»Ihre Aufgabe wird sein«, erklärte ich Ridley, »von irgendwo da drüben in die Gruppe hineinzureiten.«
Ich deutete hin. »Sie reiten in die Gruppe, ziehen ein Bühnenmesser aus der Scheide an Ihrem Gürtel, stechen auf einen aus der Gruppe ein, als wollten Sie ihn ernstlich verletzen, und in dem darauffolgenden Gedränge galoppieren Sie über den Kamm und fliehen das weite Trainingsgelände hinunter in Richtung Stadt. Okay?«
Ridley blickte starr aus dunklen, angespannten Augen.
»Sie stechen auf mich ein, okay? Ich double Nash.«
Ridley sagte nichts.
»Im fertigen Film«, erklärte ich ihm freundlich, »erscheint die Szene natürlich nicht so als ein glatter Ablauf. Da blitzt das Messer auf, es steigen Pferde, es gibt Hektik und Verwirrung. Man wird eine Wunde sehen. Man wird Blut sehen. Das tricksen wir alles nachher.«
Ed kam mit diversen Requisiten zu mir und Ridley herüber und gab sie ihm der Reihe nach.
»Bühnenmesser mit Scheide und Gürtel«, sagte Ed, als läse er von einer Liste ab. »Legen Sie bitte den Gürtel an.«
Wie hypnotisiert gehorchte Ridley.
»Ziehen Sie mal probehalber das Messer«, sagte ich.
Ridley zog das Messer und schaute es entsetzt an. Die Produktionsabteilung hatte das amerikanische Nahkampfmesser anhand meiner Skizze getreu nachgebaut, und wenngleich Ridley nur ein bemaltes leichtes Holzding in der Hand hielt, sah es auf drei Schritt Entfernung doch aus wie ein massiver Schlagring mit einer langen, von der Innenseite ausgehenden Klinge.
»Gut«, sagte ich nur. »Stecken Sie es wieder in die Scheide.«
Fahrig steckte Ridley das Messer weg.
»Kappe«, sagte Ed und hielt sie ihm hin.
Ridley schnallte sich die Kappe um.
»Brille«, offerierte Ed.
Ridley setzte sie langsam auf.
»Handschuhe.«
Ridley zögerte.
»Ist was?« fragte ich.
Ridley sagte heiser: »Nein«, und ließ sich auf unseren langsamsten Gaul werfen.
»Prima«, sagte ich, »also, dann los. Wenn Ed >Und bitte< ruft, traben Sie einfach auf mich zu, ziehen das Messer, stechen zu und galoppieren schnell in Richtung Newmarket davon. Sollen wir das proben, oder meinen Sie, Sie schaffen es auf Anhieb?«
Die Gestalt mit Kappe, Brille und Handschuhen antwortete nicht.
»Jede Wette, daß Sie es schaffen«, sagte ich.
Ridley schien unfähig zu handeln. Ich bat den Pfleger, dessen Pferd er ritt, ihn zum Ausgangspunkt zu führen, dann loszulassen und aus dem Bild zu gehen. Während der Pfleger geschickt die Anweisung befolgte, sprang der auf Nashs Pferd sitzende Bursche ab und warf mich rauf. Ein Schmerz zuckte durch die gebrochene Rippe. Ich paßte die Bügellänge an. Moncrieff öffnete seine Fluter, um das Tageslicht für die Szene zu verstärken.
Ed rief: »Und bitte.«
Ridley Wells ließ sein Pferd kantern, nicht traben. Er riß mit der Rechten das Messer heraus, während er mit der Linken die Zügel hielt. Experte, der er war, lenkte er sein Pferd mit den Beinen, und er schoß direkt auf mich zu, so mörderisch entschlossen, wie man es sich nur wünschen konnte.
Das »Messer« traf meine Jacke und den Panzer darunter, und weil das Klingenimitat stumpf war, flog die Waffe durch die Wucht des Aufpralls Ridley aus der Hand.
»Ich hab’s fallen lassen«, rief er, und ich wies auf den Hügelkamm und brüllte: »Macht nichts. Türmen Sie.«
Er türmte. Er duckte sich tief über den Sattel und galoppierte, als wäre es eine echte Flucht.
Die berittenen Pfleger drängten sich wie zuvor am Rand der Anhöhe zusammen, um alles mitzubekommen, und diesmal verfolgte ich den Ausreißer zu Pferd, nicht mit dem Wagen.
Der Wagen fuhr die Straße entlang, die Kamera surrte. Die Sequenz, die ich für den Film schließlich zusammenschnitt, zeigte »Nash« seinem Angreifer dicht auf den Fersen; Nash mit einer klaffenden, blutenden Wunde; Nash wie er zurückfiel, allzuviel Blut verlor; Nash unter Schmerzen.
»Ein Augenschmaus!« hauchte O’Hara, als er das sah. »Herrgott, Thomas.«
An diesem Sonntagmorgen floß jedoch kein Blut. Ich hatte das wesentlich schnellere Pferd und holte Ridley ein, bevor er in den Straßen Newmarkets verschwinden konnte.
Wütend hielt er sein Pferd an, riß sich die Handschuhe, die Brille, die Kappe herunter und warf sie auf den Boden. Er kämpfte sich aus dem Anorak, den wir ihm angezogen hatten, und schleuderte ihn von sich.
»Ich bringe Sie um«, sagte er.
Ich sagte: »Ich schicke Ihnen Ihre Gage.«
Sein aufgedunsenes Gesicht bebte vor Unentschlossenheit, als schwankte er, ob er mich auf der Stelle anfallen sollte oder nicht, aber Vernunft oder Feigheit siegten, und mit geübtem Schwung hob er den rechten Fuß über den Hals des Pferdes und glitt auf der mir zugewandten Seite aus dem Sattel. Er ließ die Zügel los, kehrte mir den Rük-ken und ging wackligen Schrittes auf Newmarket zu, als spürte er den Boden nicht unter den Füßen.
Ich beugte mich vor, nahm die herunterhängenden Zügel auf und brachte beide Pferde zum Stall zurück.
Die Pfleger kamen mit großen Augen von der Heide wieder, zwitschernd wie die Spatzen.
»Der Mann sah ganz genauso aus!« - »Der war das!« -»Er hat ausgesehen wie der Mann vor acht Tagen.« - »Sah er nicht ganz genauso aus?«
»Doch«, sagte ich.
Von der Garderobenabteilung, wo ich Nashs Jacke und Kappe abgab, ging ich kurz in den ersten Stock hinauf, wo die Arbeiter die Athenäumkulisse zur Seite räumten und statt dessen die Nachbildung einer Stallbox errichteten.
Da eine normale Box viel zu klein war für Kamera, Crew, Scheinwerfer und Techniker und dazu noch zwei Schauspieler, erstellten wir unsere eigene Version. Es war, als hätten wir eine Box dreigeteilt und sie dann auseinandergezogen, um in der Mitte genügend Spielraum für die Kamera zu bekommen. Der eine Boxenabschnitt enthielt die oben aufklappbare Tür zur Außenwelt (mit einer Hintergrundprojektion des Stallhofs), der zweite Krippe und Trinkeimer. Der dritte und größte Abschnitt umfaßte den Platz, wo normalerweise das Pferd stand.
Echte, weiß getünchte Hüttensteine bildeten die Wände der Box, mit einer offenen Decke aus schweren Dachsparren. Die im Augenblick noch ordentlich gestapelten Heuballen würden auf eine von den Dachsparren getragene Plattform über der Szene verfrachtet werden. Der Boden der einzelnen Boxenabschnitte wurde gerade mit strohbedeckten Betonplatten ausgelegt. Kunstvolle Hufspuren und andere Be- und Abnutzungserscheinungen zeigten, daß es eine vielbeanspruchte Box war.
»Wie steht’s?« fragte ich und sah mich beifällig um.
»Morgen früh sind wir fertig«, versicherten sie mir. »Dann ist alles bombenfest, wie Sie es haben wollten.«
»Wunderbar.«
Dorotheas Wangen waren ganz leicht rosa; ein großer Fortschritt.
Bei meiner Ankunft hatte es ein paar Tränen gegeben, aber ohne die quälende Verzweiflung von vor zwei Tagen. Da ihre physische Verfassung sich gebessert hatte, war auch ihre Willenskraft zurückgekehrt. Sie dankte mir für die mitgebrachten Blumen und sagte, sie sei die ewige Tomatensuppe leid.
»Sie soll ja gut für mich sein, aber allmählich hängt sie mir zum Hals heraus. Fleisch und Salat kann ich zwar nicht essen - haben Sie je einen Krankenhaussalat probiert? -, aber warum nicht mal Steinpilz- oder Hühnersuppe? Und hausgemacht ist das alles sowieso nicht.«
Sie sehne sich nach der Privatklinik, die ihr der gute Robbie Gill empfohlen habe, sagte sie, und sie hoffe, ihre Schwiegertochter werde bald wieder heim nach Surrey fahren.
»Wir mögen uns nicht«, gestand Dorothea seufzend. »So schade es auch ist.«