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Wir wollten Nash filmen, wie er die Stufen zur Tribüne hinaufging, um »sein«

Pferd im Rennen laufen zu sehen. Zu O’Haras gelinder Bestürzung lud er Mrs. Wells und Lucy ein, sich für die Aufnahme zu ihm und den Bodyguards zu stellen. Ridley folgte ihnen unaufgefordert die Stufen hinauf, so daß Jackson Wells ganz allein neben mir zurückblieb, mit einem Gesicht, als wünschte er, er wäre nicht gekommen.

»Ihre Frau hat nicht begriffen«, sagte ich.

»Was?« fragte er, doch er wußte, was ich meinte.

»Daß sie da jetzt neben Ihnen steht, vor sechsundzwanzig Jahren.«

»Das Alter stimmt nicht«, sagte er schroff. »Wir waren alle Kinder damals. Und Sie haben recht, es gefällt mir nicht.«

Er ertrug es jedoch mit Fassung und blieb unbewegt stehen, während Nash sein Double ablöste, die Stufen hinaufstieg und sich an genau der richtigen Stelle umdrehte, um sein Gesicht in Moncrieffs feinabgestimmtes Licht zu bringen. Wir filmten die Szene dreimal, und ich notierte die Einstellungen eins und drei als Kopierer; die ganze Zeit aber stand O’Hara quasi als mein Schutzengel links neben mir.

Ich grinste ihn an. »Vielleicht sollte ich mir einen Panzer zulegen«, sagte ich.

»Das ist überhaupt nicht komisch.«

»Nein.«

Irgendwie kann man nicht glauben, daß einem wirklich der Tod bevorsteht. Ich hatte die Dreharbeiten nicht unterbrochen, und wir filmten Stückchen für Stückchen den ganzen Nachmittag weiter, so daß ich manchmal für geschlagene zehn Minuten vergaß, an scharfen Stahl zu denken.

Irgendwann, als ich gerade wieder einmal auf die Licht-und Kameraeinrichtung wartete, stand ich neben Lucy ein wenig abseits vom Zentrum des Geschehens, sah in ihre wundersamen blauen Augen und fragte mich, wie alt sie war.

Sie sagte unvermittelt: »Sie haben Papa doch nach einem Foto von Sonia gefragt, damit Sie sie ihr im Film nicht zu ähnlich machen.«

»Richtig. Er hatte keins.«

»Mhm«, stimmte sie zu. »Aber, naja... ich habe eins. Das hab ich mal gefunden, hinten in einer Schublade. Eigentlich wollte ich’s Papa geben, aber er redet ja nicht über Sonia. Er will nichts von ihr hören. Da habe ich’s eben behalten.«

Sie klappte die kleine Handtasche auf, die sie über der Schulter trug, und gab mir das Bild, einen zerknitterten, aber deutlichen Schnappschuß, der ein hübsches Mädchen neben einem gut aussehenden jungen Mann zeigte. »So lassen Sie Yvonne dann nicht aussehen?«

Ich schüttelte den Kopf und las die mit Bleistift geschriebene Notiz auf der Rückseite des Fotos: »Sonia und Pig.«

»Wer ist Pig?« fragte ich.

»Keine Ahnung«, sagte Lucy. »Ich habe Pa nie von ihm reden hören. Aber das ist Pas Handschrift, er muß ihn also früher mal gekannt haben.«

»Lange bevor Sie geboren wurden.«

»Ich bin achtzehn«, sagte sie.

Ich kam mir alt vor. Ich sagte: »Könnten Sie mir das Foto mal leihen?«

Sie sah unschlüssig aus. »Ich möchte es nicht verlieren.«

»Bis morgen?« schlug ich vor. »Wenn Sie morgen wiederkommen.«

»Ich glaube, da wird nichts draus. Papa wollte eigentlich gar nicht herkommen. Er hat sich nur Mama gefügt, damit sie Nash Rourke sehen konnte.«

»Würden Sie und Ihre Mutter morgen wiederkommen?«

»Sie tut nichts, was Papa nicht recht ist.«

»Und Sie?«

»Ich hab kein Auto.«

»Dann leihen Sie mir das Foto doch für eine Stunde.«

Sie strahlte und willigte ein, und ich brachte das Foto mit flehentlicher Miene zu Moncrieff und bat ihn, mir ein gutes Negativ davon zu machen, von dem wir einen Abzug anfertigen könnten. Das Bild mußte wie üblich zum

Entwickeln nach London ins Kopierwerk gebracht werden, aber mit einigem Glück konnte ich es morgen früh haben.

Morgen früh. Noch heute erstochen. Sei schon still, dachte ich.

»Haben Sie«, fragte ich Lucy später, »einen Computer mit Drucker zu Hause?«

»Natürlich«, antwortete sie verwirrt. »Sonst kann man doch heute keine Farm mehr bestellen. Die Büroarbeit macht Papa verrückt. Warum fragen Sie?«

»Nur so. Wir haben hier ständig einen in Betrieb.«

Ich ließ mich näher darüber aus, um meine Frage zu entschärfen. »Jeder Zentimeter Film, jede Brennweite, jede Blende. alles wird vom Scriptgirl eingetragen. So finden wir jedes Einzelbild wieder und können außerdem sicherstellen, daß sich eine später gedrehte Szene nahtlos an die vorhergehende anschließt.«

Sie nickte halbwegs verstehend und fragte: »Und wer sind die tausend Leute, die alle im Nachspann auftauchen? Kamerabühne, Beleuchter. was machen die?«

»Die Leute von der Kamerabühne bewegen die Ausrüstung. Die Beleuchter setzen das Licht. Unser wichtigster Mann im Moment ist der Produktionsleiter. Er sorgt dafür, daß der Wagen, die Kulisse, die Requisiten und weiß ich was an Ort und Stelle sind, wenn wir sie brauchen.«

»Und Sie«, sagte sie mit wenig schmeichelhafter Skepsis, »haben die Oberaufsicht über das Ganze?«

»Ich und der Produzent. »Ohne uns kein Film.«

Sie sagte unverblümt: »Das hat auch Papa gesagt, aber Mama meinte, Sie seien zu jung.«

»Sind Sie immer so offen?«

»Mit sechzehn war ich ganz verschlossen«, sagte sie.

»Hab kein Wort rausgebracht. Vor einiger Zeit bin ich aber aus dem Ei geschlüpft.«

»Herzlichen Glückwunsch.«

»Papa sagt, ich rede Unsinn.«

»Darf man in dem Alter. Bleiben Sie zum Abendessen. Ich bringe Sie nachher heim.«

»Tut mir leid.«

Ihre Reaktion war automatisch, ihre blauen Augen erfüllt von Warnungen vor Stelldicheins mit Vergewaltigern und dergleichen. »Nicht wir allein.«

Ich lächelte schief. Ich hatte nur daran gedacht, tödlichen Messerstichen zu entgehen, nicht ans Bett. Du läßt nach, dachte ich, wenn dir jetzt schon eine Achtzehnjährige, die noch halb in den Kinderschuhen steckt, das Leben retten soll. Ich holte ihren Schnappschuß bei Moncrieff ab - alles klar, meinte er -, und gab ihn ihr wieder.

»Es war nicht so gemeint«, sagte sie verlegen, in einem kurzen Rückfall in die Sechzehn. »Ich meine, ich wollte Sie nicht kränken.«

»Aber keine Verführungsszenen. Das ist schon in Ordnung.«

Sie wurde rot und ging, vernünftig und verwirrt, zurück zu ihren Eltern, und ich dachte bei mir, das Bett wäre gar keine so schlechte Idee gewesen.

Dummerweise verschlang das Filmemachen sehr viel Zeit. In der dreimonatigen Vorbereitungsphase plante ich jeweils fieberhaft das Projekt, suchte Drehorte aus, entwickelte ein Gesamtkonzept - die Vision -, arbeitete das Skript um, fühlte mich in die Figuren ein. Während der Produktion, wie jetzt, arbeitete ich sieben Tage in der Woche und schlief wenig. Die Nachproduktion - das Aufnehmen der Musik und der Toneffekte, das wirkungsvolle

Zusammenschneiden von Bildern und Szenen zu einer gut erzählten Geschichte, die Debatten und Besprechungen und Voraufführungen - all das hatte oft in weiteren drei Monaten über die Bühne zu gehen. Und war ein Film dann fertig, saß mir der nächste schon im Nacken. In den letzten knapp zwei Jahren hatte ich drei Filme abgedreht. Der neue hier hatte bei weitem das größte Budget. Ich liebte die Arbeit, ich hatte das Glück, gefragt zu sein, ich empfand nicht das geringste Bedauern - nur kam ich anscheinend nicht dazu, mir eine Frau zu suchen.

Eines Tages konnte es mich ja immer noch treffen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Bis jetzt allerdings hatte der Himmel nur vereinzelte Schauer herabgeschickt, und Lucy sah nach fortdauernder Trockenheit aus.

Irgend jemand stieß unverhofft gegen meinen Ellbogen. Ich fuhr pochenden Herzens herum und blickte Moncrieff direkt in die Augen.

»Bißchen schreckhaft!« meinte er und sah zu, wie ich um Haltung rang. »Was haben Sie denn erwartet? Einen Tiger?«