffen.

«Mein Junge!«sagte er leise.»Mein Peter!«Dann legte er die Spritze weg.» Ich kann es nicht, Angela.«

«Peter!«Sie sah ihn entsetzt an.»Soll er denn sterben?«»Das Serum ist nicht erprobt, Angela. Heute nacht habe ich es erst entwickelt. Aus der Retorte habe ich es in die Ampulle umgefüllt. Ich weiß doch nicht, ob es hilft… ich habe große Hoffnungen, natürlich, aber.«

Er stockte.

Dann fuhr er leise fort:»Es kann auch der Tod sein, den ich unserem Jungen spritze.«

«Wage es, Peter!«Angela tastete mit ihrer Hand zu seiner Hand.»Wir sind nur Menschen, Peter. Hier muß Gott helfen.«

Mit starrem Gesicht setzte Dr. Peter Perthes die Nadel an, stieß in die Vene und drückte das neue Serum langsam in die Blutbahn des Kindes. Es zuckte bei jedem Stich zusammen, wollte mit der anderen Hand den Arm fassen, aber da beugte sich Angela über den Jungen und hielt seinen Arm fest.

Mit einem Ruck zog Perthes die Nadel heraus. Schweiß stand in dicken Tropfen auf seiner Stirn. Seine weißen Haare hingen unordentlich in die Stirn.

«In zwölf Stunden müssen die ersten Reaktionen kommen«, sagte er müde. Er blickte auf seine Armbanduhr.»Es ist jetzt sieben Uhr morgens. Bleibst du bei Peter?«

«Ja.«

«Das ist gut. «Er schellte und bestellte bei der hereinschauenden Schwester starken Kaffee.

Dann saßen sie bis gegen Mittag am Bett des Kindes. Wortlos. Nur ihre Hände hielten sich fest, als wollten sie sich aneinanderklammern, festklammern in ihrer Not und Hoffnung.

Der kleine Peter schlief weiter. Einmal drehte er sich auf die Seite, ohne aufzuwachen, und murmelte ein paar Worte, die man nicht verstehen konnte.

«Wann bist du zurückgekommen?«fragte sie leise.

«Voriges Jahr. Ich fuhr für ein paar Tage nach Erlangen.«

«Nach Erlangen?«Sie sah ihn ungläubig an.»Was wolltest du denn ausgerechnet in Erlangen?«

«Einen Mann suchen!«Er winkte ab.»Das ist eine lange Geschichte,

Angela. Ich muß sie dir erzählen, wenn Peter gesund ist und wir lange Abende Zeit haben, die Abenteuer des verlorenen Peter Perthes anzuhören. Ich könnte auch beginnen: Es war einmal. Es war auch ein Märchen, ein Lebensmärchen, das sich nun der Erfüllung zuneigt.«

«Ich weiß es. «Angela Bender lächelte leicht. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und blickte hinaus auf die langen Regenfäden, die trommelnd die Fenster hinunterliefen.

Bleigrau hing der Himmel über München.»Da geht ein Mann in den Urwald hinaus und rettet mit einem neuen Serum einen bösen Indianerhäuptling. Monatelang lebt er unter den Wilden, streift durch die Wälder, die noch kein Mensch betreten hat, er wird zum >Weißen Zauberer<, den alle Wilden gläubig verehren. Da wird er plötzlich von einer >Schwarzen Witwe<, der berüchtigten Giftspinne, gebissen und ist selbst todkrank.«

«Angela!«Peter wollte aufspringen, aber sie hielt ihn fest. Mit der rechten Hand verschloß sie seinen Mund und erzählte weiter:

«Mit dem gleichen Serum rettete sein Freund, Dr. Cartogeno, sein Leben, aber die Beine blieben gelähmt. Das Leben des großen weißen Urwalddoktors schien vernichtet. Auf Krücken humpelte er durch den Wald. Er wurde lebensmüde. Da schrieb Dr. Cartogeno in seiner Not nach Deutschland. Er schrieb auch an eine gewisse Angela Bender.«

«Fernando? Er hat an dich geschrieben?«

«Pst! Ich erzähle ein Märchen.«

Sie drückte ihn wieder auf den Stuhl zurück.»Wenn man ein Märchen hört, muß man ganz still sein, sonst spürt man nicht den Zauber, der durch den Raum geht. Diese Angela Bender war in Erlangen, nachdem sie ihren Sohn geboren hatte. Sie arbeitete an der Klinik. Heimlich aber forschte sie nach einem Serum. In langen nächtlichen Versuchen fand sie es, schickte zehn Ampullen nach Zapuare, wurde dann sehr krank und zog nach München, um für sich und ihren Jungen ein neues Leben aufzubauen. Sie verwischte alle Spuren hinter sich, sie nahm dem Laboratoriumsdiener Benischek das

Ehrenwort ab, nie zu verraten, wer da nachts in den Labors gearbeitet und geforscht hatte, und sie wollte auch nie mehr ihre alten Kölner Freunde wiedersehen. zuallerletzt einen gewissen Dr. Peter Perthes.«

«Das ist doch alles ein Traum!«Peter fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare.»Das kann doch nicht Wirklichkeit sein! Angela, du — das Serum — die zehn Ampullen — meine Rettung.«

Er riß sie zu sich empor. Klein, schmächtig, aber mit leuchtenden Augen lag sie an seiner Brust. Sie nickte nur.

«Ich habe dir also mein Leben, alle meine Erfolge zu verdanken, alles! Und ich? Ich verließ dich. Ich habe dich hintergangen, belogen, in der größten Not allein gelassen! Du hast dieses Kind geboren, du hast für es bis zum Zusammenbrechen gearbeitet… und ich. «Er schüttelte den Kopf.»Wie schuftig habe ich gehandelt… wie gemein!«Er drehte sich um und wollte zur Tür gehen.

«Wohin willst du gehen?«fragte Angela, am Bett stehend.

«Fort. Irgendwohin!«

Er drückte die Türklinke herunter.»Leb wohl, Angela. Ich muß jetzt mit meiner Schuld allein sein.«

«Und dein Kind?«

Sie rührte sich nicht vom Bett des Jungen.»In ein paar Stunden werden die Reaktionen deines Serums auftreten. Willst du Peter damit allein lassen?«