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Paul hatte mich von ihrem Zimmer zum Ausgang begleitet und dabei so schwer und tief geatmet, als ob er etwas loswerden wollte, sich aber doch nicht ganz dazu durchringen könnte. Ich gab ihm Zeit und Gelegenheit, doch er war im Gegensatz zu seinem Onkel nicht verzweifelt genug, um zu beichten.

Paul habe geschrien, hatte Dorothea gesagt. Um ihretwillen hoffte ich, daß sie da etwas durcheinanderbrachte.

In Huntingdon waren die Tore der Rennbahn vor acht schon weit geöffnet, um die Einheimischen einzulassen.

Als Gratisfrühstück für alle gab es heiße Würstchen nach Belieben an einem Imbißwagen der Filmküche. Das Wetter war kalt, aber freundlich. Ringsum fröhliche Gesichter. Ich hätte mich nicht zu sorgen brauchen, daß die Einheimischen aus Langeweile nicht mehr wiederkämen: Die Mundpropaganda hatte für uns gearbeitet, und wir bekamen sogar noch mehr Publikum als am Tag vorher.

Die Werbeabteilung der Filmgesellschaft hatte als Dankeschön zum Mitnehmen für die einheimischen Helfer fünfhundert T-Shirts angeliefert - (zu meiner Belustigung trugen sie den Slogan UNSICHERE ZEITEN in großen Blockbuchstaben auf der Brust, aber wenn man das Kleingedruckte mitlas, stand da UNSICHERE ZEITEN - mir nach!) - und ich fragte mich schon, ob sie reichen würden.

Der Rennverein von Huntingdon, großzügig und hilfsbereit von Anfang an, hatte uns uneingeschränkten Zugang zu den Örtlichkeiten gewährt. Da ich dieses Entgegenkommen auf keinen Fall mißbrauchen wollte, hatte ich O’Hara gedrängt, ein Heer von Straßenfegern zur Beseitigung des von uns hinterlassenen Mülls anzuheuern.

»Die haben doch sicher ihr eigenes Reinigungspersonal«, hatte er eingewandt. »Wir bezahlen sie ja schließlich.«

»Wohlwollen ist unbezahlbar.«

Er hatte dem Produktionsleiter mitgeteilt, daß die Stätte blitzsauber zu hinterlassen sei.

Der Waageraum und die Jockeystube waren bereits aufgeschlossen, als ich auf der Bahn ankam, und die Garderobenleute legten neben den Reithosen und Stiefeln schon die leuchtenden Farben für die Jockeys parat.

Wir hatten ihre ganze Ausrüstung, nicht nur die Dresse, eigens für den Film anfertigen lassen. Mit Ausnahme der gemieteten Rennsättel war alles Eigentum der Filmfirma.

Insgesamt waren es zwanzig Garnituren, da wir Reserven eingeplant und zum Zeitpunkt der Bestellung nicht gewußt hatten, wie viele Teilnehmer wir schließlich zusammenbekommen würden. In den Umkleideräumen hatte sich noch kein Jockey eingefunden - sie waren für neun Uhr bestellt -, und ich fand ohne weiteres, was ich suchte, und schloß mich damit in der Toilette ein.

Ich hatte mir zwei von den Sicherheitswesten geholt, wie Jockeys sie tragen, um bei einem Sturz einigermaßen gegen Hufschläge geschützt zu sein. Ausgezogen bis auf Hemd und Slip, legte ich die erste Weste an und zog ihren Reißverschluß zu.

Im wesentlichen ist die Sicherheitsweste ein leichtes blaues Baumwollding, ausgepolstert mit flachen, etwa zehn mal fünfzehn Zentimeter großen, anderthalb Zentimeter starken Polystyrolscheiben. Die festgenähten Kunststoffscheiben bedecken den Oberkörper vom Hals bis unter die Taille, ziehen sich im Rücken aber noch weiter hinab, so daß auch das Steißbein geschützt ist. Von dort wird ein breiter weicher Gurt zwischen den Beinen hindurchgeführt und vorn an der Weste befestigt, damit sie nicht verrutscht. Zusatzteile lassen sich wie Epauletten über die Schultern und Oberarme klappen und werden mit Klettband am Arm fixiert.

Obwohl ich mir die größte Größe herausgegriffen hatte, saß die Weste wie angegossen. Als ich die zweite darüberzog, ging der Reißverschluß über meiner Brust nicht zu; ein Problem, das ich halbwegs dadurch löste, daß ich meine Hose über beide Westen und meinen Gürtel eng um die Taille zog, um alles zusammenzuhalten. Zum Schluß kam ich mir vor wie ein schulterlastiger Footballspieler, aber ich zog noch meinen Pullover an, schloß meine blaue Windjacke über dem Ganzen und sah im Spiegel nicht wesentlich dicker aus.

Ich hatte keine Ahnung, wie sich die trittdämpfende Weste der Jockeys gegen ein Messer behaupten würde, aber psychologisch waren drei Zentimeter Polystyrol und vier Lagen robuster Baumwollstoff besser als nichts, und ich konnte mir nicht leisten, mich den ganzen anstrengenden Tag hindurch über etwas zu sorgen, das wahrscheinlich nicht passierte.

Mit Vergnügen war ich ohne Sicherheitsweste in vollem Tempo um die Bahn geritten und hatte meinen Hals riskiert. Mit Vergnügen hätte ich es wieder getan. Seltsam, die verschiedenen Gesichter der Furcht.

Draußen hatte Moncrieff seine Kamera bereits auf dem Dolly montiert, um die erste Szene des Tages aufzunehmen, den Auszug der Jockeys aus dem Waageraum und ihren Gang zum Führring vor dem Rennen. Auf halbem Weg sollte ein Kind-Komparse angesaust kommen und dem Jockeymimen ein Autogrammheft hinhalten. Ed, der eine zweite Kamera dirigierte, würde die freundliche Reaktion des Jockeys in Großaufnahme filmen, sein Gesicht, seinen blauen Dreß und seine Nettigkeit herausarbeiten, während die anderen Jockeys hinter ihm weiter durchs Bild gingen.

Wir filmten die Sequenz dann zweimal, wenn sie auch dank der Proben gleich beim erstenmal gelang. Auf Nummer Sicher zu gehen war für mein Empfinden aber nie verkehrt.

Zwischen den beiden Einstellungen unterhielt ich mich mit den im Waageraum wartenden Jockeys. Ich dankte ihnen für das glänzende Rennen von tags zuvor, und sie spielten es scherzend herunter. Von ihrer Gereiztheit war nichts geblieben. Sie sagten Thomas zu mir. Sie sagten, einige von ihnen würden am kommenden Montag wirklich in Huntingdon starten, aber das würde die alte Tretmühle sein, ohne das Vergnügen des So-Tuns-als-ob. Wenn ich noch mal einen Rennsportfilm drehte, meinten sie mit typischer Ironie, würden sie ihr Heil in der Flucht suchen.

Als sie für die Wiederholung der Szene zum Führring hinausgerufen wurden, ging ich vor und sah ihnen neben Moncrieff stehend zu; als er dann die beiden kopierbaren Aufnahmen im Kasten hatte, zog Moncrieff mit Kamera und Crew in den Führring selbst, wo die Kamera auf einer Drehscheibe in einem Winkel von fast 360 Grad die herumgeführten Pferde aufnehmen konnte. Ich stand neben ihm in der Ringmitte und beaufsichtigte den Vorgang.

Wie immer nahm das Einrichten die meiste Zeit in Anspruch: Wo kamen die Komparsen hin, die die kleinen Besitzer-Trainer-Gruppen spielten; wo die Komparsen, die Funktionäre und Vertreter der Rennleitung darstellten; wie sollten die Einheimischen um den Ring verteilt werden; welcher Jockey - das mußte man üben - ging zu welchem Besitzer; wann kamen die beiden unversöhnlichen Rivalen - der Jockeymime in Blau, der grünweiß Gestreifte - zusammen in den Ring, und wo genau trennten sie sich, um zu den beiden Gruppen um Nash und Cibber zu stoßen?

Die beiden Leibwächter Nashs, als Besitzer verkleidet, hielten ihre Ferngläser, als hätten sie lieber Pistolen in der Hand. Die dem Anschein nach ältere Dame, die Nashs Gruppe vervollständigte, war eine achtundzwanzigjährige Meisterin diverser Kampfkünste mit den Instinkten einer Löwin.

Zu Cibbers Gruppe gehörte Silva, gekleidet, wie es der Frau eines Jockey-Club-Mitglieds zukam, in einen gutgeschnittenen Wollmantel, kniehohe Stiefel und Pelzmütze; warm und hübsch im kalten Wind. Cibbers »Trainer« allerdings war Judolehrer. O’Hara hatte diese Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Mein eigener Schatten, den er am Abend vorher durchgesetzt hatte, stand stumpfsinnigen

Angesichts neben mir im Ring. Angeblich war er Träger des schwarzen Gürtels, aber ich hatte mehr Vertrauen zum Polystyrol.

Später am Tag würden wir Großaufnahmen von einem vor Wut kochenden Cibber machen, der die unerträgliche Nähe Nashs, des Liebhabers seiner Frau, hinnehmen mußte; Großaufnahmen von Silva, wie sie Nash zärtlich anblickte und den armen Cibber noch mehr reizte; Großaufnahmen von Nash, wie der die Form wahrte und Cibber mit Gleichmut, Silva mit Zurückhaltung begegnete; kurze, tragende Nahaufnahmen, die auszuleuchten eine Ewigkeit dauern würde.