Der Reiter ging in die Stube, und alle zusammen verzehrten eine Schüssel voll warmer Milch mit Roggenbrot. Der Reiter ging dann in den Stall, und vollendete die Morgenpflege seines Pferdes.
Als dieses vorüber war, sagte er: »Weil heute Sonntag ist, soll das Pferd ruhen. Ich werde in den Wald hinauf und zu dem Fels der drei Sessel gehen. Ich habe ihn gestern von dem Rande des breiten Berges aus betrachtet. Am Nachmittage werde ich wieder zurückkehren. Du, Mathias, besorge die Mittagpflege des Pferdes, wie du schon weißt.«
»Ich werde es betreuen, wie das schöne milchweiße Pferd in Plan, welches Ihr gehabt habt«, sagte der Mann. »Das weiße Pferd wäre mir zu dem, was ich jetzt vorhabe, doch zu schwach«, entgegnete der Reiter. »So steckt doch wenigstens ein Stück Brot zu Euch«, sagte die Frau.
Der Reiter nahm das dargereichte Stück Brot, und barg es in seinem Wamse. Dann ging er gegen das Wasser, welches in der Nähe der Hütte vorüber floß. Die Bewohner der Hütte begleiteten ihn bis an das Wasser.
»Euer Mihelbach fließt recht schön an deiner Hütte vorüber«, sagte der Reiter.
»Ja«, erwiderte der Mann, »zuweilen aber nicht oft auch in dieselbe hinein.«
»Nun gehabe dich wohl, Mathias, und Ihr auch, Frau, mit Euern Kindlein«, sagte der Reiter. »Gehabt Euch wohl, junger Herr«, antwortete der Mann. »Erhitzt Euch nicht zu sehr, und kommt gesund wieder zurück«, sagte die Frau.
»Es wird schon so geschehen«, erwiderte der Reiter. Dann ging er auf dem flachen Holzstege über das Wasser, die andern gingen gegen die Hütte zurück.
Jenseits des Wassers ging er in dem Walde empor. Der Himmel war ganz blau, und man konnte die Waldglocken von Rindern und manchen Schrei eines Vogels hören. Der Reiter wich zuweilen von dem Pfade ab, und ging auf eine Waldblöße hinaus.
Auf einer solchen Waldblöße, auf welcher kurzes Gras und kleine weiße Blümchen waren, und an deren Rande große Ahorne standen, lag, als die Ahorne endeten, ein sehr großer Stein, fast so groß als ein Haus, als wäre er von Menschenhänden hingelegt worden, und an dem Steine stand eine ungemein hohe Tanne. Der Reiter kniete an der Tanne nieder, und verrichtete ein Gebet. Als er gebetet hatte, stand er wieder auf, und ging am Rande der Blöße weiter. Er kam wieder zu Ahornen, unter denen abermals Steine lagen, aber kleine, als wären sie zum Sitzen hergelegt worden. Der Reiter versuchte die Steine als Sitze, und sie taugten. Da er wieder aufgestanden war, und weiter gehen wollte, hörte er plötzlich Stimmen. Es war ein Gesang so klar und schmetternd wie von Lerchen. Es waren aber nicht Lerchenstimmen, sondern Menschenstimmen, Mädchenstimmen. Sie sangen jenes Lied ohne Worte, in welchem im Walde und in Bergen das Herz sich in allerlei Schwingungen der Stimme, im Stürzen und Heben derselben, im Wandeln und Bleiben ausspricht. Es waren zwei Stimmen, die im Vereine und in Verschlingungen klangen. Sie erklangen, hoben sich, senkten sich, trugen sich, trennten sich, neckten sich, schmollten und jubelten. Es war die Lust und Freude, die sie tönten. Der Gesang schien näher zu kommen. Mit einem Male traten zwei Gestalten aus den Tannen hervor, und standen am Rande derselben Blöße wie der Reiter und in nicht großer Entfernung von ihm. Sie hielten sich mit zwei Armen die Nacken umschlungen, die anderen zwei Arme hatten sie frei. Es waren junge Mädchen mit bloßen Köpfen, von deren jedem zwei Zöpfe niedergingen. An den Armen war weißes Linnen, von den Brustlatzen, die rot waren, fiel der starkfaltige schwarze Rock hinab. Eines der Mädchen trug wilde rote Rosen, neben einander stehend, um das Haupt. Das andere hatte keine Zierde. Da sie auf die Wiese getreten waren, und den Mann sahen, hörte ihr Gesang auf. Sie blieben stehen, sahen auf ihn hin, und er stand gleichfalls, und sah auf sie. Dann begann er langsam gegen sie hin zu gehen. Sogleich trat das Mädchen, welches keine Rosen hatte, in den Wald zurück, das andere blieb stehen. Der Reiter ging zu demselben hin. Da er bei ihm angekommen war, sagte er: »Was stehst du mit deinen Rosen hier da?«
»Ich stehe hier in meiner Heimat da«, antwortete das Mädchen; »stehst du auch in derselben, daß du frägst, oder kamst du wo anders her?«
»Ich komme anders woher«, sagte der Reiter. »Wie kannst du dann fragen?« entgegnete das Mädchen. »Weil ich es wissen möchte«, antwortete der Reiter. »Und wenn ich wissen möchte, was du willst«, sagte das Mädchen. »So würde ich es dir vielleicht sagen«, antwortete der Reiter.
»Und ich würde dir vielleicht sagen, warum ich mit den Rosen hier stehe«, entgegnete das Mädchen. »Nun, warum stehst du da?« fragte der Reiter. »Sage zuerst, was du willst«, erwiderte das Mädchen. »Ich weiß nicht, warum ich es nicht sagen sollte«, erwiderte der Reiter, »ich suche mein Glück.«
»Dein Glück? hast du das verloren?« sagte das Mädchen, »oder suchst du ein anderes Glück, als man zu Hause hat?« »Ja«, antwortete der Reiter, »ich gehe nach einem großen Schicksale, das dem rechten Manne ziemt.«
»Kennst du dieses Schicksal schon, und weißt du, wo es liegt?« fragte das Mädchen. »Nein«, sagte der Reiter, »das wäre ja nichts Rechtes, wenn man schon wüßte, wo das Glück liegt, und nur hingehen dürfte, es aufzuheben. Ich werde mir mein Geschick erst machen.«
»Und bis du der rechte Mann, wie du sagst?« fragte das Mädchen. »Ob ich der rechte Mann bin«, antwortete der Reiter, »siehe, das weiß ich noch nicht; aber ich will in der Welt das Ganze tun, was ich nur immer tun kann.«
»Dann bist du vielleicht der rechte«, erwiderte das Mädchen, »bei uns, sagt der Vater, tun sie immer weniger, als sie können. Du mußt aber ausführen, was du sagst, nicht bloß es sagen. Dann weiß ich aber doch noch nicht, ob du ein Schicksal machen kannst. Ich weiß auch nicht, ob du ein Schicksal machst, wenn du in unserem Walde auf der Wiese stehst. «
»Ich darf da stehen«, sagte der Reiter, »denn heute ist Sonntag, der Ruhetag für Menschen und Tiere, wenn es nicht eine Not und Notwendigkeit anders heischt. Mein Pferd habe ich eingestellt. Ich bin in den Wald herauf gegangen, zu beten. Und für den übrigen Tag will ich versuchen, ob ich nicht zu dem Steine der drei Sessel hinauf gelangen kann.«
»Das kannst du«, sagte das Mädchen, »es geht ein Pfad hinauf, den du immer wieder leicht findest, wenn du ihn einmal verlierst. Weil aber der Stein von dem Grunde, der um ihn herum ist, wie eine gerade Mauer aufsteigt, so haben sie Stämme zusammen gezimmert, haben dieselben an ihn gelehnt, und durch Hölzer eine Treppe gemacht, daß man auf seine Höhe gelangen kann. Du mußt aber oben sorgsam sein, daß dein Haupt nicht irre wird; denn du stehst in der Luft allein über allen Wipfeln.«
»Bist du schon oben gestanden?« fragte der Reiter. »Ich werde doch, da ich so nahe bin«, antwortete das Mädchen. »Nun«, sagte der Reiter, wenn du schon oben gestanden bist, so werde auch ich oben stehen.«
»Und wenn du heute von den drei Sesseln herunter kommst«, sagte das Mädchen, »dann reitest du morgen nach deinem Geschicke weiter?« »Ich werde weiter reiten«, sagte er; »warum hast du die Rosen?« »Muß ich antworten, wenn ich gefragt werde?« sagte das Mädchen.
»Wenn die Eltern fragen, mußt du antworten«, entgegnete der Reiter, »wenn jemand anderer artig fragt, sollst du, und wenn du es versprochen hast, mußt du antworten.«
»So will ich dir so viel sagen, als du gesagt hast«, antwortete das Mädchen, »ich trage die Rosen, weil ich will.« »Und warum willst du denn?« fragte der Reiter. »Für den Willen gibt es keine Ursache«, sagte das Mädchen.
»Wenn man vernünftig ist, gibt es für den Willen immer eine Ursache«, erwiderte der Reiter. »Das ist nicht wahr«, sagte das Mädchen, »denn es gibt auch Eingebungen.« »Trägst du die Rosen aus Eingebung?« fragte der Reiter.