Paul erschien im Kücheneingang: ein verärgerter, ein argwöhnischer Paul, dessen Augen sich mit wütendem Erstaunen auf mein Gesicht richteten. Die Unsicherheit unseres letzten Zusammentreffens war verschwunden. Die großen Töne waren wieder da.
»Was haben Sie denn hier zu suchen?« fragte er. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen wegbleiben, Sie sind hier nicht erwünscht.«
»Ich habe Dorothea versprochen, ein wenig aufzuräumen.«
»Ich bringe das Haus in Ordnung. Ich will Sie hier nicht haben. Und was Sie betrifft, Dr. Gill, Ihre Dienste werden nicht benötigt. Raus hier, alle miteinander.«
Es war O’Haras erste Begegnung mit Paul Pannier; immer eine lehrreiche Erfahrung.
»Wo haben Sie überhaupt den Schlüssel her?« fragte er gekränkt. »Oder sind Sie eingebrochen?«
Er sah O’Hara zum erstenmal direkt an und fragte: »Wer zum Teufel sind Sie denn? Ich will, daß Sie alle hier sofort verschwinden.«
Ich sagte mit unbeteiligter Stimme: »Das Haus gehört Ihrer Mutter, und ich bin mit ihrer Erlaubnis hier.«
Paul hörte nicht zu. Sein Blick war auf den Tisch gefallen, und er starrte auf das Messer.
Es war kaum Blut daran, da es beim Herausziehen durch die verschiedenen Lagen von Polystyrol und Stoff abgewischt worden war; nein, offenbar war es das Messer selbst, nicht seine Verwendung, was Paul vorübergehend die Sprache verschlug.
Er hob den Blick, um mir ins Gesicht zu schauen, und sein Schock war nicht zu übersehen. Seine Augen waren so dunkel, wie sein dickliches Gesicht blaß war. Sein Mund stand offen. Er sagte kein einziges Wort, sondern machte auf dem Absatz kehrt und stampfte aus der Küche, durch den Flur und zur Haustür hinaus, ohne sie hinter sich zu schließen.
»Wer war denn das?« fragte O’Hara. »Und was war mit ihm?«
»Seine Mutter«, erklärte Robbie, »ist vorigen Samstag hier mit einem Messer übel zugerichtet worden. Vielleicht denkt er, wir haben irgendwie die Waffe gefunden.«
»Und, haben Sie?«
O’Hara wandte sich an mich. »Was wollten Sie mir gestern noch erzählen? Das ist aber doch nicht das Messer, das Sie auf der Heide gefunden haben, oder?«
»Nein.«
Er runzelte die Stirn. »Ich verstehe überhaupt nichts mehr.«
Da ging es ihm wie mir; aber irgendwo mußte es eine Erklärung geben. Nichts geschah ohne Grund.
Ich fragte Robbie Gill, während er seine Sachen in die Tasche räumte: »Kennen Sie einen Bill Robinson, der Motorräder repariert?«
»Geht’s Ihnen auch bestimmt gut?«
»Nicht hundertprozentig. Kennen Sie ihn?«
»Bill Robinson, Motorradmechaniker? Nein.«
»Aber Sie kennen die Stadt. Wer wüßte so was?« »Ist Ihnen das wichtig?«
»Er könnte im Besitz dessen sein«, erklärte ich kurz, »weshalb man die Laube hier so auf den Kopf gestellt hat.«
»Und das ist alles, was Sie mir sagen wollen?«
Ich nickte.
Robbie griff sich das Telefon, schaute in ein Notizbuch und wählte eine Nummer. Er wurde Zug um Zug an vier weitere Nummern verwiesen, aber endlich schob er den Apparat befriedigt weg und teilte mir mit: »Bill Robinson arbeitet in Wrigley’s Werkstatt und wohnt irgendwo in der Exning Road. In seiner Freizeit bastelt er an Harley Davidsons herum.«
»Großartig«, sagte ich.
»Aber«, wandte O’Hara ein, »was hat das alles mit unserem Film zu tun?«
»Messer«, sagte ich. »Und Valentine Clark hat Jackson Wells gekannt.«
»Viel Glück beim Sieben«, meinte Robbie.
Der Häuptling erwies sich als ein verbiesterter Geschäftsmann in den Vierzigern, der noch nicht einmal einen Blick auf die sich mehrenden Rollen kopierten Films werfen wollte. Er hielt nichts von Spielfilmen, sagte er. Noch weniger von Filmschauspielern. Seiner Meinung nach gehörten Regisseure finanziell an die Kette, gelegt. Spekulationskapital mit voll gedecktem Risiko sei sein Fach, sagte er.
Das falsche Fach, dachte ich.
Er hatte im voraus eine Abrechnung über jeden vom ersten Drehtag an ausgegebenen oder verplanten Cent angefordert, so daß O’Haras Produktionsabteilung den ganzen Tag damit verbrachte, die Kosten für beispielsweise Le-bensmittel, Transport, Stallangestelltengehälter, Lippenstifte und Glühlampen einzeln aufzuführen.
Wir saßen an dem Eßtisch in O’Haras Suite, nachdem ich in meiner vorbeigeschaut hatte, um die Windjacke gegen Hemd und Pullover einzutauschen. Robbie hatte nur ein Pflaster auf die versorgte Wunde geklebt. Mir war immer noch etwas schwummrig, aber anscheinend merkte man es mir nicht an. Ich konzentrierte mich darauf, Ziggys Fahrgeld und Spesen für Norwegen zu rechtfertigen, während ich Mineralwasser trank und mich nach Brandy sehnte.
»Wildpferde!« fuhr der Häuptling fast empört O’Hara an. »Sie haben doch wohl nicht zugelassen, daß eigens aus Norwegen Pferde herangeschafft werden. Die stehen nicht im Skript.«
»Sie kommen in der Phantasie der Erhängten vor«, erklärte O’Hara ohne Umschweife. »Ihr Traumleben ist nach Auffassung der Firma das Beste an der Handlung und muß filmisch umgesetzt werden. Fjordpferde sind werbewirksam und werden mehr Geld hereinbringen, als sie kosten.«
O’Haras Argument brachte den Häuptling zum Schweigen; er blickte zwar finster, schien aber einzusehen, daß sein Klasseproduzent ihm davonlaufen könnte, wenn er sich allzusehr gegen ihn stellte, und daß er damit die ganze Investition gefährdete. Jedenfalls rückte er von seiner aggressiven Haltung ab und genehmigte, fast ohne eine Miene zu verziehen, den Bonus für den siegreichen Jockey.
Nach Prüfung der Bücher wollte er über Howard sprechen.
Ich wollte nicht.
O’Hara auch nicht.
Da Howard glücklicherweise nicht im Hotel war, fiel das Gespräch flach. Ich empfahl mich mit Hinweis auf die allabendliche Besprechung mit Moncrieff, und der Häuptling sagte zum Abschied, es werde hoffentlich keine weiteren »Zwischenfälle« mehr geben, und kündigte an, er wolle am nächsten Morgen bei den Dreharbeiten zuschauen.
»Gern«, sagte O’Hara leichthin und kniff kaum die Augen zusammen. »Auf dem Programm stehen Dialoge und Nahaufnahmen und noch einige Gesamtaufnahmen von ein und ausgehenden Leuten am Waageraum auf der Rennbahn von Huntingdon. Allerdings keine Massenszenen, die sind schon im Kasten. Keine Jockeys, die sind auch durch. Die Pferde werden morgen nachmittag wieder hierhergebracht. Dank des guten Wetters und des guten Managements von Thomas werden wir mit den Rennbahnszenen einen Tag früher fertig.«
Der Häuptling sah aus, als hätte er auf eine Wespe gebissen. Im Hinausgehen überlegte ich, ob er sich eigentlich auch freuen konnte.
Die Sitzung mit Moncrieff erweiterte sich um Nash und Silva, die hinzukamen, um ihre Proben im kleinen Kreis fortzusetzen. Nash hatte sein Skript dabei. Silva war ungeschminkt und wirkte sehr feministisch. Ich fragte mich, wie sie und O’Hara wohl im Bett waren, eine Überlegung, die mich in der Arbeit kein bißchen voranbrachte, der aber nicht abzuhelfen war.
Wir gingen die Szenen durch. Moncrieff und Nash besprachen das Licht. Silva schob ihre göttliche Kinnlade vor, und zu ihrem Vergnügen schätzte Moncrieff ihre Gesichtsknochen im Hinblick auf Flächen und Schatten ab.
Ich trank hingebungsvoll Brandy mit Schmerztabletten: medizinisch vielleicht eine ungute Kombination, die aber jede Trübsal wegblies. Als die Gesellschaft sich auflöste, ging ich ins Bett und blieb halb sitzend noch viele Stunden wach, dachte mit pochenden Schläfen nach und nahm mir vor, mich in nächster Zeit konsequent mit dem Rücken zur Wand zu stellen.
O’Hara weckte mich aus einem unruhigen Schlaf, indem er um halb acht anrief. Höchste Zeit.
»Wie geht’s Ihnen?« fragte er.
»Miserabel.«
»Es regnet.«
»So?«
Ich gähnte. »Na fein.«
»Moncrieff hat den Wetterdienst angerufen. Heute nachmittag soll es trocken sein. Wir können uns heute morgen also erst mal die Huntingdonmuster ansehen, wenn der Wagen aus London kommt.«