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Das seitenlange Fax ging jedoch weiter.

In O’Haras Handschrift stand da: »Diese Notiz erschien in der respektlosen Klatschspalte des Cable, am gleichen Tag wie der Nachruf.«

Familiengeheimnisse der Visboroughs mit ins Grab genommen? Anscheinend hat Jockey-Club-Mitglied Rupert (76), der am Mittwoch einem Hirnschlag erlag, den dubiosen Tod seiner vor 23 Jahren erhängt aufgefundenen Schwägerin nie aufklären können. Deren hinterbliebener Gatte, Jackson Wells, der jetzt wieder verheiratet ist und unweit Oxford Raps anbaut, hatte zu Visboroughs Hinschied »nichts zu sagen«. Es muß für dieses 23 Jahre alte Geheimnis eine Lösung geben. Wir bitten um Hinweise.

O’Haras Handschrift: »Cable erhielt ungefähr sechs durchweg unbrauchbare Zuschriften. Damit war die Geschichte für die Blattmacher erledigt. Aber sie haben mit großem Aufwand ihr Mikrofilmarchiv durchforstet und folgende, zur Zeit des Todes von Visboroughs Schwägerin eingegangenen und gedruckten Meldungen gefunden.«

Es fing mit einer kleinen Notiz an unter der Überschrift »Frau eines Trainers aus Newmarket erhängt aufgefunden«.

Danach hatte es fast zwei Wochen lang täglich neue Enthüllungen gegeben, vielfach zum Thema »Ist sie gesprungen oder gestoßen worden?« und ebenso viele über die von Visborough bitter empfundene Ungerechtigkeit der Art und Weise, wie seine politischen Ambitionen im Ansatz erstickt wurden.

Die Erhängte in der Familie hatte offenbar nicht nur Pferdebesitzer alarmiert; der Gifthauch wirkte auch auf Stimmenwerber und potentielle Wähler abschreckend.

Aus Mangel an Treibstoff war die Geschichte schließlich eingeschlafen. Die letzte Nachricht über Jackson Wells’ Frau versprach fälschlicherweise: »Die Polizei wird wohl in den nächsten Tagen eine Verhaftung vornehmen.«

Danach wurde es still.

Die grundlegende Frage blieb unbeantwortet - warum war sie gestorben?

Ich aß zu Abend und ging schlafen und träumte von ihnen, sah Visborough als Cibber, seine fremdgehende Frau als die hübsche Mimin Silva, Nash als Jackson Wells und die spinnige erhängte Frau als einen Hauch von Musselin, eine wehende Gardine am Fenster.

Kein Einblick. Keine Inspiration. Keine Lösung.

Kapitel 5

Verzögerungen bei der Aufnahme der Aufbruch-zur-Arbeit-Szene am nächsten Morgen. Eines der Pferde war in Trotzlaune, setzte seinen Pfleger ab und trat einen Kameraschwenker. Lampen versagten mitten in der Aufnahme. Einer der Stallburschen stellte vor laufenden Kameras eine blöde Frage, und ein Tontechniker, der es besser hätte wissen sollen, schlenderte rauchend in den nächsten Take hinein.

Als Nash aus dem Haus kam, vergaß er die Sturzkappe mitzubringen, die er aufsetzen sollte, bevor er aufs Pferd stieg. Er schnippte verärgert mit den Fingern und machte kehrt.

Bis wir schließlich ein kopierfähiges Ergebnis zustande brachten, war es längst nicht mehr Tagesanbruch. Moncrieff hantierte mit immer neuen Farbfiltern, um die pralle Sonne zu dämpfen. Ich sah auf meine Uhr und dachte an den Hubschrauber.

»Noch mal«, rief ich allen zu. »Und daß es jetzt um Himmels willen klappt. Kommt nicht zurück, reitet ins Gelände. Seid ihr soweit?«

»Kamera ab«, sagte Moncrieff.

Ich rief: »Los«, und einmal mehr führten die Pfleger ihre geduldigen Schützlinge aus den Boxen, schwangen sich in die Sättel, bildeten eine lose Reihe und ritten auf den tän-

zelnden Tieren zum Tor hinaus. Nash, der ihnen folgte, vergaß, zum Fenster hinaufzusehen.

Ich rief: »Aus«, und sagte zu Moncrieff: »Kopierer.«

Nash kam fluchend zurück.

»Schon gut«, sagte ich. »Wir schneiden es rein. Würden Sie noch mal rausreiten und sich umdrehen und hochschauen, nachdem Sie das Tor passiert haben, so als wären die anderen Pferde gerade vor Ihnen aus dem Bild gegangen? Den Blick machen wir auch in Nahaufnahme.«

»Jetzt gleich?«

»Ja«, sagte ich. »Weil jetzt noch das Licht stimmt. Und wie wär’s, wenn die Frau Sie eine Idee nervt?«

Die Nahaufnahme von dem gereizten Gesicht war dann den Aufwand mit der eigens gestellten Kamera durchaus wert. Selbst Moncrieff lächelte.

Nash meinte nur: »Hoffentlich wartet die Rennleitung in Doncaster mit dem Essen.«

Er sauste mit dem Rolls davon, doch als ich wenig später nachkam, stand er noch in der Hotelhalle und las steif konzentriert in einer Zeitung.

»Nash?« fragte ich zögernd.

Er ließ die Zeitung sinken, drückte sie mir in die Hände und sagte in explodierendem Zorn: »Mist!«

Dann drehte er sich auf dem Absatz um, stiefelte davon und überließ es mir, herauszufinden, was ihn so aufgebracht hatte.

Ich sah es. Ich las es und bekam genauso eine Mordswut.

TURFFILMPLEITE

Das erste, was über die in Newmarket laufenden Dreharbeiten zu dem Film Unsichere Zeiten nach außen dringt, ist Kunde von Zank, Zwietracht und bloßliegenden Nerven.

Howard Tylers pulsierende Rennvorlage, die zehn Wochen auf den Bestsellerlisten stand, wird nach Auskunft meines Informanten bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Superstar Nash Rourke bereut seine Mitwirkung und sagt: »Regisseur Thomas Lyon (30), unfähig und arrogant, liebt verheerende Skriptänderungen in letzter Minute.«

Lyon hat sich vorgenommen, ein 26 Jahre altes Rätsel aus dem Leben, das die Grundlage von Tylers Meisterwerk bildet, zu lösen. Der Polizei gelang dies seinerzeit nicht. Beliebt Lyon zu scherzen?

Die Rede ist vom tragischen Tod der Frau eines früheren Newmarketer Trainers, die unter unaufgeklärten Umständen durch Erhängen starb, und natürlich sind ihre engeren Angehörigen darüber unglücklich, wie kalte Asche hier zu schmerzlichem, unsinnigem Feuer aufgeschürt wird.

In Lyons Version macht unter anderem der Mann der Erhängten - Rourke - ihre Schwester an und löst bei deren Mann, einem nunmehr gehörnten, später durchdrehenden Vorstandsmitglied des Jockey Clubs, rasende Rachegelüste aus. Nichts davon ist wahr.

Wieso vertrauen Hollywoods Giganten die Verfilmung eines berühmten Romans der talentlosen Willkür eines überdrehten Diktators an? Was hat dieser lächerliche Hanswurst noch auf der Heide verloren? Wer gestattet ihm, Millionen für die erbärmliche Travestie eines großen Werkes zu verpulvern?

Wird es nicht höchste Zeit, daß jemand Meister Thomas Lyon den Schuh gibt?

Dazu abgebildet war ein großes Foto von Nash, mit grimmigem Gesichtsausdruck.

Wutentbrannt fuhr ich hinauf in meine Suite und hörte das Telefon klingeln, als ich hereinkam.

Ehe ich mich noch melden konnte, kam Nashs Stimme aus dem Hörer: »Ich hab das nicht gesagt, Thomas.«

»Hätte mich auch gewundert.«

»Ich bringe diesen Scheiß-Tyler um.«

»Überlassen Sie ihn O’Hara.«

»Fliegen wir noch nach Doncaster?«

»Na, und ob«, sagte ich. Nur raus aus Newmarket, dachte ich. »Geht’s in einer halben Stunde?«

»Ich bin dann in der Halle.«

Ich wählte die Nummer von O’Haras Mobiltelefon, erreichte aber nur seinen Auftragsdienst.

Ich sagte: »Lesen Sie den Daily Drumbeat, Seite 16, die Rubrik >Sterngeflüster<. Nash und ich fahren zum Pferderennen. Ich habe mein Mobiltelefon dabei. Nehmen Sie Prozac.«

Howard Tylers Zimmertelefon läutete Sturm, aber er ging nicht dran. Ich duschte in Rekordzeit, zog Rennleitungslunchkleidung an und fuhr nach unten, um die hilfsbereite Seele am Empfang zu befragen.

»Mr. Tyler ist nicht mehr hier«, bestätigte sie. »Er ist abgereist.«