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»Ich kann nicht wissen, ob Sie nicht zur Polizei gehen.«

»Und ich«, sagte ich, »weiß es umgekehrt auch nicht.«

Neuerliche Pause.

»Ich will Ihnen was sagen, junger Mann«, sagte Derry. »Wenn der Eigentümer dieses Messers es irgendwie auf Sie abgesehen hat, sollten Sie auf der Hut sein.«

Er wog seine Worte ab. »Normalerweise werden solche Messer weggeschlossen. Ich finde es beunruhigend, daß eines auf der Newmarketer Heide benutzt worden ist.«

»Könnte die Polizei den Besitzer ermitteln?«

»Äußerst unwahrscheinlich«, sagte er. »Sie wüßte gar nicht, wo sie anfangen sollte, und ich könnte ihr auch nicht helfen.«

»Und den Besitzer des Armadillo?«

Er schüttelte den Kopf. »Die dürften zu Tausenden produziert worden sein. Das Fury-Armadillo hat zwar eine Seriennummer, wenn ich nicht irre. Daran ließe sich ablesen, wann ein bestimmtes Messer hergestellt worden ist, und sie würde möglicherweise auch zu seinem ersten Besitzer führen. Aber danach kann es mehrmals verkauft, gestohlen oder verschenkt worden sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand die Messer, die Sie gesehen haben, ans Licht gelassen hätte, wenn ihr Weg zu ihm zurückverfolgt werden könnte.«

Deprimierend, dachte ich.

Ich sagte: »Professor, bitte zeigen Sie mir Ihre Sammlung.«

»Auf keinen Fall.«

Stille.

Ich sagte: »Ich werde Ihnen sagen, wo ich das Armadillo gesehen habe.«

»Bitte sehr.«

Sein altes Gesicht war ruhig, abwartend. Er hatte nichts versprochen, aber ich brauchte mehr.

»Ein Bekannter von mir ist heute ermordet worden. Er wurde in einem Haus in Newmarket mit einem normalen Küchenmesser erstochen. Das Haus gehört seiner Mutter. Vorigen Samstag wurde sie im gleichen Haus mit einem Messer übel zugerichtet, aber die Waffe fand man nicht. Die Frau hat überlebt und erholt sich jetzt im Krankenhaus. Der Anschlag auf der Heide galt, wie ich Ihnen erzählt habe, wohl dem Hauptdarsteller unseres Films. Die Polizei ermittelt in allen drei Fällen.«

Er machte große Augen.

Ich sagte: »Auf den ersten Blick steht der Mord von heute in keiner Verbindung mit dem Anschlag auf der Heide. Ich bin mir nicht sicher, aber ich halte für möglich, daß es da doch eine Verbindung gibt.«

Er runzelte die Stirn. »Wie kommen Sie darauf?«

»So ein Gefühl. Zu viele Messer auf einmal. Und. hm. erinnern Sie sich an Valentine Clark? Er ist heute vor einer Woche an Krebs gestorben.«

Derrys Blick wurde noch gespannter. Als er nicht antwortete, sagte ich: »Valentines Schwester, Dorothea Pannier, war die Frau, die vorigen Samstag in dem Haus, das sie sich mit Valentine geteilt hatte, so übel zugerichtet wurde. Jemand hat das Haus durchstöbert. Heute war ihr Sohn Paul, Valentines Neffe, dort und wurde umgebracht. Da läuft wirklich ein gefährlicher Mensch frei herum, und je eher die Polizei ihn - oder sie - findet. desto besser.«

Unergründliche Gedanken beschäftigten den Professor minutenlang. Schließlich sagte er: »Ich begann mich für Messer zu interessieren, als ich noch ein Junge war. Irgend jemand schenkte mir ein Schweizer Offiziersmesser mit vielen Klingen. Das habe ich wie einen Schatz gehütet.«

Er lächelte flüchtig, mit kleinen Lippenbewegungen. »Ich war einsam als Kind. Das Messer gab mir das Gefühl, besser mit der Welt fertig zu werden. Genau das ist es, glaube ich, auch, was die Menschen zum Sammeln anregt, besonders zum Sammeln von Waffen, die man benutzen könnte, wäre man. nun ja, mutiger, oder hätte weniger Skrupel. Sie sind eine Krücke, eine geheime Kraft.«

»Verstehe«, sagte ich, als er innehielt.

»Messer haben mich fasziniert«, fuhr Derry fort. »Sie waren meine Gefährten. Ich habe sie überallhin mitgenommen. Ich habe sie mir ans Bein geschnallt oder um den Arm, unterm Hemdsärmel. Ich habe sie am Gürtel getragen. Sie fühlten sich warm an und gaben mir Selbstvertrauen. Das war natürlich die Pubertät. aber als ich älter wurde, habe ich mehr, nicht weniger gesammelt. Und mir eine vernünftige Erklärung für meine Leidenschaft zurechtgelegt. Ich war ein mit ernsthafter Forschung befaßter Student - glaubte ich wenigstens. So habe ich noch viele Jahre hindurch mein Selbstvertrauen aufgebaut. Ich wurde zum anerkannten Experten. Wie Sie wissen, holt man sich Rat bei mir.« »Ja.«

»Vor einigen Jahren ließ mein Bedürfnis nach Messern allmählich nach. Man könnte sagen, daß ich mit fünfundsechzig endlich erwachsen geworden bin. Trotzdem halte ich mich über Messer weiterhin auf dem laufenden, weil ich die Beratungsgebühren, so selten sie auch hereinkommen, gut gebrauchen kann.«

»Mhm.«

»Wie Sie erraten haben, besitze ich noch eine Sammlung, aber die sehe ich mir selten an. In meinem Testament habe ich sie einem Museum vermacht. Hätten die jungen Polizisten gewußt, daß es sie gibt, hätten sie sie konfiszieren können.«

»Das ist doch unmöglich!«

Mit dem nachsichtigen Lächeln eines Tutors, der einen dummen Studenten vor sich hat, zog er eine Lade seines Schreibtisches auf, kramte darin und brachte eine eng bedruckte Fotokopie zum Vorschein, die er mir gab.

Ich las die Überschrift:

KRIMINALVERFÜGUNGSGESETZ VON 1953.

ANGRIFFSWAFFEN.

»Nehmen Sie das zur späteren Lektüre mit«, sagte er. »Ich gebe es jedem, der sich nach Messern erkundigt. Und jetzt, junger Mann, erzählen Sie mal, wo Sie das Armadillo gesehen haben.«

Ich bezahlte meine Schuld. Ich sagte: »Jemand hat es in mich gestoßen. Ich habe es gesehen, nachdem es herausgezogen worden war.«

Er riß den Mund auf. Ich hatte ihn wirklich überrascht. Er faßte sich ein wenig und sagte: »War das ein Spiel?«

»Ich glaube, es sollte mein Tod sein. Das Messer hat eine Rippe getroffen, und ich lebe noch.« »Großer Gott.«

Er überlegte. »Dann hat die Polizei auch das Armadil-lo?«

»Nein«, sagte ich. »Ich habe triftige Gründe, nicht zur Polizei zu gehen. Ich vertraue Ihnen also, Professor.«

»Sagen Sie mir die Gründe.«

Ich erklärte die Sache mit den Häuptlingen und ihrer Angst vor Pechsträhnen. Ich sagte, ich wolle den Film zu Ende bringen und das könnte ich nicht, wenn die Polizei sich einmische.

»Sie sind auch so ein Besessener«, befand Derry.

»Sehr wahrscheinlich.«

Er wollte wissen, wo ich mit dem fraglichen Messer, ehm - Bekanntschaft geschlossen hatte, und ich sagte es ihm. Ich erzählte ihm von den Sicherheitswesten und von Robbie Gills Erster Hilfe; nur den Namen des Arztes verschwieg ich.

Als ich geendet hatte, wartete ich wieder eine ganze Weile auf seine Reaktion. Die alten Augen beobachteten mich ruhig.

Er stand auf. »Kommen Sie mit«, sagte er und führte mich durch eine braune Tür in einen hinteren Raum, der sich als sein Schlafzimmer erwies, eine wahre Mönchszelle mit blankem Holzfußboden und einem hohen, altmodischen Eisenbett mit einer weißen Tagesdecke. Es gab einen braunen Kleiderschrank aus Holz, eine schwere Kommode, und ein einzelner Stuhl stand vor den kahlen weißen Wänden. Das richtige Ambiente, dachte ich, für einen Erforscher des Mittelalters.

Er ging steif vor seinem Bett auf die Knie, als wollte er beten, griff statt dessen aber in Bodennähe unter den Überwurf und zog.

Ein großer Holzkasten auf Laufrollen, mit einem staubigen, durch ein Vorhängeschloß gesicherten Deckel, glitt langsam unter dem Bett hervor. Er maß ungefähr neunzig mal hundertzwanzig Zentimeter, war mindestens dreißig Zentimeter tief und sah unheimlich schwer aus.

Der Professor kramte einen Schlüsselring mit nur vier Schlüsseln hervor, zog das Vorhängeschloß ab, klappte den Deckel hoch und lehnte ihn gegen das Bett. Zuoberst im Kasten lag ein Stück grünes Baumwollflanell, und als er es wegnahm, wurden reihenweise schmale braune Pappschachteln sichtbar, jede mit einem sauberen weißen Etikett, auf dem in Maschinenschrift ihr Inhalt angegeben war. Er sah sie durch, murmelte, er habe sie seit Monaten schon nicht mehr angeschaut, und griff keineswegs auf gut Glück eine heraus.