»Er hat dann gleich die Vorhänge zugezogen und überall Licht gemacht. Er war ziemlich böse mit mir, weil ich im Dunkeln gesessen und Robbie Gill nicht gerufen hatte. Ich meine, Robbie konnte ja doch nur amtlich bestätigen, daß Valentine tot war. Paul hat nicht verstanden, daß ich mit Valentine so im Dunkeln sein wollte. Es war irgendwie tröstlich, Thomas, verstehen Sie? Eine Art Abschied. Nur wir beide, wie als Kinder damals.«
»Ja«, sagte ich.
»Paul meint es gut«, betonte sie, »aber ich finde ihn schon anstrengend. Entschuldigen Sie, daß ich Sie so früh geweckt habe. Aber Paul war so böse mit mir. da habe ich Sie angerufen, als er im Bad war, sonst hätte er mich vielleicht davon abgehalten. Ich bin irgendwie nicht ganz beieinander, ich fühle mich so schwach.«
»Ich bin gern gekommen«, versicherte ich ihr. »Sie sollten sich ins Bett legen.«
»Oh, das könnte ich nicht. Ich muß aufbleiben, bis Robbie kommt. Ich hab solche Angst, daß Paul unhöflich zu ihm ist.«
Ist er bestimmt, dachte ich.
Der große Paul persönlich kam ins Zimmer und knipste die Deckenbeleuchtung wieder an.
»Was macht ihr zwei hier drin?« wollte er wissen. »Mutter, komm raus und hör auf, dich zu quälen. Wir wissen doch alle, daß es für den alten Mann eine gnädige Erlösung war. Jetzt müssen wir über deine Zukunft reden, und dafür habe ich auch schon Pläne.«
Dorothea erstarrte unter meinem Arm. Ich ließ ihre Schultern los und ging mit ihr von Valentines Zimmer zurück in die Küche, nicht ohne das grelle Licht wieder auszuschalten und noch einmal das stille alte Gesicht in dem Halbdunkel zu betrachten. Ewiges zeitloses Dunkel.
»Natürlich mußt du hier ausziehen«, erklärte Paul seiner Mutter in der Küche. »Du bist ja fast achtzig. Ich kann mich nicht richtig um dich kümmern, wenn du so weit von mir entfernt lebst. Ich habe schon mit einem Altenheim vereinbart, daß du da ein Zimmer nimmst, wenn Valentine tot ist. Jetzt sage ich Bescheid, daß du innerhalb von acht Tagen einziehst. Das ist keine zwei Kilometer von mir, da kann Janet jeden Tag mal reinschauen.«
Dorothea sah geradezu erschrocken aus. »Ich gehe nicht weg, Paul«, widersprach sie. »Ich bleibe hier.«
Ohne ihren Einwurf zu beachten, sagte Pauclass="underline" »Du kannst eigentlich gleich mit Packen anfangen. Wozu Zeit verlieren? Ich bringe das Haus morgen auf den Markt, und sofort nach der Beerdigung nehme ich dich mit.«
»Nein«, sagte Dorothea.
»Solange ich hier bin, helfe ich dir«, sagte ihr Sohn großzügig. »Valentines ganze Habe muß ja sortiert und untergebracht werden. Einen Teil der Bücher kann ich bei der Gelegenheit gleich mitnehmen. Ich habe ein paar leere Kartons dabei.«
»Nicht die Bücher«, sagte ich entschieden. »Die Bücher hat er mir vermacht.«
»Was?«
Pauls Kinnlade klappte unschön herunter. »Das ist unmöglich«, sagte er heftig. »Er hat alles meiner Mutter hinterlassen. Das wissen wir doch.«
»Alles mit Ausnahme der Bücher.«
Dorothea nickte. »Vor zwei Monaten hat Valentine sein Testament durch einen Nachtrag ergänzt und seine Bücher Thomas zugesprochen.«
»Der Alte war doch verkalkt. Das fechte ich an.«
»Sie können es nicht anfechten«, stellte ich sachlich fest. »Valentine hat bis auf die Bücher alles Ihrer Mutter vermacht und nicht Ihnen.«
»Dann ficht Mutter es eben an!«
»Nein, mein Lieber«, sagte Dorothea unsanft. »Als Valentine mich fragte, was ich davon halte, wenn er seine Bücher und Unterlagen Thomas vermacht, habe ich ihm gesagt, das fände ich sehr nett. Ich würde sie ja doch kaum lesen oder auch nur reinsehen, und weil Valentine wußte, daß Thomas sie schätzen würde, hat er den Zusatz von unserem Anwalt anfügen lassen, und meine Freundin Betty und Robbie Gill, unser Arzt, haben im Beisein des Anwalts als Zeugen fungiert. Er hat hier in seinem eigenen Wohnzimmer unterschrieben, und es kann keine Rede davon sein, daß er verkalkt war, das werden der Anwalt und der Arzt dir einmütig bestätigen. Ich verstehe auch gar nicht, weshalb du dich so aufregst, das sind doch bloß ein Haufen alter Rennberichte, Erinnerungsalben und Bücher über Rennsport.«
Paul schien mir ganz unverhältnismäßig aus der Fassung gebracht. Und offenbar bemerkte er auch mein Erstaunen, denn er ging in sich und sann auf eine fadenscheinige Erklärung, die er dann mit einer Stinkwut auf mich vorbrachte.
»Valentine hat mir einmal gesagt, seine Sammlung könnte einiges wert sein«, sagte er. »Ich möchte sie schätzen und verkaufen lassen. natürlich zu Mutters Gunsten.«
»Die Bücher sind für Thomas«, wiederholte Dorothea beherzt, »und ich habe nie gehört, daß Valentine behauptet hätte, sie seien was wert. Er wollte sie Thomas um der alten Zeiten willen überlassen und weil Thomas freundlicherweise immer vorbeigekommen ist, um ihm vorzulesen.«
»Aahaa!« stieß Paul triumphierend hervor. »Dann dürfte Valentines Nachtrag ungültig sein, da er nicht sehen konnte, was er da unterschrieben hat.«
»Er wußte aber doch, was es war«, wandte Dorothea ein.
»Und woher? Verrat mir das mal.«
»Verzeihen Sie«, sagte ich, meine aufkommende schlechte Laune zügelnd. »Ich kann mir kaum vorstellen, daß Valentines Nachtrag ungültig ist, wenn sein Anwalt ihn aufgesetzt und die Unterschrift beglaubigt hat, aber wenn er es sein sollte, dann gehören die Bücher Dorothea, und sie allein kann entscheiden, was damit geschieht.«
»Oh, danke, mein Lieber«, sagte sie, und ihr Gesichtsau sdruck entspannte sich, »wenn sie also mir gehören, dann schenke ich sie Ihnen, Thomas, weil ich weiß, daß Valentine es so gewollt hat.«
Paul sah entgeistert aus. »Das darfst du nicht.«
»Warum nicht, Paul?«
»Sie. sie könnten wertvoll sein.«
»Ich werde sie schätzen lassen«, sagte ich, »und wenn sie wirklich auf einen nennenswerten Betrag kommen, dann gebe ich Dorothea das Geld dafür.«
»Nein, Thomas«, sie schüttelte heftig den Kopf.
»Still«, sagte ich zu ihr. »Lassen wir es damit erst mal gut sein.«
Paul ging wütend in der Küche auf und ab, blieb vor dem Tisch stehen, an dem Dorothea und ich saßen, und fragte energisch:
»Wer sind Sie denn überhaupt, daß Sie hier antanzen und sich bei einem hilflosen, todkranken alten Mann einschmeicheln? Ich meine, das ist doch kriminell.«
Ich hielt es nicht für nötig, ihm etwas zu erklären, doch Dorothea setzte ihn müde ins Bild. »Der Großvater von Thomas hat Pferde trainiert, die Valentine beschlagen hat. Valentine hat Thomas über zwanzig Jahre gekannt und ihn immer gemocht, das hat er mir gesagt.«
Als könne er sich nicht mehr beherrschen, marschierte Paul schweren Schrittes weg von dieser unliebsamen Neuigkeit, verließ abrupt die Küche und verschwand im Flur. Man hätte ihn als wichtigtuerischen Esel abtun können, wäre da nicht auch der unterschwellige Eindruck eines massigen, rasch durchs Unterholz streifenden Raubtiers gewesen. Ich möchte ihm gegenüber ungern im Nachteil sein, dachte ich.
Dorothea sagte verzweifelt: »Ich will nicht in Pauls Nähe wohnen. Es wäre mir unerträglich, jeden Tag Besuch von Janet zu bekommen. Ich verstehe mich nicht mit ihr. Sie kommandiert mich herum.« »Sie müssen ja nicht von hier weggehen«, sagte ich. »Paul kann das Haus nicht zum Verkauf annoncieren, weil es nicht ihm gehört. Aber, liebste Dorothea.«
Ich hielt zögernd inne.
»Aber was, Thomas?«
»Nun ja, unterschreiben Sie nichts.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich meine, unterschreiben Sie gar nichts. Fragen Sie erst Ihren Freund, den Anwalt.«
Sie blickte mich ernst an. »Ich werde einiges unterschreiben müssen, jetzt wo Valentine tot ist.«
»Ja, aber. unterschreiben Sie nichts, nur weil Paul es will.«
»In Ordnung«, meinte sie zweifelnd.
Ich fragte sie: »Wissen Sie, was eine Vollmacht ist?«
»Wenn man andere ermächtigt, für einen selbst zu handeln?«