»Ja. Die Schale wird alt, aber nicht der Verstand, der darin wohnt. Die Leute sehen die Schale und nennen mich Opa. Oder Alterchen. Was halten Sie von >Alterchen<?«
»Die würde ich umbringen.«
»Genau.«
Er lachte wieder gackernd. Wir gingen mit dem Kaffee zu unseren Stühlen. »Das Messer, mit dem die Polizei hier war«, sagte er, »ist die moderne Replik eines Nahkampfmessers, mit dem die US-Soldaten in Frankreich im Ersten Weltkrieg ausgerüstet waren.«
»Wau«, sagte ich.
»Gebrauchen Sie doch diesen lächerlichen Ausdruck nicht.«
»Gut, Sir.«
»Die Polizisten wollten wissen, wieso ich es für eine Nachbildung und nicht für das Original hielt. Ich sagte ihnen, sie sollten ihre Augen öffnen. Das gefiel ihnen nicht.«
»Und, ehm. woher wußten Sie’s?«
Er kicherte. »In den Stahl war >Made in Taiwan< eingestanzt. Na los, sagen Sie’s.«
Ich sagte: »Taiwan hieß im Ersten Weltkrieg noch nicht Taiwan.«
»Richtig. Es hieß Formosa. Und zu dem Zeitpunkt war es noch kein Industrieland.«
Er setzte sich und kostete seinen pulversparend aufgegossenen Kaffee. »Die Polizei wollte wissen, wem das
Messer gehörte. Woher sollte ich das wissen? Ich sagte, in England sei es verboten, ein solches Messer öffentlich zu tragen, und ich fragte, wo sie es gefunden hätten.«
»Was haben sie gesagt?«
»Nichts. Sie sagten, das ginge mich nichts an. Opa.«
Ich erzählte ihm im Detail, wie die Polizei zu ihrer Beute gekommen war, und er warf mir ein spöttisches »Wau« hin.
So langsam gewöhnte ich mich an ihn und an sein krami-ges Zimmer, registrierte die wandhohen, randvollen, valentinemäßigen Bücherregale, den schwerbeladenen antiken Schreibtisch aus Nuß, die zu wenig Licht spendende Messinglampe mit dem grünen Metallschirm, die grünspanfar-benen Samtvorhänge, die an dicken braunen Ringen von einer Querstange herabfielen, den unpassend modernen Fernseher neben der abgenutzten alten Schreibmaschine, die blaß verwelkten Hortensien in der Cloisonnevase und die Messinguhr mit dem römischen Zifferblatt, die den Abend eines Lebens mit ihrem Ticken begleitete.
Reinlich und ordentlich, roch das Zimmer nach alten Büchern, altem Leder, altem Kaffee, altem Pfeifentabakrauch, altem Mann. Es war trotz des kühlen Abends nicht geheizt. Ein schmaler Elektroofen stand schwarz und kalt da. Der Professor trug einen Pullover, einen Schal, eine abgewetzte Tweedjacke mit Ellbogenflicken und Hausschuhe aus braun kariertem Wollstoff. Er hatte eine Zweistärkenbrille, und er war sorgfältig rasiert: Er mochte alt und knapp bei Kasse sein, aber er ließ sich nicht gehen.
Ein undeutliches, silbern gerahmtes Foto auf dem Schreibtisch zeigte ihn in jüngeren Jahren, wie er lächelnd neben einer ebenfalls lächelnden Dame stand.
«Meine Frau«, erklärte er, als er sah, wo ich hinschaute. »Sie ist gestorben.« »Das tut mir leid.«
»So geht’s nun mal«, sagte er. »Es ist lange her.«
Ich trank meinen fad schmeckenden Kaffee, und er brachte behutsam sein Honorar zur Sprache.
»Ich habe es nicht vergessen«, sagte ich, »aber ich wollte Sie noch nach einem anderen Messer fragen.«
»Was für einem?«
»Eigentlich sind es zwei.«
Ich schwieg. »Das eine hat einen Griff aus poliertem streifigem Holz, das mir nach Rosenholz aussieht. Es hat einen schwarzen Handschutz und eine zweieinhalb Zentimeter breite, zweischneidige, schwarze Klinge, die knapp fünfzehn Zentimeter lang ist.«
»Eine schwarze Klinge?«
Ich bejahte es. »Die Waffe ist robust, zweckmäßig und gut geformt. Können Sie sie nach diesen Angaben schon bestimmen?«
Er stellte seine leere Tasse behutsam auf dem Schreibtisch ab und ließ sich auch meine geben.
Er sagte: »Das bekannteste Messer mit schwarzer Klinge ist das britische Kommandomesser. In dunklen Nächten gut geeignet, um Wachtposten zu töten.«
Beinah hätte ich wieder »wau« gesagt, nicht so sehr wegen des Inhalts seiner Antwort, sondern weil er einfach akzeptierte, daß Töten der Zweck solcher Waffen war.
»Sie werden normalerweise mit einer oliv-khaki-farbenen Stoffscheide geliefert, die einen Schlitz für ein Koppel hat und mittels Schnüren am Bein befestigt werden kann.«
»Dasjenige, das ich gesehen habe, hatte keine Scheide«, sagte ich.
»Schade. War es echt oder eine Kopie?« »Ich weiß es nicht.«
»Wo haben Sie es gesehen?«
»Ich habe es in einer Schachtel verpackt geschenkt bekommen. Von wem, weiß ich nicht, aber ich weiß, wo es ist. Ich schaue mal nach >Made in Taiwan<.«
»Im Zweiten Weltkrieg wurden sie zu Tausenden hergestellt, aber jetzt sind das Sammelstücke. Und in Großbritannien darf man solche Messer seit dem Strafrechtsgesetz von 1988 weder kaufen noch verkaufen, per Inserat anpreisen oder auch nur verschenken. Eine Sammlung kann beschlagnahmt werden. Niemand, der eine Sammlung besitzt, zeigt sie heutzutage noch.«
»Wirklich?«
Er lächelte matt über mein Erstaunen. »Wo kommen Sie her, junger Mann?«
»Ich lebe in Kalifornien.«
»Ah. Das erklärt’s. In den Vereinigten Staaten sind Messer aller Art erlaubt. Da drüben gibt es Clubs für Kenner, gibt es Monatsschriften, Fachgeschäfte, Ausstellungen, und man kann so gut wie jedes Messer im Versand bestellen. Hier ist es verboten, irgendein spitz zulaufendes Messer herzustellen oder zu importieren, dessen Klinge zweischneidig und länger als siebeneinhalb Zentimeter ist.«
Er schwieg. »Ich würde annehmen, sowohl das Nahkampfmesser, das mir die Polizei gezeigt hat, wie auch Ihr mutmaßliches Kommandomesser sind illegal aus den Staaten hierher gelangt.«
Ich wartete ein paar Sekunden, überlegte und sagte dann: »Wenn Sie mir ein Stück Papier geben, würde ich Ihnen gern noch ein Messer aufzeichnen.«
Er gab mir einen Notizblock, und ich zeichnete das Fury auf und nannte es beim Namen.
Derry betrachtete die Skizze unheilvoll schweigend und sagte schließlich: »Wo haben Sie das gesehen?«
»In England.«
»Wem gehört es?«
»Keine Ahnung«, sagte ich. »Ich hatte gehofft, Sie wüßten das vielleicht.«
»Nein. Wie ich schon sagte, jeder, der hier bei uns so was besitzt, hält es geheim und unter Verschluß.«
Ich seufzte. Ich hatte große Hoffnungen auf Professor Derry gesetzt.
»Das Messer, das Sie gesehen haben«, sagte er, »nennt sich Armadillo. Fury ist der Markenname. Es wird aus rostfreiem Stahl in Japan hergestellt. Es ist teuer, schwer und unwahrscheinlich scharf und gefährlich.«
»Mhm.«
Nach einer Pause sagte ich: »Professor, was für Menschen haben Spaß daran, solche Messer zu besitzen, und sei es auch nur im geheimen? Oder vielleicht gerade im geheimen?«
»Fast jeder«, sagte er. »Dieses Messer ist in den USA ohne weiteres erhältlich. Es gibt Hunderttausende von Messerfreunden auf der Welt. Die Leute sammeln Schußwaffen, sie sammeln Messer, sie mögen das Gefühl der Macht.«
Seine Stimme verklang auf der Schwelle zum persönlichen Bekenntnis, und er blickte auf die Zeichnung nieder, als wollte er nicht, daß ich seine Augen sah.
»Besitzen Sie«, fragte ich vorsichtig und ohne Nachdruck, »eine Sammlung? Vielleicht aus der Zeit, als das Sammeln noch erlaubt war?«
»Was soll ich darauf antworten?« sagte er.
Eine Pause.
»Das Armadillo«, sagte er, »wird mit einer Sicherheitsschneide aus schwerem schwarzem Leder mit Knopfverschluß geliefert. Mit der Scheide kann man es am Gürtel tragen.«
»Dasjenige, das ich gesehen habe, hatte keine Scheide.«
»Es ohne Scheide zu tragen ist nicht ungefährlich und schon gar nicht erlaubt.«
»Ich glaube nicht, daß Sicherheitsbedenken eine große Rolle gespielt haben.«
»Sie sprechen in Rätseln, junger Mann.«
»Sie auch, Professor. Wir reden mißtrauisch um den heißen Brei herum.«