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Schließlich war er fertig. Als endlich frische Luft in den Schuppen strömte, nahm er seine noch warme Kleidung aus dem Kasten und zog sie an. Sobald er den Schuppen verlassen hatte, würde er sich aufheizen, bis die Temperatur weit über der erwiesenen Wärmetoleranzgrenze des Descolada-Virus lag. Diese letzte Stufe der Reinigung konnte nichts in dem Schuppen überstehen. Wenn beim nächsten Mal jemand den Schuppen betrat, würde er absolut steril sein.

Doch Ender konnte den Gedanken nicht verdrängen, daß der Descolada-Virus irgendwie einen Weg finden würde, durch den er schlüpfen konnte – wenn nicht durch den Schuppen, dann durch die leichte Disruptorbarriere, die die Felder mit den Experimentalpflanzen umgab wie eine unsichtbare Festungsmauer. Offiziell kam kein Molekül, das aus über einhundert Atomen bestand, durch diese Barriere, ohne aufgebrochen zu werden. Zäune auf beiden Seiten der Barriere verhinderten, daß sich sowohl Menschen als auch Schweinchen in die Todeszone verirrten – doch Ender hatte sich oft vorgestellt, wie es wäre, wenn doch jemand durch das Auflösungsfeld ginge. Wenn die Zellkernsäuren aufbrachen, würde jede einzelne Körperzelle augenblicklich absterben. Vielleicht würde der Körper seine Form behalten. Doch in Enders Vorstellung zerfiel er auf der anderen Seite der Barriere immer zu Staub, den der Wind wie Rauch davontrug, bevor er den Boden berührte.

Kopfzerbrechen bereitete Ender, daß das Auflösungsfeld auf demselben Prinzip beruhte wie das Molekular-Detachier-Gerät. Ursprünglich dazu konstruiert, gegen Sternenschiffe und Raketen eingesetzt zu werden, hatte Ender es vor dreitausend Jahren, als er die menschliche Kriegsflotte kommandierte, gegen den Heimatplaneten der Krabbler eingesetzt. Und dieselbe Waffe hatte der Sternenwege-Kongreß nun nach Lusitania geschickt. Jane zufolge hatte der Sternenwege-Kongreß bereits versucht, den Einsatzbefehl zu schicken. Sie hatte ihn abgeblockt, indem sie die Verkürzerkommunikation zwischen der Flotte und dem Rest der Menschheit unterbrochen hatte, doch man konnte nicht sagen, ob irgendein übereifriger Schiffskapitän, der in Panik geraten war, weil sein Verkürzer nicht mehr funktionierte, die Waffe nicht doch einsetzen würde, wenn er Lusitania erreicht hatte.

Es war undenkbar, doch sie hatten es getan – der Kongreß hatte den Befehl gegeben, eine Welt zu vernichten. Xenozid zu begehen. Hatte Ender die Schwarmkönigin vergeblich geschrieben? Hatten sie bereits vergessen, was geschehen war?

Doch für sie war ›bereits‹ der falsche Ausdruck. Für die meisten Menschen lag das Geschehen dreitausend Jahre zurück. Und obwohl Ender Menschs Leben geschrieben hatte, wurde dem Buch noch nicht genug Glauben geschenkt. Die Menschen hatten das Buch noch nicht so weit akzeptiert, daß der Kongreß es nicht wagen würde, gegen die Pequeninos vorzugehen.

Warum hatte der Kongreß den Befehl gegeben? Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, aus dem die Xenobiologen die Disruptorbarriere errichtet hatten: um einen gefährlichen Virus zu isolieren, damit er sich nicht weiter ausbreiten konnte. Der Kongreß versuchte wahrscheinlich besorgt, die Infektion einer planetaren Revolte einzudämmen. Doch wenn die Flotte hier eintraf, würde sie den Chirurgen, ob nun mit oder ohne Befehl, wahrscheinlich als Endlösung für das Descolada-Problem einsetzen. Wenn es keinen Planeten Lusitania mehr gab, würde es auch keinen selbstmutierenden, halbintelligenten Virus geben, der auf die Gelegenheit hoffte, die Menschheit und all ihre Arbeit auf Lusitania auszulöschen.

Die Strecke von den Experimentalfeldern zu der neuen xenobiologischen Station war nicht weit. Der Pfad wand sich über einen niedrigen Hügel, schnitt den Rand des Waldes, der für diesen Pequenino-Stamm Vater, Mutter und lebenden Friedhof darstellte, und verlief dann weiter zum Nordtor durch den Zaun, der die menschliche Kolonie umgab.

Der Zaun stellte für Ender ein Ärgernis da. Nun, da die Politik des minimalen Kontakts zwischen Menschen und Pequeninos beendet war, war er schlichtweg überflüssig geworden, und beide Spezies benutzten das Tor ungehindert. Als Ender auf Lusitania eingetroffen war, war der Zaun mit einem Feld geladen, das bei jedem, der hineingeriet, quälende Schmerzen bewirkte. Während des Kampfes um das Recht, ungehindert mit den Pequeninos zu kommunizieren, hatte Enders ältester Stiefsohn Miro mehrere Minuten lang in dem Feld gelegen, was zu irreparablen Gehirnschäden geführt hatte. Doch Miros Erlebnis war nun der schmerzhafteste Ausdruck dessen, was der Zaun in den Seelen der Menschen, die er umschloß, anrichtete. Die Psychobarriere war vor dreißig Jahren ausgeschaltet worden. In all dieser Zeit hatte es keinen Grund gegeben, irgendeine Barriere zwischen den Menschen und Pequeninos aufrecht zu halten – doch der Zaun war geblieben. Die menschlichen Kolonisten von Lusitania wollten, daß die Barriere zwischen Mensch und Pequenino bestehen blieb.

Deshalb waren die Xenobiologie-Laboratorien von ihrer alten Stelle unten am Fluß verlegt worden. Wenn Pequeninos an den Forschungen teilhaben sollten, mußte das Labor in der Nähe des Zauns liegen und alle Experimentalfelder außerhalb, damit Menschen und Pequeninos nicht in Gefahr liefen, sich unerwartet zu begegnen.

Als Miro aufbrach, um sich mit Valentine zu treffen, hatte Ender geglaubt, bei seiner Rückkehr würden die großen Veränderungen auf Lusitania ihn verblüffen. Er hatte geglaubt, Miro würde sehen, daß Menschen und Pequeninos Seite an Seite existierten, zwei Spezies, die in Harmonie miteinander lebten. Statt dessen würde Miro die Kolonie fast unverändert vorfinden. Mit wenigen Ausnahmen sehnten sich die Menschen Lusitanias nicht nach enger Gesellschaft mit einer anderen Spezies.

Nur gut, daß Ender der Schwarmkönigin geholfen hatte, die Rasse der Krabbler so weit von der menschlichen Kolonie auf Lusitania entfernt auferstehen zu lassen. Ender hatte ursprünglich vorgehabt, die Krabbler und die Menschen langsam aneinander zu gewöhnen. Statt dessen waren er, Novinha und ihre Familie gezwungen gewesen, die Existenz der Krabbler auf Lusitania sorgsam geheim zu halten. Wenn die menschlichen Kolonisten schon nicht mit den säugetierähnlichen Pequeninos zurechtkamen, hätte das Wissen um die insektenähnlichen Krabbler sehr schnell gewalttätige Xenophobie provoziert.

Ich habe zu viele Geheimnisse, dachte Ender. All diese Jahre lang bin ich ein Sprecher für die Toten gewesen, habe Geheimnisse enthüllt und den Menschen geholfen, im Licht der Wahrheit zu leben. Jetzt erzähle ich niemandem mehr auch nur die Hälfte von dem, was ich weiß, denn wenn ich die ganze Wahrheit sagte, würde es Furcht, Haß, Brutalität, Mord und Krieg geben.

Nicht weit vom Tor entfernt, aber außerhalb, standen zwei Vaterbäume, der eine namens Wühler, der andere namens Mensch. Vom Tor aus gesehen stand Wühler links, Mensch rechts. Mensch war der Pequenino, den Ender damals mit eigenen Händen rituell töten mußte, um den Vertrag zwischen Menschen und Pequeninos zu besiegeln. Danach war Mensch in Zellulose und Chlorophyll wiedergeboren worden, endlich ein reifes, erwachsenes Männchen und imstande, Kinder zu zeigen.

Im Augenblick hatte Mensch noch immer ein gewaltiges Ansehen, nicht nur unter den Schweinchen seines eigenen Stammes, sondern auch bei denen vieler anderer. Ender wußte, daß er noch lebte; doch wenn er den Baum sah, wurde er immer wieder daran erinnert, wie Mensch gestorben war.