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Unser männlicher Megastar, lakonisch wie immer, kam dreimal geduldig hinter dem Steuer eines Wagens angefahren und marschierte klaglos viermal wie zur Hinrichtung durch die geheiligte Pforte, beherrschte er doch die Kunst, eine Rolle nach Belieben auszufüllen und wieder abzustreifen. Wie in Gedanken klopfte er mir schließlich ermutigend auf die Schulter und fuhr für den Rest des Tages in seinem privaten Rolls-Royce davon.

Gegen zwölf legten wir die wohlverdiente Mittagspause ein.

Danach kam O’Hara vorbei, um sich Georges Iago-Auftritt anzusehen (dem ich außer dem harmlosen Kommentar »Nicht ganz so hitzig« wenig hinzuzufügen brauchte), und saß den größten Teil des Nachmittags lächelnd in einem Regiestuhl. Mir war nicht ganz klar, ob er es wußte, aber das leiseste Lächeln O’Haras wirkte auf die Akteure und die Techniker wie Öl, dann lief die Sache; kniff er hingegen einmal mißbilligend die Augen zusammen, nahmen die Probleme überhand.

Als wir auf dem Parkplatz fertig waren, fuhren O’Hara und ich gemeinsam auf eine Erfrischung (mit nur einem Schuß Alkohol, gemäß dem puritanischen Ethos der Filmgesellschaft) ins Bedford Lodge, um Verlauf und Pläne zu besprechen, ehe er das Reich der Phantasie verließ, um sich in den Londoner Büros mit Marketing und Werbung zu befassen. Mit der Herstellung des Films war es nicht getan; das Produkt mußte auch verkauft werden.

»Ich sehe, Sie haben für Montag unseren ersten Stuntman gebucht«, sagte er beiläufig, als er aufstand, um zu gehen. »Was liegt an?«

»Ungezähmte Pferde am Strand.«

Ich sagte das leichthin und überließ es ihm, ob er mir glaubte oder nicht.

»Im Ernst?« fragte er. »Davon steht nichts im Drehbuch.«

Ich sagte: »Der Stuntman und ich können den Strand ganz früh am Montag morgen sondieren. Dann bin ich rechtzeitig zu den Proben zurück. Aber.«

Ich schwieg unschlüssig.

»Aber was?«

»Sie haben mir früher schon mal den einen oder anderen Tag zusätzlich eingeräumt«, sagte ich. »Was ist, wenn ich

jetzt einen gebrauchen könnte? Wenn ich eine Idee hätte?«

Schon zweimal hatte ich dank des mir gewährten Spielraums seinen Produktionen eine Dimension hinzufügen können, die beim Publikum angekommen war. Ich verließ mich dabei ganz auf spontane Eingebungen, und O’Hara, der das wußte, sah mich, anstatt Fragen zu stellen, fünf Sekunden lang abschätzend an, nickte dann kurz und gab mir praktisch freie Hand.

»Drei Tage«, sagte er. »Okay.«

Zeit war sehr kostspielig. Drei Tage waren gleichbedeutend mit Vertrauen. Ich sagte: »Wunderbar.«

»Wenn Sie nicht gefragt hätten«, meinte er nachdenklich, »wären wir in Schwierigkeiten.«

»Finden Sie nicht, daß es gut läuft?«

Ich war immer in Sorge.

»Es läuft einwandfrei«, sagte er. »Aber ich habe Sie engagiert, weil ich etwas mehr erwarte.«

Ich fühlte mich weniger geschmeichelt als zusätzlich unter Druck gesetzt. Die Zeit der geringen Ansprüche war relativ erholsam gewesen: Der Erfolg hatte eine Spirale erwarteter Wunder in Gang gesetzt, und eines schönen Tages würde ich von der Spitze dieses schrägen Turms hinunterstürzen und auf Pisas hartem Boden landen, und keine vernünftige Finanzabteilung würde sich je wieder auf meinen Namen einlassen.

Vor dem Eingang des Hotels, wo der Wagen mit seinem Chauffeur wartete, sagte O’Hara: »Sie wissen so gut wie ich, daß es im Filmgeschäft um Macht und Geld geht. Bei großen Projekten sagen die Geldgeber dem Regisseur, wo es langgeht. Bei mittelgroßen wie dem hier liegt die Macht beim Regisseur. Also machen Sie Gebrauch davon. Nutzen Sie sie.«

Ich sah ihn groß an. Für mich war er die Triebfeder des Films, war er die Macht. Schließlich hatte er das ganze Projekt ja ermöglicht. Mir wurde klar, daß ich in erster Linie versucht hatte, es ihm recht zu machen, statt nach meiner Nase zu gehen, und jetzt sagte er mir, daß ihm daran nichts lag.

»Sie siegen oder gehen unter«, sagte er. »Es ist Ihr Film.«

Er kann sagen, was er will, dachte ich; wenn ich diese Szene filmen würde, wäre es offensichtlich, daß die wahre Macht bei dem breitschultrigen älteren Mann mit dem knorrig selbstbewußten, verlebten Gesicht und dem trotz Übergewicht in sich ruhenden Körper lag und nicht bei dem unscheinbaren Dreißigjährigen, den man ohne weiteres für einen Statisten halten konnte.

»Sie haben die Macht«, sagte er. »Glauben Sie mir.«

Er nickte mir abschließend zu, um etwaige Ausflüchte zu unterbinden, ging zu seinem Wagen und ließ sich davonfahren, ohne noch einmal zurückzuschauen.

Ich ging nachdenklich über die Einfahrt zu meinem Wagen und fuhr stadtauswärts zu Valentine, während ich mir klarmachte, daß ich, sonderbare Mischung, zugleich mächtig und unbedeutend war. Ich konnte nicht leugnen, daß ich ziemlich oft den Drang und die Fähigkeit in mir spürte, etwas zu schaffen, eine große Zuversicht, die im nächsten Augenblick in Zweifel umschlagen konnte. Ich brauchte Selbstvertrauen, wenn ich etwas von Wert schaffen wollte, und fürchtete doch auch die Überheblichkeit, die so leicht zu unfruchtbarem Größenwahn verleiten konnte. Ich fragte mich des öfteren, warum ich keinen nützlichen Beruf ergriffen hatte, in dem man sich nicht dauernd dem Urteil der Öffentlichkeit aussetzte, zum Beispiel als Briefträger.

Valentine und Dorothea hatten sich ein eingeschossiges Haus mit vier Zimmern gekauft, ein Schlaf- und ein Wohnzimmer für jeden. Sie hatten ein zusätzliches Bad eingebaut, um voneinander unabhängig zu sein, und teilten sich die große Küche, in der ein Eßtisch stand. Wie sie mir beide gesagt hatten, war diese Lebensform für sie als Witwe und Witwer die Ideallösung, ein gemeinsames Für-sich-sein, das ihnen sowohl Gesellschaft bot wie auch die Möglichkeit, sich zurückzuziehen.

Alles sah ruhig aus, als ich draußen an der Straße parkte und über den betonierten Fußweg zur Haustür ging. Dorothea öffnete, bevor ich noch klingeln konnte - sie hatte geweint.

Ich sagte verlegen: »Valentine.?«

Sie schüttelte unglücklich den Kopf. »Er lebt noch, mein armer Schatz. Kommen Sie rein, Tom. Er wird Sie nicht erkennen, aber gehen Sie ruhig zu ihm.«

Ich folgte ihr in Valentines Schlafzimmer, und sie sagte, sie habe in dem Ohrensessel dort am Fenster gesessen, um die Straße und ankommenden Besuch sehen zu können.

Valentine, gelblich blaß, lag regungslos auf dem Bett, sein schwerer, langsamer Atem war geräuschvoll, stetig und unwiderruflich todgeweiht.

»Er ist nicht aufgewacht und hat nichts gesagt, seit Sie gestern weggefahren sind«, sagte Dorothea. »Wir brauchen hier also nicht zu flüstern, wir stören ihn nicht. Robbie Gill war heute mittag da, um die Zeit, wo wir sonst gegessen haben, aber irgendwie bringe ich nichts runter. Jedenfalls sagt er, Valentine atmet so schwer, weil sich in seiner Lunge Wasser sammelt, und ich soll mich darauf einstellen, daß es heute nacht oder morgen mit ihm zu Ende geht. Wie soll ich das denn machen?«

»Was meint er mit einstellen?«

»Gefühlsmäßig, nehme ich an. Er sagt, ich solle ihm morgen früh Bescheid sagen, wie’s steht. Er hat mich quasi gebeten, ihn nicht mitten in der Nacht zu rufen. Wenn Valentine stirbt, soll ich ihn um sieben zu Hause anrufen. Trotzdem ist er eigentlich nicht herzlos. Er meint immer noch, es wäre leichter für mich, wenn Valentine im Krankenhaus läge, aber ich weiß, daß sich der alte Knabe hier wohler fühlt. Er schläft friedlich, das sieht man. Ich weiß es einfach.«

»Ja«, sagte ich.

Sie wollte mir unbedingt eine Tasse Tee machen, und ich redete es ihr nicht aus, weil mir schien, sie könne selbst eine gebrauchen. Ich folgte ihr in die leuchtend blau und gelb gestrichene Küche und setzte mich an den Tisch, während sie Tassen und eine Zuckerdose aus feinem Porzellan auflegte. Wir hörten Valentines langsam schnarrenden Atem, es klang fast, als ob er vor Schmerz stöhnte, aber Dorothea sagte, Schwester Davies sei ein Goldstück gewesen und habe ihm ein Schmerzmittel gespritzt, so daß ihr Bruder bestimmt nicht leide, auch tief drinnen hinter dem Koma nicht.