Auf Sensation getrimmt. Man denke! Aber anders wäre Howards Nörgelei die Spalte wahrscheinlich nicht wert gewesen.
»Seit wann«, fragte ich, »kennen Sie Howard?«
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Ich habe nur überlegt, wie lange Sie sich wohl schon für ihn einsetzen.«
Mit einem Anflug von Streitlust, wie sie mir neuerdings öfter begegnete, sagte sie: »Ich kann mich innerhalb von fünf Minuten für eine gute Sache einsetzen.«
»Bestimmt.«
»Genaugenommen kennen wir Howard, seit er uns nach Papas Tod besuchen kam.«
Das Wort »Papa« kam ganz spontan; nur ich fand es seltsam und verfehlt bei einem Menschen ihres Alters.
»Wollte er zu Ihrer Mutter?«
»Ja, wohl hauptsächlich zu ihr.«
»Wegen des Nachrufs?«
Sie nickte. »Der hat Howard interessiert.«
»Mhm.«
Ich schwieg. »Haben Sie eine Ahnung, von wem dieser Nachruf stammt?« »Warum wollen Sie das wissen?«
Ich zuckte die Achseln. »Interessehalber. Er schien mir ein Ausdruck persönlicher Gefühle zu sein.«
»Verstehe.«
Sie ließ Sekunden hingehen. Dann sagte sie: »Er stammt von mir. Die Zeitung hat ihn bearbeitet, aber das Wesentliche war von mir.«
»So?« sagte ich unverfänglich. »Und Sie haben auch geschrieben, daß die Karriere Ihres Vaters durch Sonias Tod vereitelt worden ist?«
»Ja.«
»Das schien Ihnen nahezugehen.«
»Natürlich ist es mir nahegegangen«, sagte sie heftig. »Papa hat nie mit mir darüber gesprochen, aber ich wußte, daß er verbittert war.«
»Hm«, sagte ich, »aber weshalb mußte er denn nach Sonias Tod die Politik aufgeben?«
Gereizt, als ob sich das von selbst verstünde, sagte sie: »Wegen des Geredes natürlich. Aber er sprach nie darüber. Er hätte niemals zugelassen, daß dieser Film gemacht wird. Rodbury und ich waren auch dagegen, konnten aber nichts ausrichten. Es war Howards Buch, nicht unseres. Unser Name, Papas Name kommt nicht darin vor. Howard sagte, Sie hätten ihn zu den lächerlichen, lügenhaften Änderungen an seinem Buch gezwungen; da dachte ich natürlich, jemand müßte Ihnen Einhalt gebieten. Howard zuliebe und - jawohl - Papa zu Ehren mußte ich es tun.«
Und beinah wäre es ihr geglückt, dachte ich.
Ich versuchte weder mich noch das Vorgehen der Filmgesellschaft zu rechtfertigen, sondern sagte: »Verzeihen Sie, aber wer ist Rodbury?« »Mein Bruder Roddy.«
Roddy, natürlich.
»Könnten Sie mich vielleicht Ihrer Mutter vorstellen?« fragte ich.
»Wozu?«
»Ich würde sie gern kennenlernen.«
Es hing in der Schwebe, aber die Entscheidung blieb nicht ihr überlassen. Die angelehnte Tür wurde von einem Gehstock in der Hand einer dünnen, hinkenden Dame um die Siebzig aufgestoßen. Sie kam langsam und bedrohlich auf mich zu und teilte mir, während ich aufstand, mit, daß ich ein Scheusal sei.
»Sie sind doch der Mensch«, hielt sie mir mit blassen, schmalen Lippen vor, »der behauptet, ich hätte meinen Mann mit Jackson Wells betrogen - Jackson Wells!«
Empörtes Klassenbewußtsein lag in ihrer dünnen Stimme. »Dieser schreckliche Kerl! Ich habe meine Schwester vor der Ehe mit ihm gewarnt, aber sie war dickköpfig und hat nicht auf mich gehört. Er war nicht gut genug für sie. Wie kann jemand glauben, daß ich. ich...«
Ihr fehlten fast die Worte. »Es fiel mir ja schon schwer, zu dem Mann höflich zu sein - und er war zwanzig Jahre jünger als ich.«
Sie bebte vor Mißbilligung. Ihre Tochter stand auf, ergriff den Arm der Mutter und half ihr zu einem der Sessel, deren feste Polsterung mit einemmal sinnvoll erschien.
Sie hatte kurzes weißes Lockenhaar und hohe Wangenknochen und mußte einmal hübsch gewesen sein, aber Schmerzen oder eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem Leben hatten ihrem Mund einen verkniffenen, übellaunigen Zug nach unten verliehen. Ich dachte an Silva und ihre strahlende Schönheit und konnte mir vorstellen, daß die beiden Frauen wahrscheinlich wenig Wert darauf legen würden, sich kennenzulernen.
Ich sagte ohne Nachdruck: »Die Filmgesellschaft hat sich mit Howard Tyler darüber verständigt, daß einige Punkte gegenüber der Buchvorlage geändert werden sollten. Ich habe das nicht veranlaßt. Ich wurde engagiert, nachdem die wichtigsten Änderungen bereits abgesprochen waren. Trotzdem glaube ich, daß sie nötig waren und daß sie gutes und unterhaltsames Kino ergeben, auch wenn ich Ihre Vorbehalte verstehe.«
»Vorbehalte!«
»Dann eben Ihre Mißbilligung. Da aber nirgends Ihr Name fällt und die Filmhandlung erfunden ist, werden nicht viele Leute Sie damit in Verbindung bringen.«
»Daß ich nicht lache. Wir sind doch das Gespött von ganz Newmarket.«
»Glaube ich nicht«, sagte ich. »All das ist so lange her. Aber ich möchte Ihnen gern eine Frage stellen, und ich hoffe, daß Sie sie mir beantworten, schon weil sich vielleicht dann auch Ihre verständliche Empörung legt. Hat Ihre Schwester Sonia so stark in einer Phantasiewelt gelebt, wie Howard es in seinem Buch schildert? War sie wirklich eine verträumte junge Frau?«
Während die Ältere zögerte, sagte Alison: »Ich habe ihren Mann nie kennengelernt und kann mich an sie kaum erinnern. Ich war ja erst vierzehn.«
»Sechzehn«, berichtigte ihre Mutter spitz.
Alison warf einen gereizten Blick auf ihre Mutter, die etwas selbstzufrieden aussah. Offenbar gab es zwischen Mutter und Tochter unangenehme Spannungen, die nur halb durch gute Manieren verdeckt wurden. Alison, so sehr es bei ihrem Naturell auch verwunderte, war Frau genug, sich zu wünschen, daß ich sie für jünger hielt.
»Träume?« hakte ich nach.
»Meine Schwester«, erklärte Audrey Visborough abfällig, »hat sich bald in jeden Kerl verliebt, der Reithosen trug. Sie hat von Männern geschwärmt, die sie niemals bekommen konnte. Reichlich albern. Ich denke, das habe ich auch Howard gesagt, als er zum erstenmal hier war. Jackson Wells sah gut aus in Reithosen, und natürlich fühlte er sich geschmeichelt, als ihm Sonia schöne Augen machte. Das war keine Grundlage für eine Ehe.«
»Hm«, sagte ich, ohne dazu Stellung zu nehmen.
»Wenigstens hat es meine Tochter davon abgehalten, den gleichen Fehler zu begehen.«
Alison, die unverheiratete Tochter, warf ihr einen von altem und bitterem Groll erfüllten Blick zu.
Ich räusperte mich diplomatisch und fragte: »Haben Sie zufällig ein Foto von Ihrer Schwester?«
»Ich glaube nicht.«
»Auch keins aus der Zeit, als Sie beide jung waren?«
Audrey sagte streng: »Sonia war ein unerwarteter Nachzügler, sie kam zur Welt, als ich schon groß war. Am Anfang war sie wohl auch ganz nett. Ich hatte nicht viel mit ihr zu tun. Dann habe ich Rupert geheiratet, und. also wirklich! Sonias Verhalten wurde untragbar! Sie hat einfach nicht auf mich gehört!«
»Aber. als sie dann so starb.?«
Ich ließ die Frage offen, empfänglich für jederlei Antwort.
Audrey schauderte ein wenig. »Schrecklich«, sagte sie, aber das Wort und das Schaudern waren Reflexe, die Empfindung dahinter begraben und vergessen.
»Haben Sie eine Ahnung, warum sie gestorben ist?« fragte ich.
»Wir haben doch immer wieder gesagt, daß wir das nicht wissen.«
»Und«, setzte Alison im gleichen Ton hinzu, »es ist unerhört, daß Sie und Ihr Film sich in unser Leben einmischen.«
Audrey nickte heftig: Hier zumindest waren Mutter und Tochter sich einig.
Ich fragte Alison: »Würden Sie denn nun Howard zuliebe die paar entschuldigenden Zeilen an die Filmgesellschaft schreiben?«
Sie entgegnete scharf: »Es geht Ihnen doch nicht um Howard. Ihnen geht’s nur um Sie selbst.«
Geduldig sagte ich ihr, wie es war. »Howard schreibt ein gutes Drehbuch. Sein Name ist mit dem Film verbunden. Wenn er befürchtet, daß die Filmgesellschaft ihn verklagt, wird er in den Szenen, die noch entwickelt werden müssen, nicht sein wahres Format zeigen. Er bewundert Sie, Miss Visborough. Geben Sie ihm die Möglichkeit, unbeschwert zu arbeiten.«