Sie nahm in dem Sitz neben ihm Platz. Er drehte sich zu ihr um. Sie ihrerseits wandte den Blick nicht ab, sondern musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Er hat gesagt, daß du ein harter Fall bist. Er hat gesagt, daß du verkrümmt, aber nicht gebrochen bist.«
»Willst du meine Therapeutin spielen?«
»Willst du mein Feind sein?«
»Sollte ich das?« fragte Miro.
»Genausowenig, wie ich deine Therapeutin sein sollte. Andrew hat uns nicht zusammengeführt, damit ich dich heilen kann. Er hat uns zusammengeführt, damit du mir helfen kannst. Wenn du das nicht willst, na schön. Wenn doch, auch gut. Laß mich nur ein paar Dinge klarstellen. Ich verbringe jeden wachen Augenblick damit, subversive Propaganda zu schreiben, um die öffentliche Einstellung auf den Hundert Welten und in den Kolonien anzustacheln. Ich versuche, die Menschen gegen die Flotte aufzubringen, die der Sternenwege-Kongreß ausgeschickt hat, um Lusitania zu unterwerfen. Deine Welt, nicht meine, wie ich hinzufügen möchte.«
»Dein Bruder ist dort.« Er wollte nicht zulassen, daß sie völlige Selbstlosigkeit für sich beanspruchte.
»Ja, wir beide haben Familie dort. Und wir beide sind bestrebt, die Pequeninos vor der Vernichtung zu bewahren. Und wir beide wissen, daß Ender die Schwarmkönigin auf deiner Welt wiederhergestellt hat, so daß zwei außerirdische Spezies vernichtet werden, wenn der Sternenwege-Kongreß seinen Willen bekommt. Es steht sehr viel auf dem Spiel, und ich tue schon alles, was ich nur kann, um diese Flotte aufzuhalten. Wenn es mir nun hilft, diese Aufgabe besser zu erledigen, ein paar Stunden in deiner Gegenwart zu verbringen, dann ist es die Zeit wert, die ich nicht schreiben kann. Aber ich habe nicht die Absicht, meine Zeit damit zu verschwenden, mir ständig den Kopf darüber zu zerbrechen, ob ich dich nun beleidigen könnte oder nicht. Wenn du also mein Widersacher sein willst, kannst du hier oben allein sitzen bleiben, und ich mache mich wieder an die Arbeit.«
»Andrew hat gesagt, du seiest der beste Mensch, den er je gekannt hat.«
»Er kam zu dieser Schlußfolgerung, bevor er miterlebte, wie ich drei barbarische Kinder zu Erwachsenen großzog. Wie ich gehört habe, hat deine Mutter sechs Kinder.«
»Genau.«
»Und du bist das älteste.«
»Ja.«
»Sehr schade. Eltern machen ihre schlimmsten Fehler immer bei den ältesten Kindern. Da wissen die Eltern am wenigsten und sind am besorgtesten. Also ist es um so wahrscheinlicher, daß sie Fehler begehen und gleichzeitig darauf beharren, sie hätten richtig gehandelt.«
Miro gefiel es nicht, daß diese Frau vorschnelle Schlüsse über seine Mutter zog. »Sie ähnelt dir nicht im geringsten.«
»Natürlich nicht.« Sie beugte sich auf ihrem Sitz vor. »Nun, zu welchem Schluß bist du gekommen?«
»Zu welchem Schluß worüber?«
»Arbeiten wir nun zusammen, oder hast du dich für nichts und wieder nichts aus dreißig Jahren menschlicher Geschichte ausgeklinkt?«
»Was willst du von mir?«
»Geschichten, natürlich. Die Fakten kann ich vom Computer bekommen.«
»Geschichten worüber?«
»Über dich. Die Schweinchen. Dich und die Schweinchen. Diese ganze Sache mit der Lusitania-Flotte begann schließlich mit dir und den Schweinchen. Weil ihr euch eingemischt habt, wollen sie…«
»Wir haben ihnen geholfen!«
»Oh, habe ich schon wieder das falsche Wort benutzt?« Miro funkelte sie an. Doch noch im gleichen Augenblick wußte er, daß sie recht hatte – er war überempfindlich. Das Wort eingemischt war, in einem wissenschaftlichen Zusammenhang benutzt, fast völlig wertneutral. Es bedeutete lediglich, daß er in die Kultur, die er studiert hatte, eine Veränderung eingebracht hatte. Und wenn es tatsächlich einen negativen Beiklang hatte, denn deshalb, weil er seine wissenschaftliche Perspektive verloren hatte – er hatte damit aufgehört, die Pequeninos zu studieren und sie als Freunde behandelt. Dessen war er mit Sicherheit schuldig. Nein, nicht schuldig – er war stolz darauf, diesen Übergang vollzogen zu haben. »Fahre fort«, sagte er.
»All das begann, weil du das Gesetz gebrochen hast und die Schweinchen anfingen, Amarant zu pflanzen.«
»Jetzt nicht mehr.«
»Ja, es ist die reinste Ironie, nicht wahr? Der Descolada-Virus ist eingedrungen und hat jeden Amarant-Züchtungsstamm getötet, den deine Schwester für sie entwickelt hat. Also war deine Einmischung vergeblich.«
»Das war sie nicht«, sagte Miro. »Sie lernen.«
»Ja, ich weiß. Genauer gesagt, sie wählen. Was sie lernen, was sie tun sollen. Du hast ihnen Freiheit gebracht. Ich billige deinen Entschluß von ganzem Herzen. Aber meine Aufgabe ist es, für die Menschen dort draußen auf den Hundert Welten und den Kolonien über dich zu schreiben, und sie werden die Dinge nicht unbedingt so sehen. Ich brauche von dir also die Geschichte, wie und warum du das Gesetz gebrochen und dich in die Belange der Schweinchen eingemischt hast und warum die Regierung und das Volk von Lusitania gegen den Kongreß rebellierten, anstatt dich wegzuschicken, damit dir der Prozeß gemacht wird und du für deine Verbrechen bestraft wirst.«
»Andrew hat dir diese Geschichte schon erzählt.«
»Und ich habe schon darüber geschrieben. Nun brauche ich die persönlichen Dinge. Ich will anderen Menschen verständlich machen können, daß die sogenannten Schweinchen ein Volk sind. Und ich will, daß sie dich verstehen. Ich muß dafür sorgen, daß sie dich als Person kennenlernen. Wenn es möglich ist, wäre es schön, sie dazu zu bringen, dich zu mögen. Dann wird die Lusitania-Flotte wie eine gewaltige Überreaktion auf eine Bedrohung aussehen, die es nie gab.«
»Die Flotte bedeutet Xenozid.«
»Das habe ich als Propaganda geschrieben«, sagte Valentine.
Er konnte ihren unerschütterlichen Glauben an sich selbst nicht ertragen. Also mußte er ihr widersprechen, doch dazu mußte er mit Ideen hinausplatzen, die er noch nicht völlig zu Ende gedacht hatte. »Die Flotte ist auch eine Selbstverteidigung.«
Es hatte den gewünschten Effekt – es unterbrach ihren gelehrten Vortrag und ließ sie sogar die Stirn runzeln und ihn fragend ansehen. Das Problem war nur, daß er nun erklären mußte, was er damit meinte.
»Die Descolada«, sagte er. »Das ist die gefährlichste Lebensform überhaupt.«
»Die Antwort darauf lautet Quarantäne. Und nicht, eine Flotte auszuschicken und mit dem M.D.-Gerät zu bewaffnen, damit sie imstande ist, Lusitania und jedes Lebewesen darauf in mikroskopischen interstellaren Staub zu verwandeln.«
»Du bist dir so sicher, daß du recht hast?«
»Ich bin mir sicher, daß es vom Sternenwege-Kongreß nicht rechtens ist, auch nur in Erwägung zu ziehen, eine andere bewußt denkende Spezies auszulöschen.«
»Die Schweinchen können ohne die Descolada nicht leben«, sagte Miro, »und wenn sich die Descolada jemals auf einen anderen Planeten ausbreitet, wird sie dort jegliches Leben mit Sicherheit vernichten.«
Die Feststellung, daß Valentine auch verblüfft dreinschauen konnte, bereitete ihm Vergnügen. »Aber ich dachte, sie hätten den Virus im Griff. Deine Großmutter hat doch eine Möglichkeit gefunden, ihn aufzuhalten, ihn in Menschen ruhen zu lassen.«
»Die Descolada paßt sich an«, sagte Miro. »Jane hat mir gesagt, daß sie sich schon ein paar Mal verändert hat. Meine Mutter und meine Schwester Ela arbeiten daran – sie versuchen, der Descolada einen Schritt voraus zu bleiben. Manchmal hat es sogar den Anschein, die Descolada täte es absichtlich und fände Strategien, um um die Chemikalien herumzukommen, mit denen wir sie im Griff halten und verhindern, daß sie Menschen tötet. Sie dringt in die von der Erde stammenden Getreidesorten ein, die die Menschen brauchen, um auf Lusitania zu überleben. Sie müssen sie jetzt besprühen. Was passiert wohl, wenn die Descolada eine Möglichkeit findet, um all unsere Barrieren herumzukommen?«