»Nein«, sagte Jackson dumpf.
»Ich glaube«, sagte ich, »Sie haben anfangs wirklich nicht gewußt, was passiert war. Als die Polizei mit Ihnen sprach und Sie zum Geständnis bewegen wollte, konnten Sie unbekümmert auf alle Fragen eingehen, weil Sie wußten, daß Sie keine Schuld traf. Sie hatten zu dem Zeitpunkt wirklich keine Ahnung, ob sie sich erhängt hatte oder nicht, wenngleich Sie wußten, daß es ihr nicht ähnlich sah, und der Polizei das auch gesagt haben. Ich glaube, eine ganze Zeitlang war Ihnen das wirklich ein Rätsel, aber genauso klar ist auch, daß es Sie nicht psychisch zerstört hat. Kein einziger Zeitungsbericht - und inzwischen habe ich sehr viele gelesen - sagt etwas von einem verzweifelten jungen Ehemann.«
»Nun, ich.«
»Sie wußten inzwischen«, vermutete ich, »daß sie Liebhaber hatte. Keine Traumliebhaber, sondern echte. Die Gang. Ganz zwanglos. Nur so zum Spaß. Als Spiel. Ich nehme an, sie hat im Sexualakt nie mehr als ein flüchtiges Vergnügen gesehen, wie Eiskrem, und das geht vielen Leuten so, wenn auch immer nur die Gefühlsmenschen und die Eifersüchtler in die Zeitung kommen. Als Sonia starb, waren Sie mit Ihrem Ehespiel schon fertig. Das haben Sie mir gesagt. Sie haben vielleicht Kummer und Bestürzung über ihren Tod empfunden, aber Sie waren jung und gesund und mit Kraft gesegnet, und Ihre Trauer war kurz.«
»Das können Sie doch nicht wissen.«
»Habe ich bis dahin recht?«
»Nun.«
»Erzählen Sie mir, wie es weiterging«, sagte ich. »Ich verspreche Ihnen auch, nichts, was Sie sagen, im Film zu verwenden. Wir bleiben dann mit unserer Story auf Abstand. Es wäre aber besser, ich würde die Wahrheit kennen, denn wie ich schon sagte, kann es sonst passieren, daß ich durch bloßes Herumraten Ihre bestgehüteten Geheimnisse aufdecke. Reden Sie also. und Sie werden nichts, was Ihnen angst macht, auf der Leinwand wiederfinden.«
Jackson Wells betrachtete sein efeubewachsenes Haus, den Hof und die ungepflegte Zufahrt und dachte zweifellos an die Annehmlichkeiten des Lebens mit seiner zweiten Frau und an Lucy, die sein Stolz war.
»Sie haben recht.«
Er seufzte schwer. »Sie waren alle dabei, und ich kam erst nach Wochen dahinter.«
Ich ließ ihm Zeit. Er hatte den ersten großen Schritt getan: Alles andere würde folgen.
»Wochen danach rückten sie langsam mit der Wahrheit heraus«, sagte er schließlich. »Sie hatten sich geschworen, kein Sterbenswort darüber zu sagen. Niemals. Aber es ging ihnen zu nah. Pig ist nach Australien abgehauen, und ich hatte außer Derek Carsington keinen Reiter mehr für meine Gäule, obwohl es darauf kaum noch ankam - die Besitzer sind mir weggelaufen, als hätte ich die Pest -, und dann hat Ridley...«:
Er hielt inne. »Ridley hat sich betrunken, das war schon damals keine Seltenheit, und dann hat er sich im doppelten Sinn des Wortes ausgekotzt. Ridley widert mich an, aber Lucy findet ihn lustig, wenn auch bestimmt nicht mehr lange, denn hätte ich ihr nicht gesagt, daß sie immer Jeans tragen soll, hätte er ihr inzwischen längst mal unter den Rock gefaßt. Ein Mädchen hat wenig zu lachen heute; wenn ich da an Sonia denke, die ist in knöchellangen Rök-ken und meistens ohne BH und mit einem grünen Bürstenhaarschnitt herumgelaufen - aber warum, zum Teufel, erzähle ich Ihnen das?«
Ich dachte bei mir, daß er vielleicht sechsundzwanzig Jahre zu spät um Sonia trauerte, aber möglicherweise ist es für so etwas nie zu spät.
»Sie war lustig. Immer für einen Spaß zu haben.«
»Ja.«
»Ridley hat mir gesagt, was sie getan hatten.«
Der Schmerz der Enthüllung spiegelte sich deutlich auf dem sonnigen Gesicht. »Ich hätte ihn fast umgebracht. Ich habe ihn geschlagen. Ihn getreten. Ihn mit einer Reitpeitsche verprügelt. Mit allem, was mir in die Finger kam. Ich habe ihn bewußtlos geschlagen.«
»Das war die Trauer«, sagte ich.
»Die Wut.«
»Beides dasselbe.«
Jackson starrte mit leerem Blick in die Vergangenheit.
»Ich bin zu Valentine gegangen und habe ihn gefragt, was ich tun soll«, sagte er. »Valentine war für uns alle wie ein Vater. Ein besserer Vater, als wir von Haus aus hatten. Valentine hat Sonia wie eine Tochter geliebt.«
Ich sagte nichts. Valentines Liebe zu Sonia war keineswegs väterlich zu nennen.
»Was hat Valentine gesagt?« fragte ich.
»Er wußte es schon! Paul hätte es ihm erzählt, sagte er. Paul war genauso am Boden zerstört wie Ridley. Er hatte seinem Onkel alles gebeichtet. Valentine sagte, sie sollten entweder mit dem, was sie getan hatten, leben oder zur Polizei gehen. und er hat ihnen die Entscheidung nicht abgenommen.«
»Wußte Valentine auch, daß Roddy Visborough dabeigewesen war?«
»Das habe ich ihm gesagt«, bekannte Jackson freimütig.
»Sonia war Roddys Tante. Und egal, was für eine Sexorgie die alle im Sinn hatten - der Ausdruck trifft’s natürlich nicht, vergessen Sie, daß ich’s gesagt habe -, Roddy durfte da nicht hineingezogen werden, auf gar keinen Fall, meinten sie. Sie war ja seine Tante!«
»Sie alle haben Valentine gut gekannt«, sagte ich.
»Klar. Seine alte Schmiede lag ja gleich neben meinem Stall. Er kam dauernd wegen der Pferde vorbei, und wir haben ihn auch besucht, alle miteinander. Wie ich schon sagte, er war wie ein Vater für uns. Besser als ein Vater. Aber alles ging in die Binsen. Ich mußte das Trainieren aufgeben, und Paul zog mit seinen Eltern aus Newmarket weg, und Roddy, der Hilfstrainer werden wollte, aber noch keine Stelle gefunden hatte, schloß sich dem Springreiterzirkus an - und Pig hatte sich wie gesagt schon abgesetzt. Und dann zog auch Valentine fort. Die alte Schmiede hätte ein unwahrscheinlich teures neues Dach gebraucht, deshalb hat er sie abgerissen und das Grundstück als Bauland verkauft. Eines Tages kam ich rüber, da hat er zugesehen, wie die Bauunternehmer den Schutt von Jahrzehnten in den alten Brunnen hinter seinem Haus kippten, der aufgefüllt werden sollte, weil er für Kinder gefährlich war, und ich sagte noch zu ihm, nichts würde mehr wie früher sein. Und das stimmte natürlich.«
»Aber für Sie ist es doch gut ausgegangen.«
»Ja, das ist wahr.«
Er konnte sein Lächeln nicht lange zurückhalten. »Und Valentine wurde zum großen alten Mann des Rennsports, und Roddy Visborough ist mit Pokalen nur so überschüttet worden. Ridley gammelt nach wie vor herum, und ich greife ihm gelegentlich unter die Arme, und Paul hat geheiratet.«
Er verstummte unsicher.
»Und Paul ist umgebracht worden«, sagte ich unverblümt.
Er schwieg.
»Wissen Sie, wer ihn umgebracht hat?« fragte ich.
»Nein.«
Er starrte mich an. »Wissen Sie es?«
Ich antwortete nicht direkt. Ich sagte: »Hat irgend jemand Valentine - oder Ihnen - gesagt, wer von den vieren Sonia erwürgt hat?«
»Das war ein Unfall.«
»Wessen Unfall?«
»Sie hat gesagt, sie dürften ihr die Hände um den Hals legen. Und sie hat dabei gelacht, da waren sich alle einig. Sie waren wie berauscht, aber nicht von Drogen.«
»Vor Erregung«, sagte ich.
Seine blauen Augen weiteten sich. »Sie sollten der Reihe nach. deswegen waren sie so aufgedreht. mit ihr bumsen, und sie wollte es. sie hat mit ihnen gewettet, daß sie es nicht alle schaffen, nicht so aus dem Stand in einer Stunde, bevor die Pfleger, die gerade mit dem zweiten Lot ausgeritten waren, wiederkamen, und nicht wenn die restliche Gang dabei zusah und sie anfeuerte, und nicht in einer Stallbox auf einem Bett aus Heu. Die waren alle verrückt, und sie war es auch. Dann hat Pig ihr die Hände um den Hals gelegt und sie geküßt. und zugedrückt. und sie bekam keine Luft mehr. er hat zu lange zugedrückt. und ihr Gesicht verfärbte sich. sie lief blau an. und als sie begriffen, was los war. konnten sie sie nicht mehr wiederbeleben.«