Sie kicherte.
»Yvonne hat keiner geholfen«, sagte ich bedauernd, »aber den Schrei wird niemand vergessen.«
Wir filmten die brutale Erhängung, aber ohne uns dem Risiko der Zensur auszusetzen. Wir zeigten kein blau angelaufenes Gesicht, keine schrecklich verquollenen Züge. Ich wies Yvonne an, wie rasend zu zappeln, während wir sie an den Handgelenken festhielten, aber ich filmte sie nur vom in der Schlinge steckenden Hals bis zu den Füßen, die sich verzweifelt nach dem unerreichbaren Boden streckten. Wir filmten, wie sie einen ihrer weißen Schuhe verlor. Wir richteten die Kamera auf den Schuh, während der Schatten ihrer letzten Zuckungen auf die weiß getünchten Wände fiel, und wir filmten ihre losen Perlen und einen verbogenen Ohrring im Stroh, Zentimeter unter ihren nackten, zuckenden Zehen.
Danach ließ ich sie herunter und drückte sie dankbar; sie sei wunderbar, hinreißend, mitreißend, anrührend, sagte ich ihr; sie könne die Ophelia im Schlaf spielen und werde garantiert in der Today Show auftreten (und so kam es zum Glück dann auch wirklich).
Ich hatte von Anfang an vorgehabt, den Akt des Erhängens getrennt vom Mörder zu filmen, falls wir in einer späteren Phase die Story noch einmal radikal überdenken müßten. Wurden Tat und Täter jeweils für sich gefilmt, konnte man hinter dem Strick jedes gewünschte Gesicht einblenden. An diesem Nachmittag aber hatte ich Cibber gebeten, den Text des Mörders zu lernen, und er hatte ihn nur ungefähr im Kopf, als er auf dem Set erschien, paffte dafür aber um so genüßlicher eine lange Zigarre und gab mit sonorem Organ unpassende Witze zum besten.
Er tätschelte Yvonnes Hintern. Dummer alter Clown, dachte ich - und machte mich daran, ihn in einen brünstigen Stier zu verwandeln.
Ich stellte ihn in den Krippenabschnitt und gab ihm einen Aschenbecher, damit er das Stroh nicht in Brand setzte. Wir stellten Yvonne so, daß ihr weißes Kleid unscharf vorn am Bildrand auftauchte und ihre Anwesenheit klar ersichtlich war.
Moncrieff, auf das Licht konzentriert, klammerte Blaufolie vor einen der Scheinwerfer. Er blickte durch den Sucher und lächelte. Ich schaute auch durch, und verstand: Der Schauspieler, wartend, blinzelte gelangweilt, während wir herumlaborierten, und erschien durch das Blau in einem wirklich zweifelhaften Licht.
Cibber war in Howards Buchvorlage eine Säule des Jok-key Clubs gewesen, ein rechtschaffenes, unglückliches Opfer der Umstände. Widerstrebend hatte Howard sich den Wünschen der Filmgesellschaft gefügt und eine (unbedeutende) Affäre zwischen Cibbers Frau (Silva) und Nash Rourke hinzugedichtet. Ebenso zögernd hatte er sich dazu überreden lassen, daß Cibber Nash als den mutmaß-lichen Mörder seiner eigenen Frau Yvonne verfolgen sollte. Noch wußte Howard nicht, daß Cibber selbst die tödliche Schlinge geknüpft hatte. Ich würde Ärger mit Howard bekommen. Nichts Neues.
Für mich war die Figur des Cibber zentral für die Dynamik des Films. Der Cibber, den ich vor mir sah, war ein von seiner gesellschaftlichen Stellung eingeengter Mensch, ein Mann, den Erziehung, Wohlstand und die Erwartungen von seinesgleichen in die Schablone des aufrechten Puritaners gezwängt hatten, den zu lieben schwerfiel und der selbst liebesunfähig war. So konnte Cibber keinen Spott vertragen; er ertrug es nicht, daß seine Frau ihm einen Liebhaber vorzog, daß Kellner mitanhörten, wie sie ihn verhöhnte. Cibber erwartete, daß man nach seiner Pfeife tanzte. Er war vor allem anderen Respekt gewohnt.
Und doch war Cibber im Innern ein roher und leidenschaftlicher Mensch. Cibber erhängte Yvonne in einem Anfall unbezähmbarer Wut, als sie über seine versuchte Vergewaltigung lachte. Entsetzt und unfähig, der eigenen Schuld ins Auge zu sehen, verfolgte Cibber Nash bis zur Paranoia und darüber hinaus: Cibber würde schließlich untergehen und seelisch zerstört werden, wenn Nash nach vielen Fehlschlägen herausfand, daß sein Verfolger nur zu besiegen war, indem man ihn zur Zielscheibe mitleidigen Spotts machte. Cibber würde zum Schluß in die stumme Bewegungsstarre der Katatonie verfallen.
Ich sah Cibber, den Schauspieler, an und fragte mich, wie ich jemals Cibber, den Mann, aus ihm herausholen sollte.
Ich begann an diesem Nachmittag, indem ich seine Selbstgefälligkeit wegfegte und ihm sagte, er verstehe nichts von Lust.
Er war empört. »Natürlich weiß ich, was Lust ist!« »Die Lust, die ich brauche, ist unbändig. Sie rast, brennt, wütet, tobt, läuft Amok. Sie ist mörderisch.«
»Und das soll ich alles spielen?«
»Schön wär’s. Ich glaube nicht, daß Sie das können. Daß Sie die Mittel dazu haben. Ich glaube, dazu sind Sie als Schauspieler nicht gut genug.«
Cibber erstarrte. Er drückte seine Zigarre aus. Und er lieferte an diesem Tag vor der Kamera eine Vorstellung von Lust, die Mitleid und Verständnis für seinen unwiderstehlichen Drang weckte, selbst als er mordete, um nicht dafür verspottet zu werden.
Auf die Rolle des Grandseigneurs war er fortan nicht mehr festgelegt.
»Ich hasse Sie«, sagte er.
Lucy war mit den Bücherkisten beschäftigt, als ich ins Hotel zurückkam und, ohne die Tür ganz zu schließen, meinen Salon betrat.
Sie kniete zwischen den Kartons und blickte leicht errötend auf, als hätte sie ein schlechtes Gewissen.
»Entschuldigen Sie die Unordnung«, sagte sie nervös. »Ich dachte, Sie kämen erst nach sechs zurück wie sonst auch. Dann räume ich gleich mal auf. Und soll ich dir Tür zumachen?«
»Nein, lassen Sie sie angelehnt.«
Bücher und Papiere waren weithin über den Boden verstreut, und interessanterweise stammten viele davon aus Kisten, die sie schon durchgesehen und katalogisiert hatte. Die Mappe mit den Zeitungsausschnitten über Sonias Tod lag aufgeschlagen auf dem Tisch: Nur die harmlosen Ausschnitte, denn Valentines alles enthüllende Andenken waren in O’Haras Safe unter Verschluß.
»Sie haben ein paar Nachrichten bekommen«, stieß Lucy hervor und las von einem Notizblock ab. »Howard Tyler möchte Sie sprechen. Ein gewisser Ziggy, glaube ich, läßt Ihnen sagen, daß die Pferde ohne Zwischenfall in Im-mingham gelandet sind und jetzt in ihrem Stall stehen. Reimt sich das? Robbie - seinen Nachnamen wollte er nicht sagen - läßt Ihnen ausrichten, daß der Umzug über die Bühne gegangen ist. Und die Crew, die Sie zum Pferderennen nach Huntingdon geschickt haben, meint, sie hat ein paar gute Zuschauer- und Buchmacherbilder zusammengekriegt.«
»Danke.«
Ich betrachtete das allgemeine Durcheinander auf dem Fußboden und sagte freundlich: »Wonach suchen Sie?«
»Oh.«
Sie wurde noch röter. »Papa sagte. ich meine, Sie haben hoffentlich nichts dagegen, aber mein Onkel Ridley hat mich besucht.«
»Hier?«
»Ja. Ich wußte nicht, daß er kommen wollte. Er hat einfach angeklopft, ich hab aufgemacht, und drin war er. Ich habe ihm gesagt, Sie hätten das vielleicht nicht gern, und er meinte, das sei ihm sch -, also das sei ihm ganz egal.«
»Hat Ihr Vater ihn geschickt?«
»Ich weiß nicht, ob er ihn geschickt hat. Er hat ihm gesagt, wo ich bin und was ich mache.«
Ich verhehlte ihr meine innere Befriedigung. Ich hatte stark gehofft, Ridley zum Handeln veranlassen zu können, und ich hatte auf Jackson als Mittler gesetzt.
»Was wollte Ridley?« fragte ich.
»Er hat gesagt, das dürfe ich Ihnen nicht erzählen.«
Sie stand auf, blickte bekümmert aus den blauen Augen.
»Mir gefällt das nicht. und ich weiß nicht, was ich machen soll.«
»Pflanzen Sie sich irgendwohin und entspannen Sie sich.«
Ich ließ mich steif in einen Sessel sinken und lehnte meinen eingezwängten Hals an. »Rückenschmerzen«, sagte ich zur Erklärung. »Nicht der Rede wert. Was wollte Ridley?«
Sie setzte sich unschlüssig seitlich auf die Tischkante und ließ ein Bein baumeln. Die obligatorischen Jeans begleitete diesmal ein weiter blauer Pullover, über den weiße Lämmer hüpften: Nichts hätte weniger bedrohlich sein können.