»Daß Sie gerade reiten. Sie sollen ihn zurückrufen.«
»Gut.«
Ich ging zu meinem Wagen und dem Fahrer und rief O’Hara an. Er hatte sich offenbar mit Howard befaßt, der jetzt von dem Hexerei-Aspekt begeistert war und ihn verstärkt herausarbeiten wollte. Die Szenen flossen ihm nur so aus der Feder.
»Na gut«, sagte ich, »aber zügeln Sie ihn. Hexen hängen sich nicht selber auf, und wir haben immer noch keinen, der den Mord begeht.«
»Wie immer«, meinte O’Hara trocken, »legen Sie den Finger auf den wunden Punkt.«
Er hielt kurz inne. »Howard hat mir gesagt, wo Alison Visborough lebt.«
»Wie haben Sie denn das geschafft? Ein Abkommen getroffen?«
»Es kann sein«, erwiderte O’Hara steif, »daß wir nicht den letzten Cent aus ihm herauspressen.«
Ich lächelte.
»Fahren Sie jedenfalls mal zu ihr. Es ist irgendwo in Leicestershire.«
»Wann denn? Wir drehen morgen den ganzen Tag.«
»Hm, jetzt. Howard hat sie angerufen. Sie erwartet Sie.«
»Jetzt? Kann das nicht jemand anders machen?«
Ich war seit vier Uhr früh auf den Beinen; inzwischen war es zwanzig vor fünf am Nachmittag, und ich brauchte eine Dusche und fühlte mich, um es milde auszudrücken, geschlaucht. Leicestershire lag viele Kilometer in der falschen Richtung.
O’Hara sagte: »Ich dachte, Sie wären daran interessiert, sie kennenzulernen, und ihre Mutter lebt auch bei ihr.«
»Die Audrey?«
O’Hara bestätigte es. »Die Frau, die Silva im Film darstellt.«
»Hm... das interessiert mich schon. Gut, ich fahre. Und die Anschrift?«
Er gab sie mir durch, die Telefonnummer eingeschlossen. »Howard erweist sich als ausgesprochen hilfsbereit.«
»Das kann ich mir denken.«
O’Hara wechselte das Thema. »Ed sagte, Sie seien geritten?«
Belustigt über die verschlüsselte Frage, antwortete ich: »Ich bin mit zwei von den Jockeys um die Bahn geritten, damit sie sehen, was morgen Sache ist.«
»Seien Sie vorsichtig.«
»Klar«, sagte ich. »Immer.«
Wir verabschiedeten uns, und ich führte im Weitergehen noch ein Telefongespräch, diesmal mit Robbie Gill.
»Thomas Lyon«, sagte ich, als er sich meldete. »Wie geht’s meinem Mädchen?«
»Sie ist noch auf der Intensivstation. Ich habe mit ihrem Arzt Verbindung aufgenommen. Er hat sie transportunfähig geschrieben, zumindest solange sie Infusionen braucht. Auf jeden Fall noch zwei, drei Tage. Ich kann ihren Sohn nicht ausstehen. So ein Stinkstiefel!«
»Was hat er gemacht?«
»Die Schwestern drohen mit einem Aufstand. Er ist so verdammt überheblich.« »Ist Dorothea schon bei Bewußtsein?«
»Ja, sie hat kurz mit der Polizei geredet. Das letzte, an das sie sich erinnert, ist anscheinend, daß sie sich nach dem Abendessen bei einer befreundeten Witwe, die einen halben Kilometer entfernt wohnt, auf den Heimweg gemacht hat. Sie sehen manchmal zusammen fern, und nach Valentines Tod hatte sie Lust auf Gesellschaft. Ein Glück, daß sie nicht schon früher zu Hause war.«
»Mag sein. Vielleicht.«
»Vielleicht«, stimmte er zu.
»Sonst was Neues?« fragte ich.
»Nein. Ich habe die Polizei gefragt. Nur leere Sprüche, was bedeutet, daß sie im Wald stehen.«
»Ich würde Dorothea gern besuchen.«
»Das habe ich ihr auch gesagt. Es hat sie offensichtlich gefreut. Vielleicht geht’s morgen abend, oder übermorgen.«
»Ich rufe Sie an«, sagte ich.
Am Wagen angelangt, teilte ich dem Fahrer die Programmänderung mit und sah mir die Straßenkarte an. Rechts ab auf die A 14 in nordöstlicher Richtung, um Kettering herum und weiter geradeaus. Vierzig Meilen vielleicht bis Market Harborough. »Wecken Sie mich, wenn wir da sind«, sagte ich und legte mich auf dem Rücksitz schlafen.
Alison Visboroughs Zufluchtsort offenbarte von den Torpfosten an ihre Persönlichkeit. Ein löchriger Schotterweg führte zu einem zweigeschossigen alten Haus aus Ziegeln, vermutlich achtzehntes Jahrhundert, aber ohne Besonderheit. Die Wiesen ums Haus waren in zahlreiche Koppeln mit verwitterten Lattenzäunen unterteilt, und auf einigen standen kräftige, aber wenig bemerkenswerte Pferde. Eine größere Koppel auf der einen Seite war mit diversen Gattern, Stangen und Mauerattrappen ausgestattet, den Utensilien des Springreitens, der abblätternden Farbe nach nicht mehr ganz neu. Am anderen Ende ließ ein Mann in Tweedjacke und hoher schwarzer Reitkappe langsam ein Pferd im Kreis kantern und übte es, die Augen streng auf das führende Vorderbein gerichtet, in der Dressur. Ein Kind, das ihm zusah, hielt ein Arbeitspony bei den Zügeln. Lehrer und Schüler beim Unterricht, wie es schien.
Alles an dem Hof sah sauber und effizient aus und zeugte eher von Geldknappheit.
Mein Fahrer hielt vor der unprätentiösen Haustür. Er sagte, er wolle fragen, ob wir hier richtig seien, doch das war nicht nötig. Die Tür öffnete sich, ehe er läuten konnte, und eine vollbusige Frau mittleren Alters in Reithose, Hemd und mattgrünem Pullover erschien, begleitet von zwei halbwüchsigen Labradors.
»Mr. Lyon?«
Ihre Stimme drang laut, herrisch, ungnädig zu mir herüber.
Mein Fahrer deutete auf den Wagen, und ohne große Begeisterung stieg ich aus.
»Ich bin Thomas Lyon«, sagte ich, auf sie zugehend. Sie gab mir die Hand, als wäre das eine leidige gesellschaftliche Verpflichtung, und führte mich genauso auch ins Haus, während mein Fahrer sich selbst überlassen blieb.
»Ich bin Alison Visborough. Howard hat Sie schon angekündigt«, erklärte sie und führte mich in ein kaltes, ordentliches Zimmer mit hartgepolsterten Sesseln und Sofas, die einladend aussahen, aber gewissermaßen die Lust am Bleiben dämpften. Ich hockte mich auf eine ungastliche Sesselkante und sie auf eine andere. Die Hunde waren ohne viel Federlesens in die Diele verbannt worden.
»Ich habe Sie mir älter vorgestellt«, sagte sie mit unbefangen vornehmer Diktion. »Sind Sie auch sicher, daß Sie der sind, der Sie zu sein behaupten?«
»Meistens.«
Sie machte große Augen.
Ich sagte: »Ich bin nicht der Unmensch, den Sie im Drumbeat geschildert haben.«
»Sie haben Howard zur Verzweiflung getrieben«, sagte sie energisch. »Da mußte was passieren. Ich hatte nicht mit so einem Wirbel gerechnet. Schon gar nicht wollte ich Howard in Schwierigkeiten bringen. Er hat mir erklärt, daß Ihre blöde Filmgesellschaft sauer auf mich ist, aber wenn ich eine Ungerechtigkeit erkenne, muß ich meine Meinung sagen.«
»Immer?« fragte ich interessiert.
»Natürlich.«
»Und bringt Sie das oft in Schwierigkeiten?«
»Widerstand hält mich nicht ab.«
»Würden Sie Howard zuliebe«, sagte ich, »der Filmgesellschaft einen kurzen Entschuldigungsbrief schreiben?«
Sie schüttelte empört den Kopf, dachte noch einmal darüber nach und sah dann aus, als könne sie sich nicht entscheiden, ein für sie wohl ungewohnter Zustand.
Sie hatte angegrautes, kurzes braunes Haar, furchtlose braune Augen, trug keinen Lippenstift und keine Ringe an den rauhen, arbeitsgewohnten Händen. Eine Frau, streng mit sich selbst und mit allen anderen, aber von Howard bewundert.
Ich fragte: »Mit wem haben Sie gesprochen, der beim Drumbeat arbeitet?«
Sie zögerte wieder und sah nicht allzu erfreut aus. »Es sind nicht so ganz meine Worte«, sagte sie widerstrebend, »was sie in der Zeitung geschrieben hat.« »Sie?«
»Eine alte Bekannte von mir. Wir waren auf der gleichen Schule. Sie gehört zum >Sterngeflüster<-Team, und ich dachte, es würde Howard helfen, gegen Sie zu bestehen. Von ihr stammt der Artikel auch nicht. Sie hat nur die Informationen an einen der Schreiber weitergegeben, wie sie’s immer macht. Sie stellt das Material zusammen, hat sie mir erklärt, und dann wird es von einem, der dafür zuständig ist, auf Sensation getrimmt.«