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»Ein Sieg ist ein Sieg«, hatte mein Großvater immer gesagt. »Kein Sieg ist zu verachten.«

Ich legte die Rennberichte wieder in die Kiste, holte pflichtschuldig meine Schutzengel in der Halle ab und fuhr zu Betty, um zu fragen, ob sie vielleicht Dorotheas Schlüssel habe. Sie schüttelte den Kopf. Die arme Dorothea; der arme Paul.

Bettys Mann trauerte nicht um Paul. Wenn ich anfangen wolle, bei Dorothea aufzuräumen, sagte er, könne er mir die Tür im Handumdrehen aufmachen. Bettys Mann war ein Allround-Heimwerker. Mit Geduld und Spucke, sagte er, könne man die meisten Schlösser überlisten, und so zogen er und ich dann auch bald von einem verwüsteten Zimmer zum nächsten und schafften Ordnung, so gut wir konnten. Die Polizei, sagte er, habe fotografiert und Fingerabdrücke gesammelt und sich empfohlen. Jetzt wartete das Haus, so wie es war und vollgestopft mit bösen Erinnerungen, auf Dorotheas Heimkehr.

Ich verbrachte die meiste Zeit in ihrem Schlafzimmer und suchte die von ihr erwähnte Schachtel mit den Fotos. Ich konnte sie nicht finden. Ich sagte Bettys Mann, wonach ich suchte - Dorotheas einzige Erinnerungsstücke an Paul, als er jung war -, aber wir hatten beide kein Glück.

»Die Ärmste«, meinte Bettys Mann, »ihr Sohn war ein Walroß, aber man durfte ja nichts gegen ihn sagen. Im Vertrauen, um den ist es nicht schade.«

»Nein. aber wer hat ihn umgebracht?«

»Klar, ich verstehe schon. Gibt einem ein ungutes Gefühl, daß da weiß ich wer mit einem Messer rumrennt, hm?«

»Mhm«, sagte ich.

Ich stand auf der dunklen Straße draußen vor Bill Robinsons Garage, während der Schwarzgürtel hinter mir die Leute im Auge behielt, die sich unvermeidlicherweise versammelt hatten. In der hell erleuchteten Garage stand Bill Robinson selbst in seiner gewohnten schwarzen, silberbeschlagenen Lederkluft und sah befangen aus. Die ungeheure Harley Davidson stand auf der Seite. Teile einer zweiten, die Bill gerade neu zusammenbaute, lagen auf der Zufahrt verstreut. Moncrieff richtete Bogenlampen und Scheinwerfer aus, um dramatische Licht- und Schatteneffekte zu erzielen, und Nashs Double ging zur vorgesehenen Stelle und blickte auf die Garage. Moncrieff leuchtete ihn erst im Profil, dann im Halbprofil aus, die eine Gesichtshälfte hell, die andere im Dunkeln, so daß man nur den feuchten Schimmer eines Auges sah.

Nash kam, stellte sich neben mich und schaute zu.

»Sie bleiben stehen«, sagte ich. »Sie fragen sich, wie Sie aus der Klemme, in der Sie stecken, je wieder rauskommen sollen. Sie rüsten sich, okay?«

Er nickte. Er winkte zu der Szene hin. »Eindrucksvoll ist es ja«, sagte er, »aber wieso ein Motorrad?«

»Darum geht es in unserem Film.«

»Wie meinen Sie das? Er handelt doch nicht von Motorrädern, oder?«

»Phantasie«, sagte ich. »Von der Notwendigkeit der Phantasie handelt unser Film.«

»Die Traumliebhaber?« meinte er zweifelnd.

»Die Phantasie beschert, was das Leben entbehrt«, sagte ich beiläufig. »Der Junge da mit seinem Motorrad ist achtzehn, grundgütig, hat eine geregelte Arbeit, trägt seiner betagten Nachbarin die Einkäufe nach Hause, und in seiner Phantasiewelt ist er ein Höllenfürst mit dem röhrenden Motor zwischen seinen Schenkeln und der scharfen, metallbeschlagenen Kluft. Er spielt, was er im Grunde gar nicht sein möchte, aber die Vorstellung, es zu sein, erfüllt und befriedigt ihn.«

Nash stand bewegungslos. »Das hört sich an, als ob Sie es gut finden«, sagte er.

»Tu ich auch. Ein ausgeprägtes Phantasieleben bewahrt sicher unzählige Leute vor Langeweile und Depressionen. Es gibt ihnen das Gefühl, jemand Besonderes zu sein. Man erfindet sich selbst.

Sie kennen das sehr gut. Sie sind für die meisten Leute eine Phantasievorstellung.«

»Was ist mit Serienmördern? Sind das nicht auch Phantasten?«

»Wo ein Himmel ist, da ist auch eine Hölle.«

Moncrieff rief: »Fertig, Thomas«, und Nash ging wortlos zu der Stelle, von der aus er ins Bild kommen, anhalten, sich umdrehen und Bill Robinson in seiner Zuversicht stiftenden Traumwelt beobachten sollte.

Ed lief herum und erklärte den versammelten Nachbarn, daß sie still sein müßten. Er rief: »Kamera ab.«

Die Kameras liefen. Ed rief: »Und bitte!«

Nash ging los, blieb stehen, wandte den Kopf. Perfekt. Bill Robinson ließ aus Nervosität ein Stück Auspuffrohr fallen und sagte: »Tschuldigung.«

»Aus«, sagte Ed aufgebracht.

»Entschuldigen Sie sich nicht«, bat ich Bill Robinson und ging zu ihm in die Garage.«Es macht nichts, wenn Ihnen was runterfällt. Sie können auch ruhig fluchen. Das ist normal. Nur sagen Sie nicht Entschuldigung^«:

Er grinste. Wir filmten die Szene noch einmal, und er steckte zwei glänzende Metallteile zusammen, als wären die fünfzig Leute, die ihm zusahen, gar nicht da.

»Und aus«, kommandierte Ed zufrieden, und die Nachbarn spendeten Beifall. Nash drückte Bill Robinson die Hand und gab Autogramme. Wir verkauften eine Menge zukünftiger Kinokarten, und niemand jagte mir ein Messer in den Rücken. Alles in allem kein schlechter Abend.

Zurück im Bedford Lodge, ließen Nash und ich uns das Essen wieder aufs Zimmer bringen.

»Erzählen Sie weiter«, sagte er, »vom Nutzen der Phantasie.«

»Also. ehm.«, ich zögerte und brach ab, da ich nicht wie ein Narr klingen wollte.

»Na los«, drängte er. »Man sagt doch - ich behaupte es sogar selbst -, daß Schauspielern keine geeignete Beschäftigung für ernsthafte Menschen sei. Sagen Sie mir also, warum es doch eine ist.«

»Das brauche ich Ihnen doch nicht zu sagen.«

»Dann erzählen Sie mir, warum Sie Träume herstellen.«

»Möchten Sie Wein?«

»Weichen Sie mir nicht aus, verdammt noch mal.«

»Nun ja«, sagte ich, verschwenderisch einschenkend, »ich wollte Jockey werden, aber ich wurde zu groß dafür. Jedenfalls mußte ich eines Tages wegen einer bei einem Sturz im Rennen verletzten Schulter zum Arzt, und die Ärztin fragte mich, was ich mit meinem Leben anfangen wollte. Ich sagte >Rennen reiten<, und sie setzte mir grimmig auseinander, daß das eine leichtfertige Verschwendung meiner Zeit auf Erden sei. Ich fragte sie, welchen Beruf sie mir denn empfehle, und sie sagte mir streng, das einzig wirklich nützliche und lohnende Betätigungsfeld sei die Medizin.«

»Quatsch!«

»Sie mokierte sich darüber, daß ich bloß Leute unterhalten wollte.«

Nash schüttelte den Kopf.

»Darum habe ich das wahrscheinlich rationalisiert. Ich bin immer noch Unterhalter und werde es wohl auch bleiben, und ich rede mir ein, daß ich mindestens soviel Gutes tue wie ein Beruhigungsmittel. Jeder kann sich von seiner Vorstellung leiten lassen. Man kann an imaginäre Orte reisen, ohne echten Schrecken, echten Schmerz dabei zu erleiden. Ich liefere die Kulisse. Ich öffne die Tür. Ich kann mitreißen. kann heilen. kann trösten. kann Verständnis wecken. und merken Sie sich um Gottes willen kein Wort von all dem. Ich habe mir das nur zu Ihrer Unterhaltung ausgedacht.«

Er trank nachdenklich seinen Wein.

»Und in dem Film, den wir drehen«, sagte ich, »machen die Traumliebhaber das Leben der verschmähten Frau erträglicher.

Durch sie kann sie am ehesten die Affäre ihres Mannes mit der eigenen Schwester verkraften. Sie sind ihre Zuflucht. und ihre Rache.«

Er lächelte schief. »Der Typ, den ich spiele, ist ein Scheißkerl, ja?«

»Menschlich«, sagte ich.

»Und meinen Sie, Sie können Howard für ihren Selbstmord erwärmen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Sie hat sich bestimmt nicht umgebracht. Aber keine Sorge, Sie werden ihren Tod rächen und blütenrein aus dem Ganzen hervorgehen.«

»Hat Howard die Szenen dafür geschrieben?«