Выбрать главу

Er schwieg. »Dank Valentine habe ich gelernt, mich zu bescheiden.«

»Er hat sehr vielen Leuten Gutes getan.«

Der Professor nickte, noch in Erinnerungen schwelgend. »Einmal hat er mir etwas erzählt, was ich nie habe nachprüfen können. Er hat mir versichert, es sei wahr. Ich wollte das immer schon wissen. Wenn ich Sie etwas frage, Thomas, geben Sie mir dann eine ehrliche Antwort?«

»Natürlich.«

»Vielleicht sind Sie zu jung dafür?«

»Versuchen Sie’s.«

»Im Vertrauen.«

»Ja.«

Nichts sei je vertraulich, hatte ich Moncrieff gesagt. Bekenntnisse doch wohl ausgenommen?

Der Professor sagte: »Valentine hat mir erzählt, daß eine Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr zum Gehirn eine Erektion bewirken kann.«

Er wartete auf meine Stellungnahme, die etwas schwer in Gang kam. Ich sagte zögernd: »Ehm. davon habe ich gehört.«

»Dann sagen Sie was dazu.«

»Ich glaube, es handelt sich da um eine perverse Sexualpraktik, die unter den Begriff des Autoerotismus fällt. In diesem Fall partielle Selbsterstickung.«

Er sagte ungeduldig: »Das hat Valentine mir schon vor dreißig Jahren erzählt. Ich frage Sie, ob es funktioniert!«

»Aus erster Hand weiß ich das nicht.«

Er sagte mit einem Anflug von Bitterkeit: »Weil Sie noch nie darauf angewiesen waren?«

»Bis jetzt nicht, nein.«

»Hat Ihnen denn mal jemand. was darüber erzählt?«

»Nicht aus erster Hand.«

Er seufzte. »Ich konnte mich nie überwinden, das auszuprobieren. Auch so eine Sache, die ich nie erfahren werde.«

»Gibt es noch andere?«

»Seien Sie nicht albern, Thomas. Ich bin Mediävist. Ich kenne die Fakten, die schriftlich überliefert sind. Ich versuche mich in diese vergangene Welt einzufühlen. Ich kann sie nicht riechen, nicht hören, nicht erleben. Ich habe mein Leben lang aus zweiter Hand gelernt und gelehrt. Wenn ich jetzt einschliefe und anno 1400 aufwachte, würde ich weder die Sprache verstehen noch mir auch nur ein Essen zubereiten können. Sie kennen sicher den alten Spruch: Wenn Jesus heute noch mal auf die Erde käme, um eine zweite Bergpredigt zu halten, würde ihn kein

Mensch verstehen, weil er Althebräisch mit dem Akzent eines Nazarener Zimmermanns spräche. Nun, ich habe mein Leben an eine unverstehbare Vergangenheit verschwendet.«

»Nein, Professor«, widersprach ich.

»Doch«, sagte er resigniert. »Nur kratzt mich das jetzt nicht mehr. Ich habe niemanden mehr zum Reden. Ich kann mich nicht mit öden Sozialarbeitern unterhalten, die meinen, sich um mich kümmern zu müssen, und >Alter-chen< zu mir sagen. Aber hier sitze ich und rede mit Ihnen, Thomas, dabei sollte so ein alter Narr wie ich es wirklich besser wissen.«

»Reden Sie nur«, sagte ich. »Reden Sie über Valentine.«

»In den letzten Jahren habe ich ihn kaum noch gesehen. Seine Frau starb. Meine auch. Man könnte denken, das hätte uns zusammengebracht, hat es aber nicht. Irgendwie waren es wohl die Frauen, die unsere Zusammenkünfte arrangiert haben. Valentine und ich haben uns praktisch auseinandergelebt.«

»Aber«, sagte ich, »wußte er in den ersten Jahren schon, daß Sie sich für Messer interessieren?«

»O ja, natürlich. Er war von meiner Sammlung begeistert. Er und seine Frau kamen immer zu uns, und die Frauen haben geplaudert, und ich habe Valentine die Messer gezeigt.«

»Er sagte mir, er habe Ihnen eins geschenkt.«

»Das hat er Ihnen gesagt.?«

»Ja.«

Der Professor runzelte die Stirn. »Ich weiß noch, wie er mir gesagt hat, ich dürfe nie jemandem erzählen, von wem ich das Messer habe. Ich sollte es nur aufbewahren, und eines Tages würde er es vielleicht zurückverlangen. aber er hat nie danach gefragt. Ich habe nicht mehr dran gedacht. Ich hatte es vergessen.«

Er schwieg. »Weshalb möchten Sie es sehen?«

»Aus Neugier. und Zuneigung zu meinem alten Freund.«

Er stand auf und kehrte mit mir auf den Fersen zum Schlafzimmer zurück. Trübe ging das Licht an; eine Spar-birne.

»Leider«, sagte mein Gastgeber unsicher, »sind drei Lagen Messer in der Kiste, und um an das Messer heranzukommen, das Sie sehen möchten, müssen wir auch das zweite Brett rausnehmen. Meinen Sie, Sie können mir helfen? Nur daß wir’s gerade auf den Boden stellen, es muß ja nicht aufs Bett.«

Ich versicherte ihm, daß das ginge, und mit der Linken ließ es sich dann auch etwas besser an. Die dritte Lage bestand, wie sich zeigte, nicht aus Messern in braunen Pappschachteln, sondern aus längeren Stücken, jedes nur in Noppenfolie eingewickelt und mit einem Etikett versehen.

»Das sind hauptsächlich Schwerter«, sagte Derry. »Und Stockdegen und Schirme mit eingebauten Degen. Vor ein-bis zweihundert Jahren dienten sie zum Schutz gegen Straßenräuber. Jetzt sind sie natürlich verboten. Heutzutage muß man sich ausrauben lassen.«

Er kicherte leise. »Wer wird denn gleich dem armen Räuber weh tun?«

Er überflog die Etiketten, während er mit den Fingern an den Reihen entlangfuhr.

»Na also. >Geschenk von V.C.<«

Er zog eine lange Plastikrolle heraus, riß einen Klebstrei-fen ab und rollte das Päckchen auseinander, um den Inhalt zu enthüllen.

»Bitte sehr«, sagte Professor Derry, »das ist Valentines Messer.«

Ich schaute es mir an. So ein Messer hatte ich noch nie gesehen. Es war mindestens vierzig, wenn nicht fünfundvierzig Zentimeter lang. Die zweischneidige, offensichtlich scharfe Klinge nahm knapp ein Drittel der Gesamtlänge ein und bildete ein langes, flaches Oval wie bei einer Lanze, mit spitz zulaufendem Blatt. Der lange Griff war schmal und über die ganze Länge zu einer engen Spirale gedreht, die oben in einem mehrfach durchbohrten, flachen runden Knauf endete.

»Das ist kein Messer«, sagte ich, »das ist ein Spieß.«

Derry lächelte. »Es ist zum Werfen gedacht.«

»Wofür denn?«

»Ich weiß es nicht. Valentine hat mich bloß gebeten, es in meine Sammlung aufzunehmen. Es ist aus gehämmertem Stahl. Einzigartig.«

»Aber wo hat er denn so etwas gekauft?«

»Gekauft?«

Das gackernde Lachen erschallte. »Haben Sie Valentines Beruf vergessen? Er war Schmied. Er hat das nicht gekauft. Er hat’s gemacht.«

Kapitel 14

Am frühen Freitagmorgen arbeitete ich von vier bis halb sieben im Vorführraum und schnitt Szenen in eine ungefähre Reihenfolge, ein Arbeitsgang, der mir von allem anderen abgesehen stets verriet, welche notwendigen Gesamtaufnahmen das Drehbuch nicht vorgegeben hatte. Außerdem konnte die eine oder andere 5-Sekunden-Aufnahme Dialogstellen ersetzen, die nicht gut gelaufen waren. Ich machte mir Notizen, spielte herum, summte zufrieden vor mich hin, begann klarer zu sehen.

Um halb sieben baute Moncrieff die Kameras im Stallhof auf, um sieben waren die (aus Huntingdon wieder eingetroffenen) Pferde zur Morgenarbeit auf der Heide, um halb acht begannen Maske und Garderobenabteilung ihr Tagewerk im Haus, und um halb neun fegte O’Haras Wagen hupend zum Tor herein.

Die Pfleger, die von der Heide zurück waren und ihre Schützlinge putzten und fütterten, gehorchten dem Ruf und kamen aus den halb offenen Boxen. Maske und Kostüm traten an. Die Kameracrews spitzten die Ohren. Schauspieler und Komparsen standen in Bereitschaft.

Zufrieden lieh O’Hara sich Eds Megaphon aus und verkündete, die Firma in Hollywood freue sich über den Gang der Dinge, und da er selbst nach Los Angeles abreisen

werde, trage Thomas Lyon jetzt die alleinige Verantwortung für die Produktion.

Er gab Ed das Megaphon zurück, bedeutete allen, wieder an die Arbeit zu gehen, und warf mir einen herausfordernden Blick zu.