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Die Nahaufnahmen mit Dialog zeigten Silva von ihrer bezauberndsten Seite. Ich lobte ihre Darstellung, nicht ihr Aussehen, und sie quittierte das mit einem kurzen Nicken. Alles in allem waren die zwei Tage Arbeit die Mühe wert gewesen.

An die Muster hatten die Leute vom Kopierwerk Moncrieffs eine dreißig Sekunden lange Aufnahme von Lucys Foto angehängt. Groß und deutlich erschienen die beiden Gesichter auf der Leinwand.

»Wer ist das?« fragte O’Hara verblüfft.

»Das Mädchen links«, sagte ich, »ist Yvonne. Besser gesagt, sie war Sonia Wells, die erhängte junge Frau. Die echte.«

»Himmel«, sagte O’Hara.

»Und wer ist der Mann?« fragte Nash.

»Er heißt, glaube ich, Pig.«

Ich erklärte, daß die Aufnahme Lucy gehörte. »Ich habe ihr versprochen, daß Yvonne Sonia nicht ähnlich sehen wird.«

Das Mädchen auf der Leinwand hatte lockiges hellbraunes Haar, keinen grünen Bürstenschnitt oder sonst etwas Abgehobenes. Wir würden Yvonne eine lange, glatte blonde Perücke aufsetzen und das Beste hoffen.

Die Leinwand wurde hell. Wir schalteten das Licht an, unterhielten uns über das Gesehene und gingen wie stets wieder an die Arbeit.

Später in Huntingdon legte ein Fotograf, den die Firma engagiert hatte, um die Dreharbeiten für die Werbeabteilung zu dokumentieren, O’Hara einen Satz Fotos im Format 20 mal 25 cm vor. Er und ich gingen damit in den Waageraum, setzten uns an einen Tisch und suchten minutenlang die Fotos mit der Lupe ab.

Wir sahen nichts, was uns weitergeholfen hätte. Da waren Fotos von Nash bei der Feierabend-Signierstunde. Ein Schnappschuß von Howard, wie er selbstgefällig sein Buch signierte. Silva als charmanter Filmstar. Greg beim Signieren von Rennprogrammen. Ein Foto von O’Hara und mir, Schulter an Schulter. Die Kamera war jeweils auf das Gesicht der zentralen Person eingestellt, die Leute ringsum waren erkennbar, aber nicht in allen Einzelheiten.

»Wir brauchen Vergrößerungen vom Publikum«, sagte O’Hara.

»Gestochen scharfe Bilder von Fury bringt uns das auch nicht.«

Mürrisch stimmte er zu, bestellte die Vergrößerungen aber trotzdem.

Es tauchten keine Messer mehr auf, weder in noch an irgend jemandem. Wir filmten die noch ausstehenden Szenen und schickten die Pferde auf die Heimreise. Wir überzeugten uns, daß der Platz in bester Ordnung war, dankten dem Rennverein Huntingdon für sein Entgegenkommen und waren kurz nach sechs wieder zurück in Newmarket.

Mein Anrufbeantworter blinkte unerbittlich im Salon: Konnte er überhaupt anders?

Robbie Gill wollte mich dringend sprechen.

Ich bekam seinen Auftragsdienst: Ab sieben sei er wieder zu erreichen.

Um die Zeit auszufüllen, öffnete ich ein paar von den Kartons mit Valentines Büchern, die jetzt einen ganzen Teil der Fußbodenfläche einnahmen, da ich extra angeordnet hatte, sie sollten nicht übereinandergestellt werden. Dabei hatte ich natürlich übersehen, daß auch beim Bük-ken die Brustmuskulatur beansprucht wird. So begann ich auf den Knien, mein Erbe zu inspizieren.

Es war zuviel. Nach den ersten drei Kisten, die einen Teil der gesammelten Biographien und Rennsportchroniken enthielten, die ich gewissenhaft Band für Band herausgenommen, nach eingelegten Papieren durchforstet und wieder zurückgestellt hatte, wurde mir klar, daß ich eine Bürokraft brauchte, einen Archivgehilfen mit einem Laptop-Computer.

Lucy, dachte ich. Wäre es ein Tagtraum, würde ich sie mir in die gute Stube zaubern wie Yvonne ihre Traumliebhaber. Lucy konnte mit einem Computer umgehen.

Spontan rief ich bei ihrem Vater zu Hause an und machte der Tochter ein Angebot.

»Sie sagten mir doch, daß Sie die Schule hinter sich haben und auf einen Handelskursus warten. Hätten Sie Lust auf eine zweiwöchige Übergangsbeschäftigung in New-market?«

Ich erklärte, um was es mir ging. »Ich will Sie nicht verführen«, sagte ich. »Sie können einen Anstandswauwau mitbringen, Sie können wohnen, wo Sie wollen, oder auch jeden Tag heim nach Oxfordshire fahren, wenn Ihnen das lieber ist. Ich bezahle Sie angemessen. Wenn Sie nicht wollen, suche ich mir jemanden von hier.«

Sie sagte ein wenig atemlos: »Würde ich Nash Rourke noch mal sehen?«

Schief lächelnd versprach ich es ihr. »Jeden Tag.«

»Er ist. er ist.«

»Ja«, räumte ich ein, »und er ist verheiratet.«

»Na und«, sagte sie empört. »Er ist einfach. nett.«

»Stimmt. Und der Job jetzt?«

»Ich könnte morgen anfangen.«

So lange konnten die Kisten warten, dachte ich.

Um sieben rief ich wieder bei Robbie Gill an und erreichte ihn sofort.

»Was möchten Sie zuerst hören?« fragte er, »die gute oder die Schreckensnachricht?«

»Die gute. Ich bin müde.«

»Das überrascht mich nicht. Die gute Nachricht ist eine Liste mit Namen von Messerexperten. Drei in London, zwei in Glasgow, vier in Sheffield und einer in Cambridge.« Er las sie alle vor und raubte mir das bißchen Atem, das noch über meine gebrochene Rippe ging.

Ich sagte schwach: »Bitte noch mal den aus Cambridge.« Er wiederholte den Namen deutlich: »Professor Meredit Derry, ehemals Dozent für mittelalterliche Geschichte am Trinity College; jetzt im Ruhestand.«

Derry.

Messer...

»Möchten Sie die Schreckensnachricht hören?« fragte Robbie.

»Muß ich?«

»Leider ja. Paul Pannier ist ermordet worden.«

Kapitel 13

Ermordet?«

»Leider ja.«

»Wo? Und, ehm. wie?«

Als wäre es unvermeidlich, teilte mir die schottische Stimme mit: »Er ist in Dorotheas Haus umgebracht worden. erstochen.«

Ich seufzte; ein Stöhnen. »Weiß es Dorothea schon?«

»Die Polizei hat eine Beamtin zum Krankenhaus geschickt.«

»Arme, arme Dorothea.«

Er sagte unverblümt: »Jetzt wird sie nicht mehr herumkommandiert.«

»Aber sie hat ihn geliebt«, wandte ich ein. »Sie hat das Baby geliebt, das er mal war. Ihren kleinen Sohn. Sie wird am Boden zerstört sein.«

»Gehen Sie zu ihr«, sagte Robbie. »Sie verstehen Sie ja offenbar. Mir war es immer ein Rätsel, daß sie ihn hat gewähren lassen.«

Sie brauchte jemanden, der sie in den Arm nahm, dachte ich. Der sie festhielt, wenn sie weinte. Ich sagte: »Was ist mit Janet Pauls Frau?«

»Die Polizei hat sie benachrichtigt. Sie wird jetzt auf dem Weg hierher sein.«

Ich sah auf meine Uhr. Fünf nach sieben. Ich hatte Schmerzen, hatte Hunger und mußte noch die morgigen Aufnahmen mit Nash und Moncrieff besprechen. Trotzdem.

»Robbie«, sagte ich, »gibt’ s von Professor Derry eine Anschrift?«

»Eine Telefonnummer.«

Er las sie vor. »Was ist mit Dorothea?«

»Ich fahre gleich zu ihr. So in vierzig Minuten könnte ich am Krankenhaus sein. Können Sie dafür sorgen, daß man mich zu ihr läßt?«

Er konnte und versprach mir, es zu tun. Wer den Mord an Paul entdeckt habe, fragte ich.

»Ich, verdammt noch mal. Heute nachmittag gegen drei bin ich hingefahren, weil ich gestern abend bei Dorothea in der Küche ein Notizbuch hatte liegenlassen. Ich wollte mir bei ihrer Freundin Betty wieder den Schlüssel holen, aber sie sagte, sie hätte den Schlüssel nicht mehr, sie habe ihn heute früh Paul gegeben. Also bin ich rüber zum Haus und hab geklingelt - das blöde leise Glöckchen -, und weil keiner kam, bin ich hintenrum zur Küchentür, und die war offen.«

Er schwieg. »Paul lag in der Diele, fast genau an der Stelle, wo Betty Dorothea gefunden hat. Nur daß kein Blut da war. Der Stich hat ihn sofort getötet, und er war seit Stunden tot. Er wurde offenbar mit einem von Dorotheas großen Küchenmessern umgebracht. Das Messer steckte noch, und es ist ihm an einem Punkt etwas oberhalb des rechten Ellbogens von hinten tief in die Brust getrieben worden.«