»Das«, sagte er, die schmale Schachtel öffnend, »ist ein echtes Kommandomesser, keine Nachbildung.«
Des Professors Kommandomesser war in schützende Noppenfolie eingeschlagen, sah ausgepackt aber genauso aus wie dasjenige, das ich als Warnung erhalten hatte; nur war beim Original auch die Scheide dabei.
»Ich stelle meine Messer nicht mehr zur Schau«, sagte er überflüssigerweise. »Nach dem Tod meiner Frau, bevor ich hierherkam, habe ich sie alle weggepackt. Sie hat mein Interesse geteilt. Nicht von Anfang an, aber mit der Zeit. Sie fehlt mir.«
»Das glaube ich Ihnen.«
Er legte das Kommandomesser zurück und packte andere Schätze aus.
»Hier sind zwei Messer aus Persien mit gebogener Klinge, die Griffe und die Scheiden sind aus geprägtem Silber mit Lapislazulieinlagen. Die hier sind aus Japan. diese aus Amerika, mit geschnitzten Horngriffen in Form von
Tierköpfen. Alles natürlich Handarbeit. Durchweg erlesene Stücke.«
Durchweg tödlich, dachte ich.
»Dieses schöne Messer ist aus Rußland, neunzehntes Jahrhundert«, sagte er an einem Punkt. »Geschlossen ähnelt es, wie Sie sehen, einem Faberge-Ei, aber tatsächlich enthält es fünf Klingen.«
Er klappte die Klingen heraus, so daß sie eine Rosette aus spitzen Blättern um den eiförmigen Griff bildeten, der aus blauem Email mit feinen Goldstreifen bestand.
»Ehm.«, sagte ich, »Ihre Sammlung muß doch wertvoll sein. Warum verkaufen Sie sie nicht?«
»Junger Mann, lesen Sie den Zettel, den ich Ihnen gegeben habe. Es ist gesetzwidrig, solche Sachen zu verkaufen. Man darf sie nur an Museen weitergeben, nicht einmal an Privatpersonen, und auch nur an Museen, die sie ausstellen, ohne daran zu verdienen.«
»Erstaunlich.«
»Dem gesetzestreuen Bürger bindet es die Hände, aber Kriminelle kümmern sich nicht drum. Die Welt ist so mittelalterlich wie eh und je. Haben Sie das nicht gewußt?«
»Ich habe es geahnt.«
Er lachte gackernd. »Helfen Sie mir mal, das obere Brett aufs Bett zu heben. Ich zeige Ihnen ein paar Kuriositäten.«
Das obere Brett hatte eine Seilschlaufe auf beiden Schmalseiten. Ich faßte auf einer, er auf der anderen Seite an, und auf sein Kommando hoben wir es hoch. Das Brett war schwer. Nicht ganz das Richtige für mich.
»Was ist los?« wollte er wissen. »Hat Ihnen das weh getan?«
»Vom Armadillo noch«, sagte ich entschuldigend.
»Wollen Sie sich hinsetzen?«
»Nein, ich möchte Ihre Messer sehen.«
Er kniete sich wieder auf den Boden und öffnete weitere Schachteln, entfernte die Folie und legte mir jede Trophäe einzeln in die Hände, damit ich die »Ausgewogenheit« ihrer Proportionen fühlen konnte.
Seine »Kuriositäten« waren zum Teil besonders furchterregend. Es gab mehrere Dolche in der Art des amerikanischen Nahkampfmessers (des echten von 1918) und einen ganzen abschreckenden Satz entfernter Verwandter des Armadillo, Messer mit Griffen zum Durchfassen, halbmondförmigen Klingen und Sägezähnen, alles, was man braucht, um einen Gegner in Fetzen zu reißen.
Wenn ich ihm die Messer zurückgab, wickelte er sie gleich wieder ein und verstaute sie in ihrer Schachtel, nicht ohne alles im Vorübergehen abzuwischen.
Er zeigte mir ein schönes großes Kruzifix aus dunkelrotem Cloisonne mit einer goldenen Kette zum Umhängen, in dem sich ein Dolch verbarg. Er zeigte mir einen scheinbar ganz normalen Hosengürtel, dessen Schnalle sich mühelos abziehen ließ und sich als das Heft einer scharfen Dreiecksklinge entpuppte, die den Tod bringen konnte.
Professor Derry sprach eine ernste Warnung aus: »Thomas.« (den »jungen Mann« hatten wir hinter uns gelassen) »Thomas, wenn ein Mann - oder eine Frau - wirklich messernärrisch ist, müssen Sie davon ausgehen, daß alles, was er oder sie am Leib trägt, eine Messerscheide sein kann. Es gibt Schlüsselringe, Geldclips, Kämme mit versteckten Klingen. Sogar unterm Jackenrevers kann ein Messer versteckt sein, dafür gibt es durchsichtige Spezialscheiden zum Annähen. Ein gefährlicher Fanatiker weidet sich an seiner geheimen Macht. Ist Ihnen das klar?«
»Wird es allmählich.«
Er nickte einige Male und fragte, ob ich ihm helfen könne, das obere Brett wieder einzusetzen.
»Würden Sie mir erst noch ein anderes Messer zeigen, bevor wir das tun, Professor?«
»Aber natürlich.«
Er schaute abwesend auf das Heer von Schachteln. »An was dachten Sie denn?«
»Dürfte ich das Messer sehen, das Valentine Clark Ihnen mal geschenkt hat?«
Nach einer seiner verräterischen Schweigepausen sagte er: »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Sie kannten doch Valentine Clark, oder?« fragte ich.
Er richtete sich auf, um vom Schlafzimmer in sein Arbeitszimmer zurückzukehren, und löschte im Hinausgehen das Licht: Strom war für ihn teuer, nahm ich an.
Ich folgte ihm, und wir nahmen unsere Plätze in den Lehnstühlen wieder ein. Er fragte, in welcher Beziehung ich zu Valentine gestanden hätte, und ich erzählte die Sache mit meiner Kindheit und daß Valentine mir zuletzt seine Bücher vermacht hatte. »Ich habe ihm vorgelesen, als er nichts mehr sehen konnte. Ich war, kurz bevor er starb, noch bei ihm.«
Durch meine Ausführungen beruhigt, taute Derry auf. »Ich habe Valentine einmal recht gut gekannt. Wir lernten uns auf so einer lächerlichen Benefizveranstaltung kennen, wo man für einen guten Zweck herumsteht, Tee oder schlechten Wein aus kleinen Gläsern trinkt und sich wünscht, man wäre zu Hause. Ich konnte das nicht ausstehen. Meine liebe Frau hatte ein weiches Herz und fand immer wieder was, wo ich mit ihr hingehen sollte, und ich konnte es ihr nicht abschlagen. lange ist das her. Lange ist das her.«
Ich wartete das Ende seiner Anwandlung von Nostalgie und Einsamkeit ab, außerstande, ihn in seiner Wehmut zu trösten.
»Dreißig Jahre muß es her sein«, sagte er, »daß wir Valentine kennenlernten. Damals wurde Geld gesammelt, um den Transport lebender Pferde als Schlachtvieh für den Kontinent abzustellen. Valentine war einer der Redner. Er und ich waren uns einfach sympathisch. und dabei kamen wir aus so verschiedenen Ecken. Ich fing an, seine Kommentare in der Zeitung zu lesen, obwohl der Rennsport mich nicht weiter interessierte. Aber Valentine war so klug. und dabei immer noch als Hufschmied tätig: eine Brise frischer Luft für mich, der ich mehr die Enge des Universitätslebens gewohnt war. Meine Frau mochte ihn auch, und wir haben uns mit ihm und seiner Frau mehrmals getroffen, aber geredet haben immer Valentine und ich. Er kam aus seiner Welt und ich aus meiner, und vielleicht konnten wir deshalb miteinander über Dinge sprechen, die im Gespräch mit unseren Kollegen ausgespart blieben.«
Ich fragte ohne Nachdruck: »Was für Dinge?«
»Ach. Medizinisches manchmal. Übers Altern. Früher hätte ich Ihnen das nie erzählt, aber seit ich die Achtzig überschritten habe, bin ich fast meine sämtlichen Hemmungen los, mir geht nicht mehr alles so nah. Ich habe Valentine erzählt, daß ich Potenzprobleme hatte, obwohl ich noch keine sechzig war. Lachen Sie mich aus?«
»Nein, Sir«, sagte ich wahrheitsgemäß.
»Es war leicht, Valentine um Rat zu fragen. Man vertraute ihm.«
»Ja.«
»Wir waren Altersgenossen. Ich fragte ihn, ob er das Problem auch habe, aber er sagte mir, sein Problem sei das
Gegenteil, junge Frauen erregten ihn und es falle ihm schwer, seine Triebe zu zügeln.«
»Valentine?« rief ich erstaunt aus.
»Die Leute verbergen Dinge«, sagte Derry einfach. »Meine Frau fand es halb so schlimm, daß ich nicht mehr problemlos mit ihr schlafen konnte, aber anderen Leuten hat sie im Scherz dauernd erzählt, wie sexy ich sei. Dieses gräßliche Wort. Sie wollte, daß man mich bewundert, sagte sie.«
Er schüttelte den Kopf voll Zuneigung und Trauer. »Valentine hat mir einen Arzt empfohlen. Er selbst kannte allerlei Methoden, mit Impotenz fertig zu werden. Viele davon hatte er angeblich auf Gestüten kennengelernt! Er sagte, ich solle das locker nehmen und dürfe Impotenz nicht als etwas Peinliches oder Tragisches ansehen. Es sei ja kein Weltuntergang.«