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»Sehr tiefsinnig«, sagte Jiang-qing.

»Wäre ich ein Japaner, würde ich Seppuku begehen und meine Eingeweide in die Urne mit deiner Asche geben.«

»Sehr naß und schmutzig«, sagte sie.

Er lächelte. »Dann sollte ich vielleicht ein alter Hindu sein und mich auf deinem Scheiterhaufen verbrennen.«

Aber sie war der Scherze überdrüssig. »Qing-jao«, flüsterte sie. Sie erinnerte ihn daran, daß ihm die glanzvolle Tat, mit ihr zu sterben, verwehrt blieb. Jemand mußte sich um die kleine Qing-jao kümmern.

Also antwortete Han Fei-tzu ihr in vollem Ernst. »Wie kann ich sie lehren, zu sein, was du bist?«

»Alles Gute in mir«, sagte Jiang-qing, »kommt vom Weg. Wenn du sie lehrst, den Göttern zu gehorchen, die Vorfahren zu ehren, die Menschen zu lieben und den Herrschern zu dienen, werde ich genauso wie du in ihr sein.«

»Ich würde sie den Weg als Teil von mir lehren«, sagte Han Fei-tzu.

»So nicht«, sagte Jiang-qing. »Der Weg ist kein natürlicher Teil von dir, mein Gatte. Selbst wenn die Götter jeden Tag zu dir sprechen, bestehst du darauf, in einer Welt zu leben, in der man alles mit natürlichen Ursachen erklären kann.«

»Ich gehorche den Göttern.« Er dachte verbittert, daß er keine andere Wahl hatte; schon den Gehorsam zu verzögern war eine Folter.

»Aber du kennst sie nicht. Du liebst ihre Werke nicht.«

»Der Weg ist, die Menschen zu lieben. Den Göttern gehorchen wir nur.« Wie kann ich Götter lieben, die mich bei jeder Gelegenheit erniedrigen und quälen?

»Wir lieben die Menschen, weil sie Geschöpfe der Götter sind.«

»Halte mir keine Predigt.«

Sie seufzte.

Ihre Traurigkeit schmerzte ihn wie der Stich einer Spinne. »Ich wünschte, du könntest mir auf ewig Predigten halten«, sagte Han Fei-tzu.

»Du hast mich geheiratet, weil du wußtest, daß ich die Götter liebe und daß es dir völlig an der Liebe für sie mangelte. So habe ich dich zu einem vollständigen Menschen gemacht.«

Wie konnte er mit ihr streiten, wenn er doch wußte, daß er selbst jetzt die Götter für alles haßte, das sie ihm jemals angetan hatten, für alles, wozu sie ihn jemals getrieben hatten, für alles, was sie ihm in seinem Leben gestohlen hatten?

»Versprich es mir«, sagte Jiang-qing.

Er wußte, was diese Worte bedeuteten. Sie spürte den Tod auf ihr; sie legte die Last ihres Lebens auf ihn. Diese Last würde er frohen Herzens tragen. Es war der Verlust ihrer Gesellschaft auf dem Weg, wovor er sich seit langem so entsetzlich fürchtete.

»Versprich mir, daß du Qing-jao lehren wirst, die Götter zu lieben und immer auf dem Weg zu wandeln. Versprich mir, daß du sie genauso zu meiner Tochter machen wirst wie auch zu deiner.«

»Auch wenn sie nie die Stimme der Götter hören sollte?«

»Der Weg ist für jeden da, nicht nur für die Gottberührten, für die, zu denen die Götter sprechen.«

Vielleicht, dachte Han Fei-tzu, doch es war viel leichter für die Gottberührten, dem Weg zu folgen, denn für sie war der Preis, von ihm abzuweichen, schrecklich. Das gewöhnliche Volk war frei; es konnte vom Weg abweichen und würde jahrelang den Schmerz dafür nicht spüren. Doch die Gottberührten konnten nicht einmal eine Stunde lang vom Weg abweichen.

»Versprich es mir.«

Ich werde es tun. Ich verspreche es.

Doch er konnte die Worte nicht laut aussprechen. Er wußte nicht, warum, doch er zögerte.

Als sie in der Stille auf seinen Eid wartete, hörten sie auf dem Kiesweg vor dem Haus das Geräusch schneller Schritte. Es konnte nur Qing-jao sein, die aus dem Garten Sun Cao-pis nach Hause kam. Nur Qing-jao durfte zu dieser Zeit, da alle ganz besonders leise waren, laufen und Lärm machen. Sie warteten in dem Wissen, daß sie direkt ins Zimmer ihrer Mutter kommen würde.

Die Tür glitt fast geräuschlos auf. Sogar Qing-jao hatte genug von der Stille erfahren, um ganz leise zu sein, wenn sie in der Nähe ihrer Mutter war. Obwohl sie auf Zehenspitzen ging, konnte sie sich kaum davon abhalten, über den Boden zu tänzeln, ja fast zu springen. Doch sie verzichtete darauf, ihre Mutter zu umarmen; sie erinnerte sich an diese Lektion, obwohl die schreckliche Schwellung, die vor drei Monaten entstanden war, als Qing-jaos eifrige Umarmung ihrer Mutter den Kiefer gebrochen hatte, längst aus Jiang-qings Gesicht verschwunden war.

»Ich habe im Bach im Garten dreiundzwanzig Karpfen gezählt«, sagte Qing-jao.

»So viele«, sagte Jiang-qing.

»Ich glaube, sie haben sich mir gezeigt«, sagte Qing-jao. »Damit ich sie zählen konnte. Keiner von ihnen wollte fehlen.«

»Ich liebe dich«, flüsterte Jiang-qing.

Han Fei-tzu hörte ein neues Geräusch in ihrer rasselnden Stimme – ein Knallen, als platzten Blasen bei ihren Worten.

»Glaubst du, daß ich so viele Karpfen gesehen habe, weil die Götter zu mir sprechen werden?« fragte Qing-jao.

»Ich werde die Götter bitten, zu dir zu sprechen«, sagte Jiang-qing.

Plötzlich ging Jiang-qings Atem schnell und hart. Han Fei-tzu kniete augenblicklich nieder und betrachtete seine Frau. Ihre Augen waren groß und voller Angst. Der Augenblick war da.

Ihre Lippen bewegten sich. Verspreche es mir, sagte sie, obwohl ihr Atem nur noch keuchende Geräusche erzeugen konnte.

»Ich verspreche es«, sagte Han Fei-tzu.

Dann hielt ihr Atem inne.

»Was sagen die Götter, wenn sie zu einem sprechen?« fragte Qing-jao.

»Deine Mutter ist sehr müde«, sagte Han Fei-tzu. »Du solltest jetzt hinausgehen.«

»Aber sie hat mir nicht geantwortet. Was sagen die Götter?«

»Sie verraten Geheimnisse«, sagte Han Fei-tzu. »Niemand sagt sie weiter.«

Qing-jao nickte altklug. Sie trat einen Schritt zurück, als wolle sie gehen, blieb dann aber stehen. »Darf ich dich küssen, Mama?«

»Ganz leicht auf die Wange«, sagte Han Fei-tzu.

Qing-jao, die für eine Vierjährige klein war, mußte sich nicht sehr tief bücken, um ihrer Mutter einen Kuß auf die Wange zu geben. »Ich liebe dich, Mama.«

»Du gehst jetzt besser, Qing-jao«, sagte Han Fei-tzu.

»Aber Mama hat nicht gesagt, daß sie mich auch liebt.«

»Doch, das hat sie. Vorher. Erinnerst du dich? Aber sie ist sehr müde und schwach. Geh jetzt.«

Er legte genug Strenge in seine Stimme, daß Qing-jao ohne weitere Fragen ging. Erst als sie fort war, wurde Han Fei-tzus Besorgnis um sie von anderen Gefühlen verdrängt. Er kniete über Jiang-qings Leiche nieder und versuchte sich vorzustellen, was nun mit ihr geschah. Ihre Seele war losgeflogen und befand sich nun bereits im Himmel. Ihr Geist würde viel länger verweilen; vielleicht würde ihr Geist in diesem Haus wohnen, falls sie hier wirklich glücklich gewesen war. Abergläubische Menschen nahmen an, die Geister aller Toten seien gefährlich, und stellten Schilder auf und trafen Maßnahmen, um sie abzuwehren. Doch die, die dem Weg folgten, wußten, daß der Geist eines guten Menschen niemals schädlich oder destruktiv war, denn die guten Eigenschaften im Leben entstanden durch die Liebe des Geistes zum Erschaffen. Falls Jiang-qings Geist blieb, würde er viele Jahre lang ein Segen für das Haus sein.

Doch noch in dem Augenblick, in dem er versuchte, sich laut der Lehre des Weges ihre Seele und ihren Geist vorzustellen, war eine kalte Stelle in seinem Herzen, die davon überzeugt war, daß von Jiang-qing lediglich dieser spröde, ausgetrocknete Körper übriggeblieben war. Heute abend würde dieser Körper so schnell wie Papier verbrennen, und dann würde sie bis auf die Erinnerungen in seinem Herzen verschwunden sein.