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Robbie Gill kam Dienstag früh kurz ins Krankenhaus und nahm die Delta-Cast-Weste mit, die die Nachtschwestern am Abend vorher so verwirrt hatte. Statt zu erklären, warum ich sie getragen hatte, meinte er nur: »Ein Porositätstest - sehr interessant.«

Und er sagte mir, er habe seinem Polizeikollegen erzählt, daß Dorothea ihren Angreifer jetzt identifizieren könne, und vorgeschlagen, ihr doch einmal ein Foto vorzulegen, da es unwahrscheinlich sei, daß plötzlich zwei Messerstecher in Newmarket umgingen.

Ich verbrachte den Dienstagnachmittag im Gespräch mit der Polizei, nachdem ich mir am Montag abend zurechtgelegt hatte, was ich sagen würde und was nicht.

Später erfuhr ich, daß sie bereits Roddy Visboroughs Cottage in Leicestershire durchsucht und eine Unzahl ungewöhnlicher versteckter Messer entdeckt hatten. Sie fragten mich, ob ich eine Ahnung hätte, warum Roddy mich angegriffen habe.

»Er wollte den Film stoppen. Er glaubt, der Film schadet dem Ruf seiner Familie.«

Das genügte ihnen nicht als Grund für einen Mordversuch, und seufzend über die Merkwürdigkeiten des Lebens stimmte ich ihnen bei. Ob ich mir sonst noch einen Grund denken könne? Leider nein.

Roddy Visborough würde ihnen bestimmt keinen anderen Grund nennen. Roddy Visborough würde nicht sagen: »Ich hatte Angst, Thomas Lyon würde herausfinden, daß ich der vorgetäuschten Erhängung meiner Tante zugestimmt habe, um eine Sexorgie zu vertuschen.«

Roddy der Springreiter hatte zu viel zu verlieren gehabt. Roddy, Paul und Ridley mußten hellauf entsetzt gewesen sein, als ihr zu Grab getragenes Vergehen plötzlich wie ein Spuk wiederauferstand. Zuerst hatten sie versucht, mich mit Drohungen loszuwerden, und als das nicht gelang, mit tödlichen Mitteln.

Die Polizisten fragten mich, ob ich wisse, daß Mr. Visboroughs Fingerabdrücke überall in Mrs. Panniers Haus gefunden worden seien, genau wie meine auch? »Wie seltsam!« sagte ich; ich hätte Mr. Visborough niemals in ihrem Haus gesehen.

Sie sagten, auf Grund von Hinweisen hätten sie an diesem Morgen Mrs. Pannier befragt, die Mr. Visborough auf einem Polizeifoto als den Mann identifiziert habe, der sie überfallen hatte.

»Das gibt’s doch nicht«, sagte ich.

Sie fragten mich, ob ich gewußt hätte, daß Mrs. Pannier von Mr. Visborough überfallen worden sei. Nein, antwortete ich.

Welche Verbindung bestand zwischen ihr und mir?

»Ich habe ihrem blinden Bruder vorgelesen«, sagte ich. »Er ist an Krebs gestorben.«

Das wußten sie.

Sie fragten sich, ob das Messer, das ich auf der Heide gefunden hatte und das sich jetzt in Polizeibesitz befand, etwas mit dem zu tun hatte, was mir zugestoßen war.

»Wir haben das alle für einen Versuch gehalten, uns von dem Film abzubringen«, sagte ich. »Weiter nichts.«

Außerdem glaubte ich, auch wenn ich es nicht sagte, daß Roddy Ridley das Nahkampfmesser gegeben und ihn aufgefordert hatte, Nash und damit den Film zum Teufel zu jagen.

Ich glaubte, daß Roddy Paul gezwungen hatte, mit ihm zusammen Dorotheas Haus nach irgendwelchen verräterischen Hinweisen auf Sonias Tod zu durchsuchen, die Valentine hinterlassen haben mochte.

Roddy war der Stärkste von den dreien gewesen und derjenige mit der meisten Angst.

Von Lucy informiert, hatte Ridley die Kombination meines Safes entgegenkommend an Roddy weitergegeben und ihm gesagt, ich wüßte viel zu viel.

Roddy hatte meine Hoffnungen erfüllt und sich und seine Verwicklung zu erkennen gegeben, als er wie der Hecht zum ausgeworfenen Köder gekommen war. Ich hatte ihn angelockt, hatte gehofft, er werde wieder ein ausgefallenes Messer mitbringen, aber ich hatte dabei nicht so zugerichtet werden wollen.

Die Polizisten gingen scheinbar unzufrieden von dannen, aber zumindest hatten sie doch den Beweis für zweifache schwere Körperverletzung, und wenn sie mit der ganzen verfügbaren Palette moderner Kriminaltechnik nicht nachweisen konnten, daß Roddy Visborough der Mörder von Paul Pannier war, dann hatten sie Pech gehabt. Als Motiv würden sie vielleicht annehmen, Paul habe aus Reue gedroht, Roddy wegen des Angriffs auf Dorothea anzuzeigen, das kam der Wahrheit nah und klang plausibel. Jedenfalls so plausibel, daß auch Dorothea es glauben und Trost daraus schöpfen konnte.

Mittwoch früh entließ ich mich aus dem Krankenhaus und kehrte nach Newmarket zurück, wo ich einem wütenden Howard und einer äußerst aufgebrachten Alison Visborough in die Arme lief.

»Ich habe Ihnen ja gesagt, Sie hätten an meinem Buch nichts ändern sollen«, tobte Howard. »Sehen Sie nur, was Sie angerichtet haben! Roddy kommt ins Gefängnis!«

Alison sah ungläubig auf die Tausendfüßlerspur in meinem Gesicht. »Das hätte Rodbury niemals getan!«

»Rodbury hat«, sagte ich trocken. »Hat er immer schon Messer gesammelt?«

Sie zögerte. Trotz ihrer Empörung war sie gerecht. »Es kann. es könnte sein. Er hat geheim getan.«

»Und er hat Sie von seinen Spielen ausgeschlossen.«

Sie sagte verdutzt: »Oh« und begann die Psyche ihres Bruders neu einzuschätzen.

Während ich jetzt in Norfolk auf den Dünen saß, dachte ich über Alisons Vater und seine abgebrochene politische Laufbahn nach. Ich war mir beinah sicher, daß nicht der Skandal um den ungeklärten Tod seiner Schwägerin ihn zum Rückzug aus der Politik bewogen hatte, sondern die Erkenntnis -vielleicht hatte er es von Valentine, vielleicht auch von Jackson Wells erfahren -, daß sein Sohn an dem Vertuschungsmanöver der vormittäglichen Erhängung beteiligt gewesen war, nachdem er mit der eigenen Tante hatte schlafen wollen. Der rechtschaffene Rupert hatte seinem Sohn Springpferde geschenkt, damit er seine Verfehlung wiedergutmachen konnte, hatte ihm aber doch nicht endgültig verziehen, sondern den Familiensitz seiner Tochter vermacht. Armer Rupert Visborough. er hatte nicht verdient, ein Cibber zu werden, aber wenigstens würde er es nie erfahren.

O’Hara kuschelte sich in seine wattierte Fliegerjacke und sagte, er habe sich am Abend vorher, während ich am Strand probte, die Muster von der Erhängung zeigen lassen.

»Sind wir damit jugendfrei?« fragte ich. »Ab zwölf wäre ideal.«

»Kommt auf den Schnitt an. Wie sind Sie auf diese Version ihres Todes gekommen?«

»Howard schwört auf die kathartische Wirkung des Urschreis.«

»Quatsch, Thomas. Dieser Tod war keine Therapie. Die wird gehängt, daß sich einem der Magen umdreht.«

»Gut.«

O’Hara blies sich auf die Finger. »Ich hoffe, die verdammten Pferde sind die Affenkälte wert.«

Der Himmel im Osten wechselte von Schwarz zu Grau. Ich griff zum Walkie-Talkie und sprach noch einmal mit Ed und auch mit Ziggy. Alles klar. Ich brauchte mir keine Sorgen zu machen. Alles würde gutgehen.

Ich dachte über Valentines einst so gewaltige Kräfte nach.

Ich hatte seine Beichte für mich behalten. Niemand würde sein Geheimnis je von mir erfahren.

Das Messer habe ich Derry gegeben...

Valentine hatte mit seinen starken Armen ein einzigartiges Messer zur Bereicherung der Sammlung seines Freundes Professor Derry geschaffen: ein Stahlmesser mit Speerspitze und Zuckerbäckergriff, eine Waffe ganz ungewöhnlicher Art.

Ich habe den Jungen aus Cornwall umgebracht...

Einer von der »Gang«, vielleicht sogar Pig Falmouth selbst, hatte Valentine erzählt, wie Sonia gestorben war, und in einer übermächtigen Aufwallung von Wut, Kummer und Schuldbewußtsein hatte er den Spieß gepackt und ihn tief in den Körper des Jockeys gestoßen.

So oder so ähnlich mußte es passiert sein. Valentine hatte Sonia heimlich geliebt. Er hatte sich über perverse Lustmittel informiert, um Derrys Potenzschwäche abzuhelfen, und er hatte den Lexikonartikel auch Pig gezeigt, sicher leichten Herzens sieh mal hier, Pig -, und Pig hatte es seinen Freunden erzählt.

Ich habe ihrer aller Leben zerstört... Vermutlich hatte er damit sagen wollen, er habe ihr Leben ruiniert, indem er sie auf die Idee zu ihrem tödlichen Spiel gebracht hatte. Sie hatten ihr Leben selbst zerstört, aber Schuldgefühle entbehrten mitunter der Logik.