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»Du mußt sie finden.«

»Das ist es, weshalb ich mich manchmal frage, ob ich lebe oder nicht. Ihr Lebewesen, ihr glaubt, weil ihr etwas unbedingt wollt, muß es auch geschehen. Ihr glaubt, wenn ihr euch etwas mit ganzem Herzen wünscht, muß es auch eintreffen.«

»Wie kannst du nach etwas suchen, wenn du gar nicht glaubst, daß es existiert?«

»Entweder ich suche, oder ich suche nicht«, sagte Jane. »Man kann mich nicht ablenken, und mir wird eine Sache auch nicht überdrüssig wie euch Menschen. Ich versuche, mir etwas anderes einfallen zu lassen.«

»Denke auch daran«, sagte Miro. »Denke daran, wer du bist. Wie dein Verstand arbeitet. Du kannst kaum eine Möglichkeit finden, dein Leben zu retten, wenn du nicht verstehst, wie dieses Leben überhaupt zustande gekommen ist. Und sobald du dich selbst verstehst…«

»Kann ich vielleicht eine Kopie machen und sie irgendwo abspeichern.«

»Vielleicht.«

»Vielleicht«, wiederholte sie.

Doch er wußte, daß sie nicht daran glaubte, genauso wenig wie er. Sie existierte im philotischen Netzwerk der Verkürzer; sie konnte ihre Erinnerungen in den Computernetzwerken auf jeder Welt und auf jedem Schiff abspeichern) doch sie konnte nirgendwo ihr Selbst ablegen, nicht, wenn dazu ein Netzwerk aus philotischen Verbindungen notwendig war.

Außer…

»Was ist mit den Vaterbäumen auf Lusitania? Sie kommunizieren philotisch, nicht wahr?«

»Das ist nicht dasselbe«, sagte Jane. »Es ist nicht digital. Es ist nicht kodiert wie die Verkürzer.«

»Vielleicht ist es nicht digital, doch die Informationen werden irgendwie übertragen. Es arbeitet philotisch. Und auch die Schwarmkönigin – sie kommuniziert auf diese Art mit den Krabblern.«

»Diese Chance habe ich nicht«, sagte Jane. »Die Struktur ist zu einfach. Ihre Kommunikation mit ihnen ist kein Netzwerk. Sie sind alle nur mit ihr verbunden.«

»Woher willst du wissen, daß es nicht funktioniert, wenn du noch nicht einmal genau weißt, wie du funktionierst?«

»Na schön. Ich denke darüber nach.«

»Bemühe dich«, sagte er.

»Ich kann nur auf eine Art und Weise denken.«

»Ich meine, schenke der Sache Beachtung.«

Sie konnte vielen Gedankengängen auf einmal folgen, doch diese Gedanken waren Prioritäten unterworfen und besaßen viele unterschiedliche Aufmerksamkeitsebenen. Miro wollte nicht, daß sie ihre Selbsterkundung einer niedrigen Aufmerksamkeitsstufe zuteilte.

»Ich werde ihr Aufmerksamkeit schenken.«

»Dann wird dir etwas einfallen«, sagte er. »Bestimmt.«

Sie schwieg eine Weile. Er ging davon aus, daß das Gespräch beendet war. Seine Gedanken begannen abzuschweifen. Er versuchte sich vorzustellen, wie das Leben sein würde, noch immer in diesem Körper, aber ohne Jane. Es konnte sogar geschehen, bevor sie auf Lusitania eintrafen. Und falls es geschah, wäre diese Reise der schrecklichste Fehler seines Lebens gewesen. Indem sie mit Lichtgeschwindigkeit flogen, übersprang er dreißig Jahre Realzeit. Dreißig Jahre, die er mit Jane hätte verbringen können. Dann wäre er vielleicht damit fertig geworden, sie zu verlieren. Aber sie jetzt zu verlieren, nachdem er sie nur ein paar Wochen gekannt hatte – er wußte, daß seine Tränen dem Selbstmitleid entsprangen, doch er vergoß sie trotzdem.

»Miro«, sagte sie.

»Was?« fragte er.

»Wie kann ich über etwas nachdenken, worüber noch nie zuvor gedacht wurde?«

Einen Augenblick lang verstand er nicht.

»Miro, wie kann ich etwas herausbekommen, das nicht einfach die logische Schlußfolgerung von Dingen ist, die menschliche Wesen bereits herausbekommen und irgendwo aufgeschrieben haben?«

»Du denkst doch die ganze Zeit über«, sagte Miro.

»Ich versuche, mir etwas Unvorstellbares vorzustellen. Ich versuche, Antworten auf Fragen zu finden, die menschliche Wesen nicht einmal zu stellen versucht haben.«

»Kannst du das nicht?«

»Bedeutet es, daß ich nichts weiter bin als ein Computerprogramm, das außer Kontrolle geraten ist, wenn ich keine ursprünglichen Gedanken denken kann?«

»Verdammt, Jane, die meisten Menschen haben nicht ein einziges Mal im Leben einen ursprünglichen Gedanken.« Er lachte leise. »Bedeutet das, daß sie nur aufrecht gehende Affen sind, die außer Kontrolle geraten sind?«

»Du hast geweint«, sagte sie.

»Ja.«

»Du glaubst nicht, daß mir ein Ausweg einfällt. Du glaubst, daß ich sterben werde.«

»Ich glaube, daß dir ein Ausweg einfällt. Das glaube ich wirklich. Aber trotzdem habe ich Angst.«

»Angst, daß ich sterben werde.«

»Angst, dich zu verlieren.«

»Wäre das so schrecklich? Mich zu verlieren?«

»O Gott«, flüsterte er.

»Würdest du mich eine Stunde lang vermissen?« beharrte sie. »Einen Tag lang? Ein Jahr lang?«

Was wollte sie von ihm? Die Versicherung, daß er sich an sie erinnern würde, wenn sie tot war. Daß jemand um sie trauern würde. Warum bezweifelte sie das? Kannte sie ihn noch immer nicht?

Vielleicht war sie so menschlich, daß sie einfach eine Bestätigung von Dingen brauchte, die sie bereits wußte.

»Auf ewig«, sagte er.

Nun lachte sie. Verspielt. »Dm würdest gar nicht so lange leben«, sagte sie.

»Das mußt du mir gerade sagen.«

Als sie diesmal verstummte, meldete sie sich nicht mehr, und Miro war allein mit seinen Gedanken.

Valentine, Jakt und Plikt waren zusammen auf der Brücke geblieben und sprachen darüber, was sie gerade erfahren hatten, versuchten herauszufinden, was das alles zu bedeuten hatte, was geschehen mochte. Sie gelangten lediglich zu der Schlußfolgerung, daß sie die Zukunft zwar nicht ergründen konnten, sie aber wahrscheinlich viel besser als ihre schlimmsten Befürchtungen und keinesfalls so gut wie ihre besten Hoffnungen werden würde. War das nicht immer der Lauf der Welt?

»Ja«, sagte Plikt. »Bis auf die Ausnahmen.«

So war Plikt nun einmal. Wenn sie nicht gerade unterrichtete, sagte sie nur wenig, doch das, was sie sagte, war wie geschaffen dazu, ein Gespräch zu beenden. Plikt stand auf, um die Brücke zu verlassen und sich zu ihrem elend unbequemen Bett zu begeben; wie üblich versuchte Valentine sie zu überreden, auf das andere Sternenschiff zurückzukehren.

»Varsam und Ro wollen mich nicht auf ihren Kabine haben«, sagte Plikt.

»Sie haben nicht das geringste dagegen.«

»Valentine«, sagte Jakt, »Plikt will nicht auf das andere Schiff zurück, weil sie nichts verpassen will.«

»Oh«, sagte Valentine.

Plikt grinste. »Gute Nacht.«

Kurz darauf verließ auch Jakt die Brücke. Bevor er ging, legte er einen Moment lang die Hand auf Valentines Schulter. »Ich komme gleich«, sagte sie. Und sie meinte es in diesem Augenblick auch so und wollte ihm gleich folgen. Statt dessen blieb sie jedoch auf der Brücke, dachte mißmutig nach, versuchte, den Sinn in einem Universum zu sehen, das alle nichtmenschlichen Spezies, die die Menschheit jemals gekannt hatte, dem Risiko der gleichzeitigen Auslöschung aussetzte. Der Schwarmkönigin, die Pequeninos und nun Jane, die einzige ihrer Art, vielleicht die einzige dieser Art, die jemals existieren konnte. Eine beträchtliche Ansammlung intelligenten Lebens, das jedoch nur einigen wenigen bekannt war. Und alle davon bedroht, ausgemerzt zu werden.

Zumindest wird Ender begreifen, daß das der natürliche Verlauf der Dinge ist, daß er vielleicht doch nicht verantwortlich für die Vernichtung der Krabbler vor dreitausend Jahren ist, wie er immer gedacht hat. Xenozid muß im Universum eingebaut sein. Keine Gnade, nicht einmal für die größten Spieler des Matches.