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»Müde bin ich, Thomas.«

Ihre Stimme war leise, aber klar und deutlich. »Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin.« »Nein, das habe ich gehört. Robbie Gill hat es mir gesagt.«

»Robbie Gill ist sehr freundlich.«

»Ja.«

»Geben Sie mir Ihre Hand, Thomas.«

Ich zog den Besucherstuhl heran und tat, was sie verlangte, wobei mir lebhaft Valentines um meinen Unterarm gekrallte Hand einfiel. Dorothea hatte jedoch keine Sünden zu beichten.

»Paul hat mir erzählt«, sagte sie, »daß jemand, der hinter etwas her war, mein Haus verwüstet hat.«

»Leider ja. Ich habe es gesehen.«

»Was haben die gesucht?«

»Wissen Sie das nicht?«

»Nein, Thomas. Die Polizei hat mich schon gefragt. Es muß etwas von Valentine gewesen sein. Manchmal denke ich, ich weiß es. Manchmal meine ich, ich höre ihn schreien, daß ich es ihm sagen soll. Dann geht alles wieder weg.«

»Wer hat geschrien?«

Sie sagte unsicher: »Paul hat geschrien.«

»Aber nein.«

»Er schreit schon, wissen Sie. Er meint’s gut. Er ist mein Sohn, mein süßes Baby.«

Tränen der Schwäche und des Bedauerns liefen ihr an den Wangen hinunter. »Warum werden süße kleine Babys groß.?«

Ihre Frage endete in einem leisen Schluchzen, unbeantwortbar. »Er will sich um mich kümmern.«

Ich fragte: »Hat Robbie Gill mit Ihnen über die Privatklinik gesprochen?« »Wirklich schön. Da würde ich gerne hingehen. Aber Paul sagt.«

Sie schwieg und wedelte erschöpft mit einer weißen Hand. »Ich habe nicht die Kraft zu streiten.«

»Robbie Gill kann Sie verlegen«, drängte ich. »In ein paar Tagen, wenn Sie mehr bei Kräften sind.«

»Paul sagt.«

Sie schwieg; die Anstrengung, sich ihm entgegenzustellen, war zuviel für sie.

»Ruhen Sie sich aus«, sagte ich. »Machen Sie sich keine Gedanken. Schlafen Sie, lassen Sie sich treiben und tanken Sie Kraft.«

»Sie sind sehr lieb, Thomas.«

Sie lag eine Weile still, dann sagte sie: »Ich weiß bestimmt, was der gesucht hat, aber ich komme nicht drauf.«

»Was Paul gesucht hat?«

»Nein, Thomas. Nicht Paul.«

Sie runzelte die Stirn. »Ich bringe alles durcheinander.«

Nach einem neuerlichen Schweigen fragte sie: »Wie viele Messer hatte ich?«

»Wie viele.«

»Die Polizei hat mich das gefragt. Wie viele Messer in der Küche seien. Ich kann mich nicht erinnern.«

»Kein Mensch weiß, wie viele Messer er in der Küche hat.«

»Nein. Sie sagten, es seien keine Messer mit Blut daran im Haus gewesen.«

»Ach so, ja.«

»Wenn ich heimkomme, sehe ich vielleicht, was für ein Messer fehlt.«

»Mag sein, ja. Möchten Sie, daß ich Ihr Haus ein wenig in Ordnung bringe?« »Das kann ich doch nicht verlangen.«

»Ich tu’s gern.«

»Paul wollte es machen. Er fragt mich andauernd. Er schimpft mit mir, aber ich weiß nicht, wer den Schlüssel hat. Zu dumm, was? Ich kann nicht nach Hause gehen, weil ich keinen Schlüssel habe.«

»Den Schlüssel finde ich schon«, sagte ich. »Möchten Sie von dort was haben?«

»Nein, Thomas. Ich möchte nur wieder daheim bei Valentine sein.«

Die Tränen kamen wieder. »Valentine ist tot.«

Ich streichelte ihre weiche Hand.

»Es war ein Fotoalbum«, sagte sie plötzlich und schlug die Augen auf.

»Was denn?«

»Was sie gesucht haben.«

Sie sah mich bekümmert an, mit hellblauen Schatten um die Augen.

»Was für ein Fotoalbum?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe keins, nur ein paar alte Schnappschüsse in einer Schachtel. Bilder von Paul, als er klein war. Ich hatte nie einen Fotoapparat, aber Freunde haben mir Abzüge geschenkt.«

»Wo ist die Schachtel?«

»In meinem Schlafzimmer. Aber es ist kein Album. Deshalb habe ich erst nicht daran gedacht. Es ist so verwirrend, alles.«

»Mhm. Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf. Und Robbie Gill wird sauer, wenn ich Sie ermüde, von Paul ganz zu schweigen.«

Ein Lächeln glomm in den alten Augen auf. »Ich kann doch ruhig müde sein. Hab ja sonst nichts zu tun.«

Ich lachte. »Es ist schon ein Jammer«, sagte ich, »daß Paul nun doch Valentines Bücher abgeschleppt hat. Er bestreitet es, aber er muß sie weggeholt haben, denn sie sind nicht mehr im Haus.«

Dorothea runzelte die Stirn. »Nein, Thomas, Paul hat sie nicht geholt.«

»Nein?«

Ich war skeptisch. »Hat er jemanden beauftragt?«

»Nein, Thomas.«

Sie legte die Stirn noch mehr in Falten. »Valentine wollte ja, daß Sie seine Bücher bekommen, und ich weiß, daß er in die Luft gegangen wäre, wenn Paul sie an sich gebracht hätte, denn er mochte Paul nicht besonders, er hat sich nur meinetwegen mit ihm abgefunden, leider.«

»Und. wer hat sie nun?«

»Bill.«

»Wer?«

»Bill Robinson, Thomas. Bei ihm sind sie sicher.«

»Aber Dorothea, wer ist Bill Robinson, und wo und weshalb hat er die Bücher?«

Sie lächelte schuldbewußt. »Na ja, ich hatte Angst, Paul könnte wiederkommen und versuchen, sie mir abzuschwatzen. Er läßt mir manchmal keine Ruhe, bis er kriegt, was er will, Thomas, aber schließlich ist er mein Sohn. Deshalb habe ich Bill Robinson gesagt, er soll sie alle abholen und in seine Werkstatt bringen, und weil er mich gut leiden kann, hat er sie gleich geholt, und bei ihm sind sie auch wirklich gut aufgehoben, Thomas, er ist ein netter junger Mann, er repariert Motorräder.«

Kapitel 11

Ich ging nach Mitternacht zu Bett und schlief ein mit dem Gedanken, daß ich zwar heute nicht gestorben war, daß es aber jetzt schon »morgen« war.

Nash und ich hatten gemütlich zusammen zu Abend gegessen und seine kommenden Szenen im Führring besprochen, wo sein Jockey Blau und der von Cibber die grünweißen Streifen tragen würde.

Nach der abendlichen Vorbereitung auf die Untersuchungsszene im Jockey Club hatte Nash mir, ohne es direkt auszusprechen, zu verstehen gegeben, daß er nach Möglichkeit lieber mit mir unter vier Augen probte und mit klaren Vorstellungen von seinem Auftritt in die Aufnahme ging, statt auf dem Set noch viel hin und her zu fragen. Ich wußte nicht, ob er mit jedem Regisseur so arbeitete, aber bei uns funktionierte es ausgezeichnet, was seine Einstimmung auf die jeweilige Aufnahme betraf. Daß wir Zeit sparten und dem Drehplan voraus waren, lag also hauptsächlich daran.

Wie üblich hatte ich die beiden letzten Stunden des Abends mit Moncrieff verbracht und den Licht- und Positionsplan für die Kameras am Führring mit ihm erarbeitet, auch für die, die den Routineablauf vor dem Rennen einfingen: das Satteln und Herausführen der Pferde, das Vorführen im Ring, das Abnehmen der Decke, das Aufsitzen.

Ein großes Kameraaufgebot war an sich zwar nicht billig, sparte aber ebenfalls Zeit: Aus mehreren längeren Einstellungen konnte ich später die Stücke und Schnipsel zusammenschneiden, die einen prägnanten Gesamteindruck von der Spannung vor dem Rennen ergaben. Durch Schnallen gleitende Lederriemen, ein mit Öl gewienerter Huf, groß aufgenommene Muskelbewegungen unter glänzendem Fell. Ein zwei Sekunden langes anschauliches Bild konnte schon den Eindruck von Eile und Entschlossenheit vermitteln, aber man mußte vielleicht zehn ganze Minuten filmen, um ihn zu bekommen.

Gute Filmarbeit hatte viel mit Timing zu tun. Es würde keine raschen Schnitte bei den Traum- und PhantasieSequenzen geben, nur eine langsam fortschreitende Einsicht in ihre Bedeutung.

Nun. jedenfalls hoffte ich das.

Während mein schweigsamer junger Fahrer mich am Morgen nach Huntingdon fuhr, dachte ich an Dorotheas Manöver zur Rettung von Valentines Büchern und an die neue Unsicherheit hinter Pauls Großtuerei. Er hatte nicht versucht, meinen Besuch bei der Kranken abzukürzen: Aus den zugestandenen fünf Minuten waren zehn geworden, ehe ich selbst fand, sie habe genug geredet.