Als er versuchshalber über die Saiten strich, erhob sich ein ekstatisches Stöhnen von den Geistern. Da wurde Rod erst richtig klar, daß er die Situation ausnutzen konnte. „Hört, Lord Horatio, würdet Ihr mir für zwei Lieder verraten, wo die Geheimgänge sind?“
„Gewiß! Gewiß!“ kreischte der Geist. „Die Burg ist Euer, meine ganze Domäne, alles, was ich besitze! Ja, das Königreich, wenn Ihr es wollt! Nur spielt für uns, Mann! Seit zehnhundert Jahren haben wir keine menschliche Musik mehr gehört!“
Rods Finger zupften die Saiten, und die Geister erschauderten wie ein Schulmädchen beim ersten Kuß. Er spielte und sang, was ihm gerade einfiel, Volksweisen, Märsche, Seemannslieder, sogar Beethovens Sechste, die auf einer Miniaturharfe gar nicht leicht wiederzugeben war. Als die letzten Echos verhallten, seufzten die Geister zufrieden, doch traurig, daß er schon aufhörte. „Das war eine reiche Auswahl, Mann“, sagte Lord Horatios Stimme zu Rods Linker. „Aber vielleicht noch eine kleine, ganz kurze Weise?“ Rod schüttelte bedauernd den Kopf. „Die Nacht schreitet voran, Mylord, und ich habe vor dem Morgengrauen noch viel zu tun. Ich werde in einer anderen Nacht wiederkommen.“ „Wir haben Euch sehr zu danken, Mann, und werden uns dafür erkenntlich zeigen. Kommt mit mir und ich zeige Euch alle Geheimgänge und — türme der Burg.“ Er schwebte Rod voran. Alle anderen Geister hatten sich inzwischen bereits zurückgezogen.
Rod zählte seine Schritte. Nach fünfzig bog der Geist um eine Ecke in einen riesigen Raum. „Das war unsere Banketthalle“, erklärte er seufzend. „Herrliche Feste feierten wir hier. Und nun sind sie alle tot, alle meine Freunde und die lieblichen Maiden, die uns bei fröhlicher Musik unterhielten. Und seither herrschten sechzig Söhne meines Blutes an meiner Stelle über die Marschen. Doch jetzt haben andere das Wort in meiner herrlichen Halle — Schakale, Hyänen, eine Schande für meine alten Kameraden und mich, daß sie in Menschengestalt wandeln.“
Rod spitzte die Ohren. „Wie meint Ihr das, Mylord? Jemand hat Euch Eure Halle gestohlen?“ „Verkümmerte, gemeine Niederlinge!“ knirschte der Lord. „Eine Brut verderbter, gemeiner Feiglinge — und ihr Führer ist Ratgeber eines Sprosses meines Geschlechts, des Herzogs Loguire.“ „Durer!“ hauchte Rod.
„Nennt er sich so? Hört mich an, Mann. Sein Herz ist hart und seine Seele spröde wie Eisen. Aber wie Ihr wißt, kann hartes, sprödes Eisen durch einen starken Hieb mit geschmiedetem Eisen zerschlagen werden. Und genauso können diese bösartigen Zerrbilder von Menschen durch einen Mann gebrochen werden, der wahrhaft ein Mann ist.“ Der Geist ließ die Schultern hängen und beugte den Kopf. „Wenn es in diesem dunklen Zeitalter noch wahre Männer gibt!“ Rods Blick löste sich von dem Geist und wanderte durch den gewaltigen Raum, aber es war zu dunkel, viel zu sehen. „Mein Lord Loguire“, sagte er. „Wenn ich der Mann sein soll, der die Ratgeber bricht, so muß ich soviel wie möglich über sie erfahren. Sagt mir deshalb, was sie in dieser Halle tun.“ „Hexerei üben sie aus!“ knurrte der Geist. „Schwärzeste Magie! Auf eine Weise, wie ich sie Euch kaum beschreiben kann…“ Er stöhnte. „Wisset, daß diese verkümmerten Wichte hier einen Altar aus glänzendem Metall errichteten — es ist weder Silber noch Gold, auch kein anderes Metall, wie ich es kenne —, genau hier in der Mitte der Halle, wo einst meine Höflinge tanzten.“
„Oh! Wen beten sie vor diesem Altar an?“ fragte Rod. „Anbeten?“ Der Geist hob den Kopf. „Mir dünkt, sie opfern sich selbst, denn sie steigen in diesen Altar des Bösen. Sie verschwinden darin, und dann plötzlich kehren sie zurück! Ich kann mir nur vorstellen, daß sie ihr Lebensblut dem Dämon in diesem glänzenden Altar darbringen, denn sie kommen hager und zitternd wieder heraus. Ja, wahrlich“, murmelte er überlegend, „weshalb wären sie sonst so ausgemergelt und klein?“ Rods Nacken prickelte. „Ich muß diesen Altar sehen, mein Lord.“ Er fummelte nach seinem Dolch. „Ich brauche Licht.“
„Nein!“ Der kreischende Schrei drohte Rods Trommelfell zu durchlöchern. Der Geist pulsierte schwankend. „Es würde mich zerstören, Mann, und mich schreiend in finsterere Gefilde als diese schicken.“
„Verzeiht, Lord Loguire, ich hatte nicht daran gedacht. Ich werde meine Fackel nicht entzünden, doch dann muß ich Euch bitten, mich zu diesem merkwürdigen Altar zu führen, damit ich ihn mit meinen Fingern betrachten kann.“ Er folgte dem Geist mit ausgestreckten Händen, bis sie etwas Hartes, Kaltes berührten.
„Vorsicht, Mann“, brummte der Geist. „Denn hier ruhen dunkle Mächte.“
Rod betastete das Metall, das im gespenstischen Schimmern des Geistes schwach leuchtete, bis er glaubte, die Umrisse einer Tür, oder vielmehr einer Türöffnung erreicht zu haben.
„Was liegt dahinter, Mylord?“ erkundigte er sich. „Ein Sarg“, stöhnte der Geist. „Ein metallener Sarg ohne Deckel, der aufrecht steht. Ihr müßt seine offene Seite betastet haben.“
Rod fragte sich, was geschehen würde, wenn er hineinträte, aber irgendwie mangelte es ihm am Forscherdrang eines echten Wissenschaftlers. Er tastete über die Öffnung. Etwas Kreisförmiges drückte in seine Handfläche, es ragte aus der Oberfläche des Metallblocks heraus. Als er mit den Fingern rechts davon weiter darüberstrich, berührte er eine Menge weiterer runder und ovaler Formen und Knöpfe. Zweifellos war er hier auf ein Armaturenbrett gestoßen.
„Mein Lord Loguire“, wisperte er. „Bitte kommt nahe zu mir, ich brauche Licht.“
Der Geist schwebte dicht neben ihn. In seinem Schimmern erkannte Rod eine Anzahl von Meßgeräten und anderen Anzeigern und verschiedenfarbige Knöpfe.
„Weshalb zittert Ihr, Mann?“ erkundigte sich Loguire mitfühlend.
„Es ist kalt“, murmelte Rod, „und ich fürchte, ich muß Eure Meinung über dieses — Ding teilen. Ich weiß nicht, was es ist, aber es gefällt mir nicht. Es wird das beste sein, ich spreche vorsichtshalber eine Beschwörung dagegen. Also, denkt Euch nichts dabei, wenn ich vor mich hinmurmle.“
Der Geist runzelte verwirrt die Stirn, als sich Rod im Dialekt des galaktischen Raummatrosen an seinen Roboter wandte.
„Gekab? Hast du mitgehört?“ „Natürlich, Rod.“
„Dann paß auf, ich beschreib dir das Aussehen dieses Metallkastens.“ Er tat es. Nach einer Weile erkundigte er sich: „Hast du schon ein Ergebnis?“ „Nein. Ich brauche eine noch nähere Beschreibung.“ Rod bemühte sich.
„Es ergibt keine exakte Analyse, die Vermutung liegt jedoch nah, daß es sich bei diesem Artefakt um einen Apparat für Zeitreisen handelt.“
„Eine Zeitmaschine!“ Rod pfiff durch die Zähne. „Dann kommen diese kleinen Bastarde aus der Zukunft!“
„Rod, ich mußte Sie schon des öfteren warnen, unbewiesenen Hypothesen zu großes Gewicht beizumessen.“
„Keine Angst, Gekab. Ich finde den Gedanken nur faszinierend.“
„Welche Art von Hexerei ist das, Mann?“ erkundigte sich Horatio.
Rod zuckte die Schultern. „Sie ist mir unbekannt, Mylord, obwohl ich in den verschiedensten — ah — Magien bewandert bin.“
„Was werdet Ihr dann machen?“
Mit einem schwachen Grinsen antwortete Rod: „Schlafen. Und nachdenken über das, was ich gesehen habe.“ „Und wann werdet Ihr dieses Spielzeug des Teufels vernichten?“
„Wenn ich mir sicher bin“, antwortete Rod nachdenklich und betrachtete erneut die Maschine, „daß es dieser schönen Welt schadet und ihr nicht im Gegenteil helfen kann.“
Loguire zog finster die kaum sichtbaren Brauen zusammen. Er schien um ein Vielfaches zu wachsen, und seine Stimme klang wie Donnergrollen. „Ich beauftrage Euch mit der Exorzierung dieses Teufelsaltars und der Unschädlichmachung seiner mißgestalten Priester.“ Das Schwert des Geistes glitt aus der Scheide und schwebte mit der Spitze voraus auf Rod zu.