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Und schließlich beinhaltete ihr Unterricht, einen Tag pro Woche dem gewöhnlichen Volk bei seiner rechtschaffenen Arbeit zu helfen. Rechtschaffene Arbeit war natürlich nicht die Arbeit, die das gewöhnliche Volk jeden Tag in den Büros und Fabriken verrichtete. Mit rechtschaffener Arbeit war die Arbeit auf den Reisfeldern gemeint. Jeder Mann und jede Frau auf Weg mußte diese Arbeit leisten, mußte in knietiefem Wasser waten und sich bücken, um den Reis zu pflanzen und zu ernten – oder hätte die Staatsbürgerschaft verloren. »So ehren wir unsere Vorfahren«, hatte Vater ihr erklärt, als sie klein war. »Wir zeigen ihnen, daß sich keiner von uns jemals zu gut sein wird, ihre Arbeit zu verrichten.« Der Reis, der aufgrund der rechtschaffenen Arbeit wuchs, wurde als heilig betrachtet; er wurde in den Tempeln dargeboten und an Feiertagen gegessen, und er wurde in kleinen Schüsseln den Göttern des Haushalts zum Opfer gereicht.

Einmal, als Qing-jao zwölf Jahre alt war, war es schrecklich heiß, und sie wollte ihre Arbeit an einem Forschungsprojekt abschließen. »Ich möchte heute nicht auf die Reisfelder gehen«, sagte sie zu ihrem Lehrer. »Was ist hier tue, ist viel wichtiger.«

Der Lehrer verbeugte sich und ging, doch bald kam Vater in ihr Zimmer. Er hielt ein schweres Schwert in der Hand, und sie schrie vor Schreck auf, als er es über ihren Kopf hob. Wollte er sie töten, weil sie so sakrilegisch gesprochen hatte? Aber er tat ihr nichts – wie hatte sie auch nur einen Augenblick daran denken können? Statt dessen senkte sich das Schwert auf ihr Computerterminal. Die Metallteile verbogen sich; das Plastik zersprang und flog in alle Richtungen davon. Die Maschine war zerstört.

Vater hob die Stimme nicht. Mit dem leisesten Flüstern sagte er: »Zuerst die Götter. Als zweites die Ahnen. Als drittes das Volk. Als viertes die Herrscher. Zuletzt du selbst.«

Das war der klarste Ausdruck des Weges. Das war der Grund, wieso diese Welt überhaupt besiedelt worden war. Sie hatte es vergessen: Wenn sie zu beschäftigt war, um die rechtschaffene Arbeit zu leisten, war sie nicht auf dem Weg.

Sie würde es nie wieder vergessen. Und mit der Zeit lernte sie zu lieben, wie die Sonne auf ihren Rücken brannte, wie das Wasser kühl und trübe um ihre Beine und Hände schwappte, wie die Halme der Reispflanzen wie Finger aus dem Schlamm hinaufgriffen, um sich mit ihren Fingern zu verschlingen. Wenn sie schlammverschmiert in den Reisfeldern arbeitete, fühlte sie sich niemals unrein, denn sie wußte, daß sie im Dienst der Götter schmutzig war.

Schließlich, mit sechzehn Jahren, war ihre Ausbildung beendet. Sie mußte sich nun in der Aufgabe einer erwachsenen Frau beweisen – einer Aufgabe, die so schwierig und wichtig war, daß man sie nur einer Gottberührten anvertrauen konnte.

Sie trat in dessen Zimmer vor den großen Han Fei-tzu. Wie das ihre war es ein großer, offener Raum; wie bei ihr war die Schlafgelegenheit einfach, eine Matratze auf dem Boden; wie bei ihr wurde der Raum von einem Tisch mit einem Computerterminal darauf beherrscht. Sie hatte noch nie das Zimmer ihres Vaters betreten, ohne zu sehen, wie sich etwas auf dem Bildschirm des Terminals bewegte – Diagramme, dreidimensionale Modelle, Realzeit-Simulationen, Wörter. Meist ganz normale Wörter. Buchstaben oder Ideogramme, die auf simulierten Seiten in der Luft trieben, sich vor und zurück bewegten, von einer Seite zur anderen, wenn Vater sie vergleichen mußte.

Bei Qing-jao war der Rest des Zimmers leer; Da Vater keine Maserungslinien auf Holz verfolgte, war bei ihm solche Strenge unnötig. Doch auch so war sein Geschmack einfach. Ein Teppich – aber ohne ein auffälliges Muster. Ein niedriger Tisch, auf dem eine Skulptur stand. Die Wände nackt bis auf ein Gemälde. Und weil sein Zimmer so groß war, wirkte jeder einzelne dieser Gegenstände fast verloren, wie die schwache Stimme von jemandem, der sehr weit entfernt leise weinte.

Die Botschaft, die dieser Raum Besuchern übermitteln sollte, war klar: Han Fei-tzu wählte die Einfachheit. Eins von jedem Gegenstand reichte aus für eine reine Seele.

Die Botschaft an Qing-jao war jedoch ganz anders. Denn sie wußte, was niemand außerhalb des Haushalts begriff: Der Teppich, der Tisch, die Skulptur und das Gemälde wurden jeden Tag ausgetauscht. Und nie in ihrem Leben hatte sie auch nur eins davon wiedererkannt. So lautete die Lektion, die sie lernte: Eine reine Seele darf sich niemals an irgendeinen Gegenstand gewöhnen. Eine reine Seele muß sich jeden Tag neuen Dingen aussetzen.

Da es sich um einen formellen Anlaß handelte, kam sie nicht wie sonst, als er gerade arbeitete, um hinter ihm stehenzubleiben, zu betrachten, was auf dem Bildschirm erschien, und Vermutungen darüber anzustellen, was er gerade tat. Diesmal trat sie in die Mitte des Zimmers und kniete auf dem einfachen Teppich nieder, der von der Farbe eines Rotkehlcheneis war, mit einem kleinen Fleck in einer Ecke. Sie hielt den Blick gesenkt, betrachtete den Fleck nicht einmal, bis sich Vater aus seinem Stuhl erhob und vor sie trat.

»Han Qing-jao«, sagte er. »Laß mich den Sonnenaufgang auf dem Gesicht meiner Tochter sehen.«

Sie hob den Kopf, sah ihn an und lächelte.

Er erwiderte das Lächeln. »Die Aufgabe, die ich dir stellen werde, ist nicht einfach, nicht einmal für einen erfahrenen Erwachsenen«, sagte Vater.

Qing-jao senkte den Kopf. Sie hatte damit gerechnet, daß Vater ihr eine schwierige Herausforderung stellen würde, und war bereit, seinem Willen zu folgen.

»Sieh mich an, meine Qing-jao«, sagte Vater.

Sie hob den Kopf und sah in seine Augen.

»Das wird keine Schulaufgabe sein. Das ist eine Aufgabe aus der echten Welt. Eine Aufgabe, die mir der Sternenwege-Kongreß gegeben hat und von der vielleicht das Schicksal von Nationen und Völkern und Welten abhängt.«

Qing-jao war schon gespannt gewesen, doch nun machte Vater ihr Angst. »Dann mußt du diese Aufgabe jemandem geben, dem du sie anvertrauen kannst, und nicht einem unerfahrenen Kind.«

»Du bist seit Jahren kein Kind mehr, Qing-jao. Bist du bereit, deine Aufgabe zu hören?«

»Ja, Vater.«

»Was weißt du von der Lusitania-Flotte?«

»Soll ich dir alles sagen, was ich darüber weiß?«

»Sage mir alles, was du für wichtig hältst.«

Das war eine Art Prüfung. Er wollte sehen, ob sie bei dem, was sie über ein bestimmtes Thema wußte, das Wichtige von dem Unwichtigen unterscheiden konnte.

»Die Flotte wurde ausgeschickt, um eine rebellische Kolonie auf Lusitania zu unterwerfen, wo das Gesetz über die Nichteinmischung in die Belange der einzigen bekannten außerirdischen Spezies trotzig gebrochen wurde.«

Reichte das? Nein, Vater wartete noch immer.

»Von Anfang an gab es eine Kontroverse«, fuhr sie fort. »Essays, die einer Person namens Demosthenes zugeschrieben werden, sorgten für Probleme.«

»Was genau für Probleme?«

»Demosthenes warnte die Kolonien, die Lusitania-Flotte sei ein gefährlicher Präzedenzfall – es sei nur eine Frage der Zeit, bevor der Sternenwege-Kongreß Gewalt einsetze, um auch ihren Gehorsam zu erzwingen. Auf katholischen Welten und vor katholischen Minderheiten überall behauptete Demosthenes, der Kongreß versuche, den Bischof von Lusitania zu bestrafen, weil er Missionare zu den Schweinchen geschickt habe, um ihre Seelen vor der Hölle zu retten. Die Wissenschaftler warnte Demosthenes, die Prinzipien der unabhängigen Forschung stünden auf dem Spiel – eine ganze Welt sei einem militärischen Angriff ausgesetzt, weil sie es gewagt hatte, das Urteil der Wissenschaftler vor Ort dem von viele Lichtjahre entfernten Bürokraten vorzuziehen. Und allen anderen gegenüber behauptete Demosthenes, die Lusitania-Flotte sei mit dem Molekular-Detechier-Gerät ausgerüstet. Das ist natürlich eine offensichtliche Lüge, doch einige haben sie geglaubt.«