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»Mit Krallen«, gab ich zu. Ich bekam mich wieder in die Gewalt, und wir erörterten die nächste Szene.

»Alles in Ordnung?« fragte er verwirrt. »Fehlt Ihnen

was?«

Mir fehlte nichts, ich hatte einfach Angst. Ich sagte: »Mir geht’s gut. Aber, ehm. irgendein Spinner will den Film verhindern, und wenn Sie sehen sollten, wie in meiner Nähe jemand einen stumpfen Gegenstand schwingt, schreien Sie bitte.«

Er zog die Brauen hoch. »Stellt sich O’Hara deshalb hinter Sie, wo er nur kann?«

»Wahrscheinlich.«

Er dachte darüber nach. »Böses Ding, das Messer auf dem Trainingsgelände.«

Eine Pause. »Hätte Ivan um ein Haar erwischt.«

»Tun Sie mir den Gefallen und erinnern Sie mich nicht dran.«

»Ich soll nur die Augen offenhalten?«

»Genau.«

Wir beleuchteten und filmten ein paarmal Nashs Mienenspiel während des Rennens. Der Zuschauerblock hinter ihm, vorwiegend Komparsen, aber auch Einheimische, dazu Mrs. Wells, Lucy, Ridley und Nashs Leibwache, gehorchten Ed aufs Wort, schauten bei jeder Einstellung in die von ihm verlangte Richtung, riefen Oh und Ah, gebärdeten sich erst unruhig, dann aufgeregt und feuerten schließlich wild die Pferde an, deren Endkampf sie nur noch in der Erinnerung sahen.

Alle Gesichter bis auf das von Nash würden dank Moncrieffs Blendenzauberei ein wenig unscharf sein. Eins seiner Lieblingsobjektive mußte dazu eigens auf das Licht in den Augen des Schauspielers eingestellt werden. Der übrige Kopf, Hals, Haare und so weiter verschwammen dann schon leicht.

»Das Sonnenlicht geht weg«, sagte Moncrieff schließlich, wenn auch die Veränderung einem anderen Auge als dem seinen kaum aufgefallen wäre. »Wir sollten Schluß machen für heute.«

Ed dankte über Megaphon den Bürgern von Huntingdon für ihre Mitarbeit und lud sie ein, am nächsten Tag wiederzukommen. Sie klatschten. Zufriedene Gesichter ringsum. Nash gab, von den Leibwachen flankiert, Autogramme.

Auch Lucy stand die Freude über den gelungenen Tag im Gesicht, und sie kam zu mir, als ich mit O’Hara den

Drehplan für den nächsten Tag besprach, und reichte mir eine flache, etwa dreißig mal zehn Zentimeter große weiße Schachtel, die mit einem Gummi verschlossen war.

»Was ist das?« fragte ich.

»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ein Junge bat mich, es Ihnen zu geben.«

»Was für ein Junge?«

»Na, irgendeiner. Ein Geschenk, sagte er. Wollen Sie’s nicht aufmachen?«

O’Hara nahm es mir aus den Händen, streifte das Gummiband ab und öffnete die Schachtel vorsichtig. Im Innern lag auf zerknülltem weißem Büropapier ein Messer.

Ich schluckte. Das Messer hatte ein Heft aus dunklem poliertem Holz, das ringsum gerillt war, damit es gut in der Hand lag, einen schlichten schwarzen Fingerschutz und eine schmale, fast fünfzehn Zentimeter lange schwarze Klinge; insgesamt sah es gut und brauchbar aus.

»Mensch«, sagte Lucy. »Ist das schön.«

O’Hara schloß die Schachtel, ohne das Messer anzurühren, schlang wieder den Gummi drum und steckte sie in seine Jackentasche. Ich dachte bei mir, daß ein Messer in einer Schachtel immerhin besser war als ein Messer im Leib.

»Wir sollten alle Jungen festhalten«, sagte O’Hara, doch er sah ebensogut wie ich, daß es dafür zu spät war. Die Hälfte des Publikums war schon durch die Ausgänge verschwunden.

»Stimmt was nicht?« fragte Lucy stirnrunzelnd, da sie unsere Bestürzung spürte.

»Ach was«, ich lächelte in ihre blauen Augen. »Sie hatten hoffentlich einen schönen Tag.«

»Wunderschön!«

Ich küßte sie auf die Wange. In der Öffentlichkeit ließ sie es zu. Sie sagte: »Ich muß los, Papa wartet«, und verabschiedete sich unbekümmert mit einem Winken.

O’Hara nahm die weiße Schachtel aus der Tasche, öffnete sie vorsichtig noch einmal und zog ein längsgefaltetes, ebenfalls weißes Blatt Papier aus dem Deckel. Er gab es mir, und ich las, was daraufstand.

Es war wieder ein Computerausdruck: »Morgen.«

O’Hara und ich gingen gemeinsam hinaus zu den Wagen, und ich erzählte ihm von Dorothea und ihren Verletzungen. Noch einmal beschrieb ich, wie vor zwei Tagen schon, das Messer, das ich auf der Heide gefunden hatte. Er blieb abrupt stehen. »Wollen Sie damit sagen«, fragte er, »daß Ihre Bekannte mit eben dem Messer angegriffen worden ist? Dem von der Heide?«

»Ich weiß es nicht.«

»Aber«, wandte er nachdenklich ein, »was für eine Verbindung sollte zwischen ihr und unserem Film bestehen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Es kann nicht dasselbe Messer gewesen sein.«

Besorgt, aber von seiner Ansicht überzeugt, ging er weiter.

»Die einzige Verbindung«, sagte ich, mit ihm gehend, »besteht darin, daß vor langer Zeit Dorotheas Bruder Valentine die Rennpferde von Jackson Wells beschlagen hat.«

»Viel zu weit hergeholt.«

»Und Valentine sagte, er habe mal einem gewissen Derry ein Messer gegeben.«

»Verdammt, Thomas, Sie reden wirres Zeug.« »Ja. Wie Valentine damals.«

»Wieso Valentine?«

»Er hat auch wirr geredet«, sagte ich. »Im Fieber.«

Ich habe den Jungen aus Cornwall umgebracht...

Zu viele Messer.

»Sie werden sehen«, sagte O’Hara energisch, »Sie werden morgen nicht erstochen.«

»Gut.«

Er lachte. »Sie sind ein Esel, Thomas.«

Er wollte mich in seinem Wagen mitnehmen, aber ich hatte Robbie Gill angerufen und erfahren, daß ich Dorothea kurz besuchen könnte, wenn ich vor sieben hinkam.

Im Krankenhaus hatte der unsägliche Paul sich in einem Lehnstuhl vor dem Einzelzimmer postiert, in das Dorothea verlegt worden war. Er stand schwerfällig auf, als er mich erblickte, machte zu meiner Überraschung aber nicht die Einwendungen, die ich erwartet hatte.

»Meine Mutter möchte Sie sehen«, sagte er mißbilligend. »Ich habe ihr gesagt, daß ich Sie hier nicht haben möchte, aber sie weint immer nur.«

Mit Paul, dachte ich, war eine kaum merkliche Veränderung vorgegangen. Seine übergroße innere Gewißheit schien erschüttert zu sein. Er trat zwar immer noch großspurig auf, aber es war nur noch halb soviel Dampf dahinter.

»Sie dürfen sie nicht ermüden«, mahnte er. »Fünf Minuten, damit hat sich’s.«

Paul öffnete Dorotheas Tür und kam zielstrebig mit hinein.

Dorothea lag auf einem hohen Bett, ihr Kopf ruhte auf einem Berg von Kissen, ihr altes Gesicht war fast so farblos wie das Bettzeug, bis auf die abscheulichen dunklen Prellungen und die fadendünnen, sauber vernähten Stichwunden. Sie hing an Schläuchen, einer Flasche, die ihr tropfenweise Blut zuführte, einer anderen mit einer klaren Flüssigkeit und einem von ihr selbst zu bedienenden System, mit dem sie bei Bedarf ein Schmerzmittel in ihre Blutbahn leiten konnte. Es sah nicht so aus, als wäre ihr Überleben schon gesichert. Ihre Augen waren geschlossen, ihr weißer Leib bewegungslos, selbst das Heben und Senken ihrer Brust schien zu schwach, um sich auf die Bettdecke zu übertragen.

»Dorothea«, sagte ich leise. »Sie haben Besuch, hier ist Thomas.«

Sie lächelte matt.

Pauls laute Stimme störte ihren Frieden. »Ich habe ihm gesagt, daß er fünf Minuten hat, Mutter. Und ich bleibe natürlich bei euch.«

Dorothea murmelte, sie wolle mich allein sprechen.

»Sei nicht albern, Mutter.«

Zwei Tränen erschienen unter ihren Augenlidern und zitterten in den Wimpern.

»Ach du lieber Gott«, sagte Paul schroff. »So geht das die ganze Zeit.«

Er drehte sich auf dem Absatz um und kam ihrem Wunsch nach, schien jedoch über seinen Ausschluß gekränkt zu sein. »Fünf Minuten«, war sein gewichtiges letztes Wort.

»Paul ist weg«, sagte ich, als die Tür sich hinter ihm schloß. »Wie geht es Ihnen?«