Seine Augen lächelten.
»Das Ganze noch mal«, sagte ich.
Wir richteten die Kameras neu ein und wiederholten die Szene noch zweimal. Alle drei Aufnahmen liefen wunderbar glatt, und alle drei waren kopierbar, doch nicht nur ich fand die erste, gespielt wie unter Strom, unübertroffen.
»Der Mann könnte einen Mord begehen«, meinte Moncrieff nachdenklich über Nash.
»Er hat geschauspielert.«
»Nein.«
Ein leichtes Frösteln. »Ich meine wirklich.«
Kapitel 4
Howard hatte gehört, daß die Untersuchungsszene der ganzen Produktion einen spürbaren, rundum belebenden Auftrieb gegeben hatte. Von ungefähr zehn verschiedenen Seiten war ihm berichtet worden, daß Nash gesagt hatte: »Es ist gut geschrieben« - und Howard wußte, daß er Nashs Ausbruch so nicht geschrieben hatte.
»Sie«, fauchte er mich an, als er mich nach dem Dinner an einem kleinen Tisch in der Bar des Bedford Lodge aufspürte, einem viel zu öffentlichen Schauplatz für seine Affekte, »Sie haben das Skript geändert.«
»Na ja«, sagte ich friedlich, »aber nicht sehr. Ihre Worte sind weitgehend geblieben.«
»Aber die Atmosphäre nicht«, klagte er. »Sie haben meine Absichten vorsätzlich unterlaufen. Sie haben Nash gesagt, er solle die Beherrschung verlieren und Cibber drohen. Sie haben ihm gesagt, er solle wie ein Mörder dastehen, da gehe ich jede Wette ein, sonst wäre er nicht darauf gekommen, nicht nach meiner Vorlage.«
»Also Howard«, sagte ich resigniert, »eines sollten wir ein für allemal klarstellen. Ich will mich nicht mit Ihnen zanken. Ich möchte, daß wir zusammen einen guten Film auf die Beine stellen, aber Sie haben einen Vertrag unterschrieben -«
»Was Sie für einen guten Film halten«, unterbrach er,
»und was ich als werkgetreue Verfilmung meines Buches ansehe, sind zwei Paar Schuhe. Sie interessiert doch nur, wieviel Geld der Streifen einbringt.«
Ich nahm einen großen, stärkenden Schluck Verdauungscognac - zum Teufel mit der Abstinenz! - und entschloß mich, diesem weltfremden Idealisten ein paar Grundtatsachen des Filmgeschäfts auseinanderzusetzen, auch wenn er den kleinen Mund vor Groll noch mehr zusammenkniff.
»Ich habe einen Ruf«, hob er hervor. »Meine Leser erwarten Raffinesse, Understatement und psychologischen Tiefgang. Sie bieten ihnen Sex und Gewalt.«
»Noch einen Wodka mit Preiselbeersaft?«
»Nein.«
»Howard«, sagte ich, »ist Ihnen nicht klar, worauf Sie sich eingelassen haben? O’Hara hat ein Paket zusammengestellt, das von einem der sieben Topstudios getragen wird. So bedauerlich es sein mag, diese Leute finanzieren keine Bilderpoesie, die in Filmkunsttheatern gezeigt wird. Denen geht’s nur ums Geschäft. Um die Kasse, Howard.«
»Obszön«, meinte er mißbilligend.
Ich sagte: »Die wichtigste Verhandlungsgrundlage für O’Hara war die Zusicherung, daß wir gemeinsam einen Film produzieren, durch den die Firma zumindest kein Geld verliert. Ihre Weichzeichner-Ansicht von einem alten Skandal hat sich als Roman offensichtlich bewährt, und vieles davon habe ich ja bewußt auch beibehalten. Ganz gleich, was Sie denken, ich habe für Sie gekämpft.«
»Was, bitte, haben Sie denn beibehalten?« fragte er aggressiv.
»Im ersten Viertel Ihrer Geschichte tauchen die Traumliebhaber der Frau, die am Strick endet, quasi wie Geister auf.« »Ja.«
»Die Träume und Phantasien sind auch im Drehbuch«, erinnerte ich ihn. »Die Liebhaber, wie Sie sie schildern, sind Jockeys. Aber wer waren die wirklichen Jockeys? Haben sie die von ihrem Mann trainierten Pferde geritten?«
»Es gab sie nur in ihrem Kopf.«
»Aber wie kam sie an den Strick, Howard? Hat einer der Traumliebhaber sie aufgeknüpft? War sie es selbst? Hat ihr Mann sie umgebracht?«
Nach einer Pause sagte er: »Das weiß niemand.«
»Ist mir schon klar«, sagte ich. »Wenigstens hat es nie jemand erzählt. Aber wenn das Ende nicht irgendeine Erklärung liefert, geben die Leute für den Film kein Geld aus.«
Er sagte sarkastisch: »Der Umsatz mal wieder.«
»Ich lasse Ihnen die Traumliebhaber«, sagte ich. »Und Sie lassen mich eine plausible Erklärung anbieten.«
»Das ist nicht fair.«
Ich starrte ihn an. Er war alt genug, um zu wissen, daß selten etwas fair war. Die meisten Fünfjährigen wußten das schon.
»Was uns vorliegt«, ich versuchte es anders, »sind drei Versionen derselben Geschichte.«
»Inwiefern?«
»Wir haben die Geschichte, die in Ihrem Buch steht. Wir haben die Geschichte, die wir auf die Leinwand bringen. Und irgendwo in der Vergangenheit verborgen liegt das, was wirklich geschehen ist. Die gleichen Tatsachen aus dreierlei Sicht.«
Howard widersprach nicht.
Ich sagte: »Bis Sonntag, Howard, möchte ich von Ihnen eine einleuchtende Erklärung für den Tod der Frau.«
»Es ist doch schon Dienstag abend!« rief er entsetzt aus.
»Sie hatten buchstäblich jahrelang Zeit, die Wahrheit herauszufinden.«
»Aber die kennt doch niemand!«
»Dann versuchen Sie sie zu erraten.«
»Das tue ich nicht«, protestierte er streitlustig, »ich hab’s versucht.«
»Dann tue ich es«, sagte ich. »Ich werde die nötigen Szenen mit Ihnen zusammen erarbeiten. Wir können uns weitgehend an Ihr Drehbuch halten, aber der offene Schluß ist unmöglich.«
»So ist es aber nun mal gewesen. Die Story hat kein Ende.«
»Für den Film muß sie eins haben.«
»Scheren Sie sich denn gar nicht um die Tatsachen?«
»Wenn wir genau genug hinsehen«, sagte ich nur halb im Ernst, »decken wir ja vielleicht die Fakten auf. Am Ende finden wir sogar raus, was wirklich passiert ist?«
»Das geht nicht«, wehrte Howard ab. »Das weiß niemand.«
»Niemand sagt es. Das ist ein Unterschied.«
Ich schwieg. »Was hat Jackson Wells Ihnen erzählt, als Sie bei ihm waren?«
O’Hara hatte Howard das auch schon gefragt, und zu O’Haras maßlosem Erstaunen hatte Howard ihm offenbar gesagt, er habe mit Jackson Wells gar nicht gesprochen. Howard hatte das nicht für nötig gehalten. Howard hatte nicht riskieren wollen, daß Jackson Wells mit irgendwelchen dürftigen Enthüllungen daherkam, die ihm seine poetische Geschichte von den Traumliebhabern und dem halb mystischen Tod verdarben.
Moncrieff, der die Bar betrat und, als er uns sah, ohne Zögern zu uns herüberkam, ersparte Howard die Antwort.
Howard und Moncrieff waren einander unsympathisch, auch wenn sie es nicht groß nach außen kehrten. Moncrieff, kein Leser von Romanen, hielt Howard für einen kleinlichen, unpraktischen, pseudointellektuellen Störenfried auf dem Set. Howard machte keinen Hehl aus seiner Geringschätzung für Moncrieffs ungepflegtes Äußeres mit dem struppigen Bart, den dieser halb als Ausdruck seines Künstlertums, halb aus Unlust am Rasieren trug.
Keiner von beiden hatte die geringste Ahnung von der Funktion des anderen. Moncrieff, in Beleuchtungsfragen grenzenlos kreativ, bekam zwar die Schauspieler, die jeweilige Szene und den Sinn der Handlung vorgegeben, doch was er selbst einbrachte, ging himmelhoch über Howards Verständnis. Jeder der beiden gefeierten Individualisten glaubte, daß der Erfolg des fertigen Films voll und ganz von ihm abhing.
Da Nash Rourke zu der gleichen Auffassung neigte, aber auch O’Hara, aber auch ich und auch der Cutter, der unserer Arbeit die eigene Sicht aufprägen würde, war kaum anzunehmen, daß das Endergebnis nachher irgend jemanden völlig zufriedenstellte, selbst wenn es beim Publikum ankam. Howard wußte es anscheinend nicht zu schätzen, aber er hatte schon mehr Kontrolle über sein Werk als die meisten Autoren.
»Was ist denn das mit diesen Traumliebhabern?« fragte Moncrieff in barschem Ton.